Berlin. Trotz der Maske war Ferat Kocak die Anspannung anzusehen. Zum ersten Mal saß der Linkenpolitiker am Montag im Kriminalgericht Moabit den Neonazis gegenüber, die ihn verfolgt und seinen Wagen angezündet haben sollen. „Es ist beängstigend“, räumte Kocak nach dem ersten Prozesstag ein. „Es war kein Anschlag auf mein Auto, sondern auf Leib und Leben meiner Familie.“ Unter dem Motto „Rechten Terror stoppen“ gab es vor dem Gericht eine Kundgebung.
Nach jahrelangen zähen Ermittlungen müssen sich seit Montag Sebastian T. (36) und Tilo P. (39) vor dem Amtsgericht Tiergarten verantworten. Die beiden Rechtsextremisten sind nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft maßgeblich für die sogenannte Neuköllner Anschlagsserie verantwortlich. Zwischen Juni 2016 und März 2019 wurden vor allem im Süden des Bezirks Menschen, die sich gegen Rechts engagierten, immer wieder Opfer von Bedrohungen, Schmierereien und Brandstiftungen.
Die Beschuldigten hätten sie zu „unterdrücken und zu maßregeln“ versucht, hieß es in der Anklageschrift. Von den rund 70 Straftaten, die die Polizei der Serie zurechnet, ist es allerdings nur bei einer Handvoll zu einer Anklage gekommen– darunter zwei Brandstiftungen.
Kocak und seine Eltern schliefen, als das Auto direkt am Haus angezündet wurde
So sollen T. und P. in der Nacht zum 1. Februar 2018 zwischen 2.35 und 2.50 Uhr zunächst den Peugeot des Rudower Buchhändlers Heinz Ostermann und um 2.50 Uhr den Smart von Ferat Kocak angezündet haben. Letzterer stand direkt neben seinem Elternhaus, in dem zu diesem Zeitpunkt mehrere Personen schliefen.
Wie bereits die Ermittlungen verlief auch der Prozessbeginn holperig. Insgesamt sind fünf Personen angeklagt. Das Verfahren gegen einen wurde bereits im Vorfeld abgetrennt und das gegen einen weiteren am Montag, da er krankheitsbedingt ausfiel. So saß neben Sebastien T. und Tilo P. nur der 38-jährige Samuel B. mit auf der Anklagebank. Mit der Anschlagsserie soll B. laut Anklage jedoch nichts zu tun zu haben.
Noch bevor die Anklage verlesen werden konnte, beantragte Sebastian T.’s Anwalt Carsten Schrank, das Verfahren auszusetzen. Denn er sei vor der Zulassung Kocaks als Nebenkläger nicht angehört worden, was „verfassungswidrig“ sei. Erst am Freitag gab das Landgericht einer Beschwerden des Linkenpolitikers Recht, nachdem das Amtsgericht zunächst ablehnte.
Laut Landgericht besteht entfernte Möglichkeit eines Tötungsvorsatzes
Die Beschwerdekammer des Landgerichts sah die entfernte Möglichkeit, dass die Angeklagten mit einem Tötungsvorsatz gehandelt haben, ohne dass dieser auch tatsächlich im Raum stehe. Für Mirko Röder, Verteidiger von Tilo P., ergibt sich damit ein neuer Sachverhalt, für den ein Amtsgericht nicht mehr zuständig sei. Richterin Ulrike Hauser lehnte beide Anträge ab. Kocak wiederum gab an, die juristische Bewertung seiner Anwältin zu überlassen.
Neben den Brandstiftungen und einigen beleidigenden und bedrohenden Schmierereien an Türen und Klingelschildern sind auch eine Reihe von Sachbeschädigungen angeklagt.
So sollen die Angeklagten, darunter auch Samuel B., mehrfach Aufkleber und Plakate mit dem Konterfei des NS-Kriegsverbrechers Rudolf Heß angeklebt sowie ihn verherrlichende Parolen aufgesprüht haben – unter anderem zusammen mit dem Symbol der SS. Daher ist auch die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen angeklagt.
Sebastian T. soll Staat um 20.000 Euro betrogen haben
Sebastian T. muss sich außerdem wegen des Vorwurfs des Betrugs verantworten. Er soll beim Jobcenter wahrheitswidrige Angaben gemacht und so widerrechtlich Arbeitslosengeld II in Höhe von rund 15.000 Euro erhalten haben. Im April 2020 soll ihm die Investitionsbank Berlin weiter 5000 Euro an Corona-Hilfen gezahlt haben, auf die er ebenfalls keinen Anspruch gehabt hätte. Der Prozess wird Mittwoch fortgesetzt, das Urteil ist für Ende November geplant.