Berlin. Die Anträge gegen den Ex-Innensenator hat die Koalition zwar abgelehnt. Aber die Vorwürfe wegen des Wahldebakels belasten den Wahlkampf.
Andreas Geisel kam früh an diesem Morgen. Einige Minuten vor Beginn der Sitzung nahm die Hauptperson des Plenartages Platz auf dem Stuhl des Stadtentwicklungssenators gleich links vom Rednerpult, sortierte ein paar Papiere. Der ehemalige Innensenator wusste, dass ihm mit zwei Missbilligungs- und Entlassungsanträgen wegen seiner vom Landesverfassungsgericht festgestellten Mitverantwortung für das Wahlchaos vor einem Jahr der Wind heftig ins Gesicht wehen würde.
Dann kam seine Nachfolgerin im Innenressort, seine SPD-Parteifreundin Iris Spranger, zu einem kurzen Wortwechsel. Später in der Sitzung stellte sich auch SPD-Fraktionschef Raed Saleh demonstrativ zum Plausch neben Geisel. Aber diese öffentlichen Solidaritätsbekundungen können nicht verbergen: Es ist einsam geworden um den einstigen Star-Senator im Kabinett von Franziska Giffey.
Stefan Evers (CDU): „Schuld sind alle anderen, nur nicht die SPD und ihr Senator“
Für die CDU brachte der Abgeordnete Stefan Evers die Stimmung auf den Punkt: „Schuld sind alle anderen, nur nicht die SPD und ihr Senator“, sagte der Generalsekretär und warf Geisel „selbstherrliche Überheblichkeit“ vor. Damit setzte Evers den Ton für den kommenden Wahlkampf: „Wer Verantwortung trägt, muss auch bereit sein, Verantwortung für Fehler zu übernehmen“, so Evers: „Dieser Anstand ist Ihnen abhanden gekommen.“ CDU-Fraktionschef Kai Wegner hatte Häme für den SPD-Mann: „Ich hätte nie gedacht, das Sie nach eindeutiger Einschätzung des Landesverfassungsgerichts einfach untertauchen und an ihrem Amt kleben würden.“
Im Kommentar: Verlorene Zeit
Dass die gegen Geisel gerichteten Anträge von AfD und CDU scheiterten, spricht nicht gegen den Befund, dass sich die Loyalität zu Geisel auch im Koalitionslager in Grenzen hält. Zu deutlich lassen die zahlreichen Bemühungen seiner Nachfolgerin Spranger für eine ordnungsgemäße Wahlorganisation Geisels Versäumnisse zu Tage treten.
Redner von Grünen und Linken werfen Geisel indirekt Versäumnisse bei der Wahl vor
„Die Senatsinnenverwaltung ist gefordert, sich nicht erneut auf eine nachträgliche Kontrolle zu beschränken, sondern eine begleitende Unterstützung zu bieten“, sagte der Linken-Parlamentarier Sebastian Schlüsselburg und ließ mit diesen Worten durchscheinen, wie groß der Ärger über Geisel auch in den Reihen der Koalition tatsächlich ist. „Ich warne davor, sich einen schlanken Fuß zu machen und die Verantwortung auf Wahlhelfer oder Bezirke abzuschieben“, formulierte der Grüne Vassili Franco seine Kritik.
Die Koalitionsfraktionen von SPD, Grünen und Linken hatten sich dennoch in ihren Vorbesprechungen eingeschworen, nicht gegen den eigenen Senator zu stimmen, um die Koalition nicht fünf Monate vor einer sich abzeichnenden Wahlwiederholung platzen zu lassen. Dass dieses die Zeitschiene ist, machte am Morgen en passant der SPD-Redner Christian Hochgrebe öffentlich. Er plauderte aus, dass das Landesverfassungsgericht die Urteilsverkündung im Wahlprüfungsverfahren für den 16. November terminiert habe. Ein Fax mit dieser Information war am Nachmittag zuvor in der Innenverwaltung eingegangen.
