Gastronomie

Berliner geben kaum noch Trinkgeld

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Clara Andersen und Gesa Born
Balvir Singh Gora ist Chef des indischen Restaurants „Anand“ in Berlin-Mitte.

Balvir Singh Gora ist Chef des indischen Restaurants „Anand“ in Berlin-Mitte.

Foto: Jörg Krauthöfer / FUNKE Foto Services

Viele Kunden in Berlin geben nur noch wenig oder gar kein Trinkgeld: Personal ist in der Gastro-Branche besonders betroffen.

Berlin.  Die Preise steigen, Menschen sind zunehmend knapp bei Kasse. Deutlich merken das vor allem Mitarbeitende in Berlins Gastronomie – einer Branche, die sich derzeit eh schon immer schwerer tut, Personal zu finden. Viele Kellnerinnen und Kellner sich einig: In letzter Zeit fielen die Trinkgelder weniger üppig aus. Manche Gäste geben sogar gar keines, berichten sie.

Die Menschen hätten mittlerweile eine andere Lebenseinstellung, sagt Albulen Mamuti (29), der in dem italienischen Restaurant „Cinque“ in Berlin-Mitte kellnert: „Das Leben wird insgesamt teurer, also spart man automatisch überall da, wo es geht.“ Die vielen Krisen seien Grund für das sich wandelnde Trinkgeldverhalten der Menschen, sagt Albulen Mamuti. Die Höhe des Trinkgeldes habe vor allem mit Beginn der Corona-Pandemie rapide abgenommen.

Kellner berichten von 30 Prozent weniger Trinkgeld

Mit dieser Beobachtung ist er bei Weitem nicht der Einzige. „Ich würde sagen, seit geraumer Zeit bekomme ich rund 30 Prozent weniger Trinkgeld“, erzählt auch der 20 Jahre alte Kellner Phillip, der in dem Restaurant „AnAlley“ in Friedrichshain arbeitet. „Der generelle Umsatz ist vor allem durch Corona zurückgegangen. Und wenn weniger Leute kommen, gibt es auch weniger Trinkgeld“, so der Kellner. Einen neuen Job werde er sich deswegen aber nicht suchen. Er gehe noch zur Schule und sei auf das Geld nicht angewiesen.

Anders als Philip gibt es aber auch viele Menschen, die sich in der Gastronomie ihren Lebensunterhalt verdienen und es nicht so einfach wegstecken können, wenn das Trinkgeld ausbleibt. Eva, eine Mitarbeiterin in dem Café „Sag mir, wo die Blumen sind“ in Berlin-Mitte, hat den Eindruck, dass seit einiger Zeit 90 Prozent der Gäste weniger Trinkgeld gäben. „Es gibt weniger Kunden, weniger Trinkgeld und alles wird teurer. Das ist überall so. Viele Gäste geben auch gar kein Trinkgeld“, berichtet sie. „Dabei bin ich auf das Geld angewiesen, und einen höheren Lohn bekomme ich aufgrund des geringeren Trinkgeldes natürlich trotzdem nicht“.

Auch Balvir Singh Gora, Chef des indischen Restaurants „Anand“ in Berlin-Mitte sagt: „Es ist traurig, dass meine Mitarbeiter und ich hart arbeiten und trotzdem so wenig Geld bekommen“. Zwar könne er nicht sagen, wie viel weniger genau, „mal ist es mehr und mal weniger“, so Balvir Singh Gora. Er erklärt aber auch, dass sich einiges nicht erst seit gestern geändert habe.

Immer schwieriger Personal zu finden

Viele Touristen aus Spanien und Italien zum Beispiel hätten noch nie Trinkgeld gegeben, so Balvir Singh Gora – weil diese es aus ihren Ländern wohl nicht kennen würden. Oft sei hier das Trinkgeld bereits ins Gedeck mit einberechnet. Ein großes Problem für Berlins Servicebranche – in der es generell immer schwieriger wird, Angestellte zu finden. Er ist überzeugt: „Es wollen immer weniger Leute in der Gastronomie und vor allem im Service arbeiten.“ Er glaubt, dass stattdessen mehr Schwarzarbeit entstehe, da die angesichts der Inflation immer lukrativer werde.

