Berlin. Im Schatten eines Plattenbauklotzes in der Prinzregentenstraße in Wilmersdorf lugen auf der gegenüberliegende Straßenseite Obstbäume und die Dächer kleiner Holzhütten über einen grünen Drahtzaun. Entlang des Grundstücks hängen auf kompletter Länge Plakate, Infotafeln und ausgedruckte Mails von Gärtnern und Anwohnern, die den Erhalt ihrer selbst ernannten „Vorstufe zum Paradies“ fordern.
Gabriele Gutzmann hat den festen Händedruck einer Gärtnerin, aber heute schließt sie mit fast schon entschuldigender Haltung das Zahlenschloss am Eingangstor des Blocks Vier der Kleingartenanlage „Am Stadtpark I“ auf. „Das gefällt mir gar nicht. Unsere Anlagen sind eigentlich immer geöffnet“, sagt die Vorsitzende des Vereins, die einen grauen Mantel und die Gelassenheit des Ruhestands mit sich trägt.
Gärten waren schon vor zwei Jahren in Gefahr
Aber etwas scheint an ihr zu nagen. „Für uns als Vorstand waren die letzten Wochen Stress pur“, sagt sie. Denn die Gärten sind in Gefahr. Schon wieder muss man sagen. Konnte vor zwei Jahren die Erweiterung einer benachbarten Schule auf ein Areal verhindert werden, ist nun ein weiteres Grundstück ins Visier eines Bauinteressenten geraten – diesmal in das der landeseigenen Wohnungsgesellschaft Berlinovo.
Nachdem die Vorsitzende im August die Nachricht erhalten habe, dass ein Vermesser das Gelände begutachten wolle, hätten die Pächter entschieden, ein Schloss am Eingangstor anzubringen. Denn die 13 Gartenbesitzer wollen sich wehren. „Die Anlage war schon oft in ihrer Existenz bedroht. Aber sie hat immer bestanden“, gibt sich die Vorsitzende kämpferisch.
Aber die Lage scheint diesmal besonders ernst zu sein. Denn im Gegensatz zu den anderen Anlagen befindet sich Block 2 in privatem Eigentum. Der vom Land Berlin zugesicherte Bestandsschutz für Gärten auf öffentlichem Grund bis 2030 greift daher nicht – zumindest nach Auffassung des Kaufinteressenten.
Wohnungsunternehmen will Apartments für Studenten bauen
Auf dem Gelände sollen rund 280 Apartments für Studenten entstehen. Im Erdgeschoss soll eine Kita mit 50 Plätzen einziehen. Die Verhandlungen zwischen dem Grundstückseigentümer und der Berlinovo seien weit fortgeschritten, teilt die Wohnungsbaugesellschaft auf Nachfrage mit. Ein Abschluss des Kaufvertrages werde Mitte November 2022 angestrebt. Das Bauvorhaben könnte bereits im Jahr 2025 gestartet werden.
Gärten öffnen sich zunehmend der Öffentlichkeit
Auch am Zaun von Block Zwei hängen zahlreiche Ausdrucke und Plakate. Die Ankündigung einer Ausstellung zu alten Apfelsorten. Aufnahmen einer Fotokünstlerin. Ein Lesegarten, ein Schul- und Kitagarten und eine Fläche zum gemeinschaftlichen Gärtnern werden beworben.
Hier stehen die Tore weit offen. „Die Öffnung der Gärten ist eine Entwicklung der vergangenen 20 Jahre“, sagt sie. Auch um die Anerkennung bei den Nachbarn zu erhöhen. Die Zeiten, in denen Kleingärtner abgeschottet hinter ihren Hecken sitzen, seien lange vorbei. Zumindest in Berlin. Schließlich stünden die Pachtgärten nicht erst seit gestern in Konkurrenz mit immer lauter werdenden Forderung nach Wohnraum.
Die gepflasterten Wege mit Blick in die liebevoll gestalteten Gärten ziehen an sonnigen Tagen wie heute zahlreiche Spaziergänger an. „Ich bin mit diesen Gärten aufgewachsen. Aber...“, sagt Christine Ordon, die in der näheren Umgebung lebt. Sie sei voll dafür, dass die Kleingärten erhalten bleiben. Sie seien wertvoll und typisch für Berlin. Aber günstiger Wohnraum sei auch knapp. Sie könne das Interesse des Landes und der Öffentlichkeit daher nachvollziehen. Gerade für Studenten sei es sehr schwer, eine Wohnung zu finden.
„Aber warum müssen denn alle nach Berlin kommen? Die Interessen, derer die schon hier sind, müssen doch auch etwas zählen“, entgegnet Gabriele Gutzmann. Die guten alten Debatten rund um Zugezogene und Alteingesessene. Um Freiflächen und Wohnungsbau. Dafür stehen die Gärten im Herzen der Stadt symbolisch. Aber die wackere Frau im grauen Mantel hat noch ein Argument im Ärmel. Den Klimaschutz.
Grünflächen wertvoll für Klimaschutz und Tierwelt
Oft werde geredet über Klimawandel-Resilienz, Biodiversität und Frischluftschneisen. Aber immer weiter würden grüne Flächen für Betonwüsten geopfert. „Unsere Kleingärten sind gelebter Klimaschutz“, sagt sie. Im Zentrum der Anlage steht das Vereinsheim. Eine Frau sitzt auf einer Holzbank in der Sonne. Viele Menschen würden in der Mittagspause hier herkommen. In Block Zwei ist die Welt noch in Ordnung.
Die Vorsitzende schließt das Vereinsheim auf und atmet durch. „Das Schrumpfen der Kolonie wäre der Anfang vom Ende. Wenn ein Block fällt, dann fallen die anderen auch“, sagt sie. Aber noch habe sie Hoffnung nicht aufgegeben. Eine Forderung ist, dass die ebenfalls der Stadt gehörenden BIM Berliner Immobilienmanagement das Grundstück kauft und dass dann auch für Block Vier die Frist bis 2030 gelte.
Der Senat teilt mit, einen Automatismus dafür gebe nicht. Die Frage der Frist sei ohnehin Teil der Prüfung durch die Fachverwaltung, deren Ergebnis in den Verhandlungen zu berücksichtigen sei. „Wir Kleingärtner sind resilient“, sagt Gabriele Gutzmann zum Abschied. Der Händedruck ist jetzt noch ein bisschen fester.