Berlin. Christiane Schott wurde über zehn Jahre von Neonazis terrorisiert. Das Vertrauen in die Polizei hat sie dabei verloren.
Zehn Jahre Terror und ständige Angst um ihre Familie liegen hinter Christiane Schott. Nazi-Schmierereien an der Hauswand, Steine durchs Fenster, ein gesprengter Briefkasten und die ständige Beobachtung durch einen Nachbarn – einem Polizisten und aktiven AfD-Mitglied. Vor einem Jahr hielt sie es nicht mehr aus und zog mit ihrem Mann weg aus der Neuköllner Hufeisensiedlung und meidet den Ort seither.
Eingeschüchtert wirkte die Sozialarbeiterin allerdings keinesfalls, als sie am Freitag im Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses zur Neuköllner Anschlagsserie aussagte. Aus ihrer Enttäuschung machte sie allerdings auch keinen Hehl. „In diesen zehn Jahren habe ich meinen Glauben in die Ermittlungsbehörden und die Justiz verloren.“ Gründe dafür lieferte sie den Parlamentariern zahlreiche.
Insgesamt werden 70 zwischen 2016 und 2019 begangene Straftaten im Süden Neuköllns der Serie zugerechnet. Durch Schotts Fenster flogen die ersten Pflastersteine bereits im November 2011. Insgesamt zehn Angriffe gab es, alle Ermittlungen wurden eingestellt. Wieso sie in den Fokus geriet, wisse sie nicht. Auslöser sei vermutlich ein Streit zwischen ihr und einer Gruppe junger Neonazis ein paar Monate zuvor an ihrem Gartenzaun gewesen, denen sie verboten hatte, Wahlwerbung der NPD in ihren Briefkasten zu stecken.

Schott: Polizei wollte Tatwerkzeuge nicht sicherstellen
Das Bild, dass Schott von den Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) zeichnete, wirft zahlreiche Fragen auf. Gespräche seien nicht protokolliert worden. Einen Pflasterstein, der durch die Scheibe flog, hätten die Ermittler einfach im Garten zurückgelassen und erst nach einer Woche auf ihr Drängen abgeholt. Spuren habe man dann aber nicht mehr sicherstellen können.
Als Täter habe die Polizei zu Anfang Jugendliche vermutet, die sich einen Spaß erlauben. Auch als im Frühjahr 2012 der Briefkasten der Familie gesprengt wurde, hätten die Ermittler sich zunächst geweigert, dessen Überreste sicherzustellen. „Es hieß einfach, das war ein normaler Böller“, so Schott. Tatsächlich sei später herausgekommen, dass die Täter einen „TNT-artigen Sprengstoff“ benutzt hätten.
Irgendwann seien die Ermittler dann auf die Idee gekommen, im leerstehenden Haus gegenüber eine versteckte Kamera zu installieren, so Schott weiter. „Nach dem nächsten Anschlag haben wir uns richtig gefreut.“ Die Enttäuschung folgte aber prompt: Der leitende Ermittler habe eingeräumt, dass die Kamera defekt sei und man überdies die Batterien vergessen habe. Mittlerweile frage sie sich, ob es die Kamera überhaupt gab, sagte Schott.
Schott saß zwei Stunden mit Neonazi Christian S. im Garten
Zumindest einen der mutmaßlichen Täter glaubt Schott benennen zu können – einen Neonazi namens Christian S. Dieser sei im August 2011 unter den jungen Männern gewesen, die die NPD-Werbung bei ihr einwerfen wollten, und habe auch später Aufkleber in der Hufeisensiedlung verteilt. So sei S. auch ein paar Jahre später an ihrem Zaun aufgetaucht. „Er grüßte und dann haben wir uns in den Garten gesetzt und zwei Stunden gesprochen.“
Dabei habe S. zumindest indirekt eingeräumt, dass er dabei war – etwa indem er beteuert habe, dass er die Steine nicht geworfen hätte, wenn er gewusst hätte, dass Schotts Tochter unter dem Fenster schläft. Die LKA-Beamten seien später „ganz aufgeregt“ gewesen, als sie von dem Gespräch erfuhren. Allerdings hätten sie auch betont, dass S. nur „ein ganz harmloser Nazi-Mitläufer“ sei. Laut Schott eine Falschaussage. Eine Gefährderansprache gegen S. sei von der Staatsanwaltschaft abgelehnt worden.
Als sie später die Ermittlungsakten durchsah, habe sie das Gespräch mit Christian S. vergeblich gesucht. Vermerkt wurde zu den zwei Stunden in ihrem Garten nichts. Für Schott Hinweise darauf, dass es sich bei dem Neonazi möglicherweise um einen V-Mann des Verfassungsschutzes oder der Polizei handeln könnte.„Er sagte damals, er brauche keine Angst vor dem LKA zu haben“, so Schott. Bereits in der vergangenen Ausschusssitzung hatte eine Zeugin wage entsprechende Vermutungen geäußert.
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