Bis zu 20 Prozent weniger Trinkgeld bemerkt auch Tobias Heinz (32), der als Barista im Café „Caras“ am Kurfürstendamm arbeitet. Das sei so, „seitdem wir vor einem Monat oder zwei die Preise erhöht haben“. Seitdem seien die Menschen weniger spendabel, was das Aufrunden anginge. Außerdem habe die Kartenzahlung der Gäste zugenommen – und das Kassensystem lasse in dem Fall keine Trinkgeldgabe zu.

Am Kudamm zahlen viele Kunden noch mit Bargeld, am Potsdamer Platz nicht

Es gebe jedoch Standortunterschiede, die sich zwischen den fünf Filialen des Cafés „Caras“ in Berlin auftäten, sagt Tobias Heinz: „Am Kudamm haben noch die meisten Leute Bargeld dabei.“ Dort seien die Gäste sowieso spendabler als woanders. „Aber in den anderen Läden, gerade am Potsdamer Platz, da zahlen halt fast alle mit Karte.“

Dass Menschen nicht überall in Berlin gleichermaßen unter der Inflation leiden, zeigen auch die Erfahrungen von Gennaro Luagardi, Inhaber eines italienischen Restaurants an der Meinekestraße in einer Seitenstraße des Kurfürstendamms: „Was den Konsum betrifft, sind die Leute sogar großzügiger geworden.“ Er bemerke, dass sie in letzter Zeit länger sitzen blieben und mehr bestellten: „Noch eine Vorspeise, ein Dessert, eine dritte Flasche Wein.“ Die Folgen von Ukraine-Krieg und Inflation spüre er bei seinen Gästen noch nicht: „Vielleicht ändert sich das noch – aber hoffentlich nicht.“

Eine erhöhte Konsumlust kann Jasmin Waheed jedoch nicht bei sich feststellen. Sie ist an diesem Nachmittag Gast im Alt Berliner Biersalon am Kurfürstendamm und sagt: „Man geht insgesamt sehr viel weniger essen.“ Trotzdem: Wenn sie gehe, dann sei es ihr wichtig, auch Trinkgeld zu geben. Die 42-Jährige habe selbst schon in einem Bauerncafé gearbeitet: „Ich weiß, dass das an manchen Tagen in der Gastronomie große Summen an Trinkgeld sind, mit denen man nach Hause geht“ – und dass viele auf das Geld angewiesen seien. „Dementsprechend bin ich dann auch bereit, etwas zu geben und auch mal mehr, als nur auf den nächsten Euro aufzurunden. Die Löhne für Kellnerinnen und Kellner sind ja sowieso nicht besonders hoch“, so Jasmin Waheed. Es sei eine Form der Wertschätzung, die sie gerne durch ihr Trinkgeld zum Ausdruck brächte. „Wenn das Personal besonders freundlich ist, dann gebe ich nach wie vor gerne mein Trinkgeld. Und runde auch bei Kartenzahlung grundsätzlich auf.“

Bei Kartenzahlung runden die wenigsten Gäste auf

Dass in puncto Kartenzahlung ein Großteil der übrigen Gäste anders dächten als Jasmin Waheed, weiß Thorsten Brix, Geschäftsleiter des Alt-Berliner Biersalons: „Diejenigen, die in bar Trinkgeld geben, die geben eigentlich genauso viel wie immer.“ Mittlerweile zahlten jedoch seiner Einschätzung nach gut 70 Prozent der Gäste mit Karte. „Und da könnte man aufrunden – die meisten machen es aber einfach nicht. Man kann sich damit gut drücken vorm Trinkgeld, wenn man so will.“

Natürlich sei deswegen auch Mehrarbeit da, so Thorsten Brix: „Man muss ja viel mehr Umsatz machen, um die gleiche Trinkgeldmenge wie früher zu generieren.“ Gleichzeitig sei Personaldecke knapp bemessen. Ein Bereich im Alt-Berliner Biersalon ist zur Zeit gesperrt – „weil mir dafür einfach die Kellner fehlen“. Doch die Angst vor der nächsten Corona-Welle sei groß: „Dann stellst du am Ende wieder zu viele ein. Deshalb versuche ich, mit nicht so viel Personal in den Winter zu starten.“