Berlin. Dass in Berlin der Strom flächendeckend und langfristig ausfällt, ist extrem unwahrscheinlich. Kürzere Abschaltungen aber sind denkbar.
Die Angst vor dem Blackout geht um in Deutschland und auch in Berlin. Fast die Hälfte der Menschen geben in Umfragen an, sie fürchteten längere Stromausfälle im kommenden Winter. Experten halten solche Szenarien wegen der technischen Grundlagen der Stromnetze aber für Berlin für sehr unrealistisch.
„Einen langanhaltenden, flächendeckenden Stromausfall halten wir für extrem unwahrscheinlich“, sagte Olaf Weidner, Sprecher der landeseigenen Stromnetz Berlin GmbH. Aus Berlin selbst heraus sähen die Fachleute des Berliner Netzbetreibers kein Szenario, das solche Folgen zeitigen könnte.
Der größte Stromausfall der letzten Jahre betraf 30.000 Haushalte für 30 Stunden
Natürlich hat es auch in Berlin schon größere Stromausfälle gegeben. Zuletzt 2019, als ein Bagger in Köpenick gleich zwei Starkstromkabel durchtrennte und 30.000 Haushalte 30 Stunden lang im Dunkeln saßen. Aber auch das sei in einer Stadt mit 3,5 Millionen Einwohnern ein lokales Ereignis gewesen. Als 2005 im Münsterland vereiste Stromkabel zahlreiche Hochspannungsmasten abknicken ließen, gab es zwar ein Chaos in der Region, aber rundherum lief alles weitgehend normal.
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Auch der Netz-Experte Wolfgang Neldner, der lange für Vattenfall den heutigen ostdeutschen Übertragungsnetzbetreiber 50 Hertz leitete, an verschiedenen Hochschulen lehrt und für das Land Berlin den Landesbetrieb Berlin Energie führt, erkennt in den Debatten über einen Blackout kaum eine physikalisch-fachliche Grundlage.
Um Europas Verbundnetz zu stören, müssten vier große Kraftwerke zeitgleich ausfallen
Szenarien, was wo und wann zu passieren habe wenn Teile der europäischen Energie-Infrastruktur ausfallen, seien gut geübt und klar geregelt, so der Ingenieur. Für einen langen und großflächigen Elektrizitätsausfall – das Wort Blackout vermeidet er wie alle Experten – sieht Neldner nur eine überaus geringe Wahrscheinlichkeit. Wenn es einen Schaden an einem Ort gebe, werde dieser durch das europäische Verbundnetz ausgeglichen. Notfalls würden alle Energieerzeuger ans Netz gebracht, um das Netz zu stabilisieren.
Wenn aber wirklich zu wenig Strom im Netz sei, sinke die Frequenz. In der Folge komme es zu automatischen Abschaltungen. Das sei aber nur dann zu befürchten, wenn 4000 Megawatt wegfielen. Das sei so viel wie vier große Kraftwerke liefern. Diese Anlagen müssten kurzfristig und unerwartet ausfallen, um das europäische Verbundnetz durcheinander zu bringen. Und auch in einem solchen Fall ließen sich die Netze in einzelne „Regelzonen“ zerteilen, die dann als „Inseln“ weiter gefahren werden könnten.
Das größte Risiko für die Stromversorgung liegt derzeit im Atomland Frankreich
Das derzeit größte Risiko für Europas Stromversorgung liegt nach Neldners Einschätzung in Frankreich, wo immer noch fast die Hälfte der Atomkraftwerke abgeschaltet sind. Im Nachbarland hat die Regierung Wirtschaft und Haushalte bereits auf das Risiko hingewiesen, dass Strom womöglich rationiert werden muss und Großverbraucher etwa aus der Industrie nicht mehr beliefert werden. Auch in Deutschland würden solche Szenarien zwar durchgespielt, sagte Neldner. Aber wirklich zu befürchten ist das nach seiner Einschätzung nicht, weil die deutschen Kraftwerke funktionieren.
Der Fachmann verweist auf die Lage in der Ukraine, wo auch nach heftigen Bombardements auf die Infrastruktur in den meisten Städten wie etwa in Kiew weiterhin Strom aus den Steckdosen kommt, und der Strom nur stundenweise geplant abgestellt wird.
Ein extrem kenntnisreich ausgeführter Terroranschlag könnte eine Gefahr darstellen
Von oben, also von der Ebene der Übertragungsnetze, sieht Neldner kaum eine Gefahr für einen Blackout in Berlin oder in Deutschland. Allerdings lasse sich das Szenario eines extrem kenntnisreich gestalteten Terroranschlags nie komplett ausschließen. Die Übertragungsnetzbetreiber hätten darum ihre Sicherheitsvorkehrungen noch einmal verstärkt.
Für Berlin wäre aber auch diese Situation leichter zu bewältigen als in kleineren Orten. Denn in der Hauptstadt wird immer noch die Hälfte des Stromes in den Kraftwerken und zunehmend in dezentralen Anlagen im Stadtgebiet erzeugt. Zudem hängt die Stadt nicht nur an einer Leitung am Hochspannungsnetz von 50 Hertz, sondern der Strom fließt über mehrere Übertragungspunkte ins regionale Verteilnetz von Stromnetz Berlin.
Berlin ist auf „Schwarzstart“ nach einem unwahrscheinlichen Totalausfall vorbereitet
Gleichwohl ist die Stadt auch auf einen „Schwarzstart“ vorbereitet, also das Wiederhochfahren des Versorgungssystems nach einem Totalausfall. Im Kraftwerk Mitte sind Generatoren vorhanden, die genügend Energie liefern, um die Anlage wieder in Gang zu setzen. Stufenweise könnten dann auch die anderen Kraftwerke wieder in Betrieb gehen.

Während also eine große Katastrophe wie ein Flugzeugabsturz auf ein Kraftwerk, Bombenangriffe oder Überschwemmungen kaum für einen flächendeckenden Blackout sorgen kann, gibt es nach Einschätzung von Experten eher ein Risiko „von unten“ für die Stromversorgung.
Die Gefahr lauert in den privaten Haushalten und Gewerbebetrieben, die alle gleichzeitig versuchen könnten, ihre Räume mit elektrischen Heizlüftern oder Radiatoren zu wärmen. Wenn jeder Haushalt zusätzlich 2000 Watt aus dem System ziehe, wäre das Netz überlastet. Um es vor Schäden zu schützen, würden einzelne Waben des Stromnetzes in einem solchen Fall abgeklemmt. Ein solches Vorgehen hatte die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) gemeint, als sie kürzlich in einer Talk Show von möglichen Stromausfällen sprach.
Planvolle Abschaltung denkbar, wenn zu viele ihre elektrischen Heizungen anschalten
Eine „rollierende Abschaltung“ für einige Stunden in einzelnen Stadtteilen ist also denkbar. Das würde aber nur dann geschehen, wenn in Folge einer Gasmangellage der eigentlich zum Heizen genutzte Brennstoff nicht mehr vorhanden wäre, keine Kohle als Ersatz genutzt werden könnte und gleichzeitig viele Menschen auf Stromheizung umstiegen. Aber dass es kein Gas mehr geben könnte in Deutschland ist in diesem Winter nicht zu erwarten. Die Gasspeicher sind voll, allein diese Reserven reichen für zwei Monate. Deswegen ist auch das Szenario kontrollierter Stromabschaltungen in Berlin in den kommenden Wochen nicht zu befürchten.