Berlin. Berlin fordert eine Änderung der Regeln, um arme Mieter zu schützen und zu entlasten: Statt Darlehen sollte es Zuschüsse geben.

Vor der Ministerpräsidentenkonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch sieht sich die Bundesregierung mit dringlichen Forderungen von Bundesländern und Wirtschaftsverbänden nach schneller Entlastung für Bürger und Betriebe konfrontiert. Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping verlangte auf dem Landesparteitag ihrer Linkspartei „Markteingriffe“ wie einen Gaspreisdeckel.

„Der einfachste Weg wäre eine Regulierung der 1100 Energieversorger in Deutschland“, sagte Kipping. „Dass der Bund das nicht tut, sorgt für Verunsicherung bei den Menschen und bei uns für Stress“, sagte die Senatorin mit Blick auf die Versuche des Landes Berlin, eigene Unterstützungsprogramme auf den Weg zu bringen. Es sei „ärgerlich“, dass die Ampel-Regierung wegen der FDP hier „nicht handlungsfähig“ sei.

Paritätischer Wohlfahrtsverband hält Entlastungspakete für „zutiefst ungerecht“

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, kritisierte die Bundesregierung scharf: „Die jetzigen Entlastungspakete sind zutiefst ungerecht“, sagte Schneider. „Arme gehen weitestgehend leer aus, das ist ein Skandal.“ Deutschland sei in der größten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, so Schneider: „Nichts wird so schlimm wie der kommende Winter.“

Die Berliner Senatssozialverwaltung unter der Leitung von Kipping arbeitet derzeit am Konzept für den von der Koalition beschlossenen Härtefallfonds, aus dem der Senat Mietern Energieschulden abnehmen will, um einen Verlust der Wohnung zu vermeiden. Gleichzeitig verhandelt man mit dem Bundessozialministerium, um über die Jobcenter eine stärkere Beteiligung des Bundes an diesen Kosten zu erreichen. Die Jobcenter sollen nämlich der Anlaufpunkt auch für solche Bürger sein, die bisher kein Hartz-IV beziehen, aber durch ihre Energierechnungen finanziell überfordert sind. Sie haben das Recht, Anträge auf finanzielle Unterstützung zu stellen.

Linke will Menschen mit hohen Energierechnungen nicht in die „Schuldenspirale treiben“

Für Hartz IV-Bezieher übernehmen die Jobcenter schon jetzt Energieschulden und hohe Heizkosten, aber in der Regel werden nur Darlehen ausgegeben. „Der Bund sollte für die Jobcenter regeln, dass Energieschulden auch als Beihilfe und nicht nur als Darlehen durch die Jobcenter übernommen werden können“, sagte Sozial-Staatssekretärin Wenke Christoph. „Wir dürfen die Menschen nicht weiter in die Schuldenspirale treiben“, unterstützte Sandra Brunner, die Vorsitzende des Sozialausschusses im Abgeordnetenhaus.

Die Sozialverwaltung rechnet mit einem erheblichen Anstieg der Haushalte, deren Geld nicht für die Heizkosten reicht. Schon vor der jüngsten Preisexplosion war das Problem erheblich: 2021 wurden 91.000 Haushalten eine Strom- und mehr als 100.000 eine Gassperre angedroht, die aber in den allermeisten Fällen durch Eingreifen der Behörden abgewendet werden konnten.

Wie oft Jobcenter Energierechnungen übernommen haben, kann Senat nicht sagen

Wie oft die Berliner Jobcenter zuletzt Wohnungsverlust vermieden haben, kann die Senatssozialverwaltung aktuell nicht sagen. Darlehen für die Unterkunft, für die Heizung oder den Haushaltsstrom würden nicht separat erfasst, daher gebe es keine Datengrundlage, antwortete die Behörde auf eine Anfrage der FDP. Es sei richtig, dass diese Kosten übernommen würden, kommentierte der FDP-Sozialexperte Tobias Bauschke: „Aber dass diese Darlehen zur Deckung von ausstehenden Betriebskosten ohne Datengrundlage verteilt und gezahlt werden, ist beschämend.“

Klaus Lederer, Ulrich Schneider und Katja Kipping (v.l.)  beim Landesparteitag ihrer Partei DIE LINKE in Berlin.
Klaus Lederer, Ulrich Schneider und Katja Kipping (v.l.)  beim Landesparteitag ihrer Partei DIE LINKE in Berlin. © FUNKE Foto Services | Jörg Krauthöfer

Der Linke-Bundesvorsitzende Martin Schirdewan forderte mehr Tempo bei den Entlastungen durch den Bund: „Die Preise explodieren. Immer mehr Leute wissen nicht, wie sie ihre Rechnungen am Ende des Monats zahlen sollen“, sagte er in einem Grußwort auf dem Berliner Landesparteitag der Linken. „Die bisherigen Entlastungsmaßnahmen der Ampel gleichen eher einer Arbeitsverweigerung als einer wirklich gelingenden Krisenpolitik.“

Auch der deutsche Mittelstand fordert mehr Tempo bei Hilfszahlungen für Unternehmen

Mit der Forderung nach mehr Geschwindigkeit bei den Entlastungen sind sich die Linken einig mit der Wirtschaft. „Mit dem bisherigen Tempo werden wir die wirtschaftliche Substanz unseres Landes auf Dauer nicht schützen können“, sagte Markus Jerger, der Bundesgeschäftsführer des Bundesverbands Mittelständische Wirtschaft, der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf stark gestiegene Energiepreise.

„Ein beträchtlicher Teil der Unternehmen hat bereits die Produktion reduziert, immer mehr Betriebe denken über die Verlagerung eines Teils ihrer Geschäftstätigkeit ins Ausland nach – die Lage für den Mittelstand wird von Tag zu Tag bedrohlicher“, so Jerger. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte erweiterte Hilfen für Unternehmen angekündigt. Jerger sagte, das sei ein Anfang. Aber die Unternehmen bräuchten Entlastung „schnell und unbürokratisch.“