Missbilligungs- und Entlassungsanträge gegen Geisel scheitern in offener Abstimmung
Die beiden Anträge gegen Geisel wurden nacheinander und offen abgestimmt. Die Abgeordneten wurden namentlich aufgerufen. Wer gegen Geisel stimmen wollte, wandte sich nach links, warf seinen Zettel in die gläserne Urne für die Ja-Stimmen. Wer sich der Kritik und der Aufforderung an die Regierende Bürgermeisterin nicht anschließen wollte, ihren Senator zu entlassen, ging nach rechts. Am Ende waren für den AfD-Antrag nur die Stimmen der eigenen Fraktion auf der Liste, weil die anderen Oppositionsfraktionen von CDU und FDP aus Prinzip nicht mit der Rechtspartei votieren.
Der fast gleich lautende Antrag der CDU fand die Zustimmung von 38 Volksvertretern, acht mehr als die CDU-Fraktion Mitglieder hat. Es gab elf Enthaltungen. 80 Sozialdemokraten, Grüne und Linke ließen Geisel nicht im Regen stehen. Wobei Linke und Grüne ihre Unterstützung auf die Stimmabgabe beschränkten. In der Debatte verweigerten sie die Teilnahme. Solidaritätsschwüre für Geisel wollte dann doch niemand aus dem Lager der SPD-Koalitionspartner abgeben.
In der SPD glauben sie nicht, dass Geisel einem neuen Senat noch einmal angehören wird
Dass viele Sozialdemokraten und erst recht die Koalitionspartner dennoch sauer sind auf Geisel und seinen Umgang mit der Verantwortung für das Wahldebakel, das nun voraussichtlich zu einer Wiederholungswahl am 12. Februar führen wird, machten viele auf den Gängen des Parlaments deutlich. Führende Sozialdemokraten wollten dem Eindruck nicht widersprechen, dass Geisel einem neuen Senat wohl kaum wieder angehören dürfte, sollte die SPD überhaupt an einer Regierung beteiligt zu sein.
Denn ausgemacht ist das keineswegs, wie sich an Franziska Giffeys sorgenvoller Miene ablesen ließ. „Es kommt, wie es kommt“, sagte die Regierende Bürgermeisterin lakonisch auf dem Gang des Parlaments. Ihr, die am Wahlchaos von 2021 nicht beteiligt war, bleibt nur, weiter zu arbeiten und zu hoffen, in einem kurzen Wahlkampfsprint im Januar die Berlinerinnen und Berliner zu überzeugen. Das Regieren bis zur Wahl einzustellen ist keine Option für die angeschlagene SPD.
Giffeys SPD muss auch im Wahlkampf weiter regieren, um die Krise zu bewältigen
„Wir müssen dafür sorgen, dass im Winter keine Heizungen abgestellt werden und Leute keinen Hunger leiden“, sagte der parlamentarische Geschäftsführer Torsten Schneider. Ganz ohne Wahlkampf ging es auch für die rechte Hand des Fraktionschefs Raed Saleh nicht. Schneider warf dem aus Berlin stammenden Generalsekretär der Bundes-CDU Mario Czaja vor, sich mit der Zielvorgabe, Berlin „erobern“ zu wollen, in Kriegszeiten im Ton vergriffen zu haben.
Während CDU und AfD die Gelegenheit nutzten, Rot-Grün-Rot massiv anzugreifen, steuerte die FDP einen Mittelweg an. Der Abgeordnete Björn Jotzo erklärte, es brauche nicht „die Entlassung eines Senators fünf Monate vor einer Wiederholungswahl. Sondern eine Abkehr von der Politik der organisierten Verantwortungslosigkeit“ zwischen Senat und Bezirken. „Berlin braucht einen Neustart, für den steht die Berliner FDP“, brachte Jotzo die zuletzt von Giffey zurückgewiesenen Liberalen als Regierungspartner ins Gespräch. Das tat auch sein Fraktionschef Sebastian Czaja: Viele Selbstverständlichkeiten müssten sich ändern in Berlin, sagte er an Franziska Giffey gewandt. „Da müssen wir gemeinsam in den nächsten Jahren ran.“ Andreas Geisel blätterte während der Debatte meist in Akten oder tippte auf sein Handy.
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