Berlin. Als im April Zohra P. in Pankow von ihrem Ehemann getötet wurde, war der Schock groß. Femizide gehören in Berlin zum traurigen Alltag.

Alle drei Wochen wird in Berlin eine Frau Opfer eines Femizids, Besserung ist bei dieser extremsten Form der Gewalt gegen Frauen bisher nicht in Sicht. Berlins Gleichstellungssenatorin Ulrike Gote (Grüne) nannte die Zahlen für die vergangenen Jahre: 2019 wurden 18 Frauen von Ehemännern, Ex-Freunden, geschiedenen Partnern oder anderen Angehörigen umgebracht. 2020 waren es 20, 2021 dann wieder 18. Das sind in etwa halb so viele Menschenleben, wie der gesamte berliner Straßenverkehr pro Jahr fordert.

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Aufgeschreckt werden Politik und Gesellschaft immer wieder durch spektakuläre Fälle. Zohra P., 31 Jahre alt und Mutter von sechs Kindern, wurde im April 2022 auf der Straße in Pankow von ihrem Ehemann niedergestochen und tödlich verletzt, nachdem sie sich von ihm getrennt hatte. Zuvor hatte im Juni der Fall Maryam H. Schlagzeilen gemacht. Die 35-Jährige wurde mutmaßlich von ihren Brüdern umgebracht, weil ihnen die westliche Lebensweise der Schwester nicht gefiel. Die Reihe ließe sich fortsetzen und keineswegs spielen die Gewalttaten nur in Familien mit Migrationsgeschichte.

Nach der Tötung von Zohra P. ist Berlins Politik aktiv geworden und hat begonnen, die bestehenden Hilfesysteme für von Gewalt im familiären Umfeld bedrohten Frauen unter die Lupe zu nehmen. Man sei in Berlin zwar „vergleichsweise gut aufgestellt“, sagte Gote am Dienstag nach der Senatssitzung, in der ein Maßnahmepaket zum Gewaltschutz beschlossen worden war. Das Ziel bleibe aber, Berlin zu einem „sicheren Ort“ für alle Frauen zu machen.

Wachsender Frauenhass ist ein Thema

Die Problematik nehme eher noch zu, sagte die Senatorin. Wachsender Frauenhass sei ein Thema, dieser münde häufig in Gewalt. „Wir wollen alles tun, um solche Fälle in Zukunft verhindern zu können“, versprach die Senatorin. Bisher stehen in der Stadt 422 Schutzplätze in Frauenhäusern zur Verfügung, um akut Frauen und ihre Kinder aufnehmen zu können. 30 weitere Plätze bieten drei temporäre Not-Wohnungen. Daneben können 450 Frauen in Zufluchts- und sogenannten Zweite-Stufe-Wohnungen längerfristig unterkommen.

Neben einem Ausbau dieser Zufluchtsräume unter anderem in einem achten Berliner Frauenhaus mit 40 zusätzlichen Plätzen für Frauen und auch männliche Kinder sollen die Behörden vor allem die Einzelfälle besser koordiniert bearbeiten. Bei dem Tötungsdelikt in Pankow sei das von dem Ehemann ausgehende „Hochrisikopotenzial nicht gesehen und Informationen nicht zusammengeführt worden“, sagte Ulrike Gote. Künftig soll es zu einzelnen potenziellen Gewalttätern „multiinstitutionelle Fallkonferenzen“ geben, wo Polizei, Sozialarbeiter und andere Beteiligte nach bestimmten Standards zusammen wirken. Innensenatorin Iris Spranger (SPD) kündigte an, ab 2023 werde es in der Stadt eine geschützte App für Frauen geben, die von häuslicher Gewalt betroffen seien.

Aktivistinnen fordern differenzierte Statistik

Gote mahnte auch eine Verbesserung der Datenlage an. Oft würden Femizide nicht beim Namen genannt. Aktivistinnen beklagen schon länger, dass im Falle solcher Mordtaten dann entschuldigend von „Familiendramen“ die Rede sei. Auch in der polizeilichen Kriminalstatistik gebe es keine Differenzierung in Femizide und anders motivierte Tötungsdelikte. Man verzeichne die Taten, „aber wir wissen nichts über Motivlagen“, bemängelte die Gleichstellungssenatorin. „Wir brauchen eine differenziertere Statistik.“

In der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Vorjahr wurden insgesamt 15630 Opfer innerfamiliärer beziehungsweise partnerschaftlicher Gewalt gezählt. Davon 4525 Männer und 11.105 Frauen. In der Opfer-Tatverdächtigen-Beziehung gab es 10.693 Fälle in Partnerschaften und knapp 5000 in der Familie und sonstigen Angehörigen. 71,5 Prozent der Opfer partnerschaftlicher oder innerfamiliärer Gewalt waren 2021 weiblich, aber lediglich 25,4 Prozent der Tatverdächtigen waren Frauen.

Laut Kriminalstatistik handelte es sich bei den Gewalttaten innerhalb der Partnerschaft und Familie mit 55 Prozent um überwiegend vorsätzliche einfache Körperverletzungen, gefolgt von Bedrohungen (14 Prozent) und gefährliche und schwere Körperverletzungen (10,5 Prozent). Insgesamt standen 13 Opfer eines versuchten und 15 Opfer eines vollendeten Tötungsdelikts zum Tatverdächtigen beziehungsweise zur Tatverdächtigen in einem ehelichen, partnerschaftlichen oder familiären Verhältnis.

Die meisten Opfer gab es im Bereich Nachstellung (Stalking) gefolgt von vorsätzlicher einfacher Körperverletzung und Bedrohung.