Berlin. Wer auf den S-Bahn-Linien S45 oder S47 unterwegs ist, der merkt zurzeit besonders, dass er in einem Zug der neusten Baureihe sitzt. Nicht nur, weil die Bahnen anders aussehen, sondern vor allem weil sie – im Gegensatz zu den älteren Fahrzeugen – über eine Klimaanlage verfügen. Um drei Grad, erklärte S-Bahn-Chef Peter Buchner, werde die Temperatur im Inneren gegenüber der Außentemperatur gesenkt, was für Fahrgäste einen spürbaren Unterschied bedeutet. Die gute Nachricht: Ab kommendem Montag werden die neuen S-Bahnen auch auf der Linie S46 zwischen Westend und Königs Wusterhausen fahren.
Wie die S-Bahn Berlin am Freitag informierte, werden auf der 41 Kilometer langen Strecke 14 neue sogenannte Halbzüge – also Vier-Wagen-Einheiten – im Einsatz sein, rund 60.000 Fahrgäste sollen damit täglich von mehr Komfort profitieren. Die Züge bieten unter anderem auch Mehrzweckabteile mit mehr Raum für Fahrräder oder Kinderwagen sowie digitale Monitore für die Fahrgastinformation. Akustisch fallen die Züge auf, weil es beim Öffnen und Schließen der Türen nicht mehr den altbekannten Klang der S-Bahn gibt.
Die S-Bahn Berlin twitterte am Freitag ein Video aus der neuen S-Bahn und schrieb dazu: "Aber bei allem Respekt für die alten Züge der #Baureihe485 - jetzt ist es Zeit für etwas Neues und Modernes! (Und Kühleres!) Ab Montag sind die neuen, klimatisierten (!) Züge der #Baureihe483/#Baureihe484 auf der #S46 unterwegs. Tf Matthias Demba freut sich schon."
S-Bahn Berlin: 30 Jahre alte S-Bahnen werden ersetzt
Die Umstellung der Linie S46 auf die neuen Fahrzeuge erfolgt ein paar Tage früher als eigentlich geplant. Ursprünglich war als Datum der 1. Juli 2022 genannt worden. Die frühzeitige Lieferung neuer Züge, sagte S-Bahn-Chef Buchner, sei schon etwas „sehr Außergewöhnliches“. Hersteller sind Stadler und Siemens Mobility. Auf der Linie S46 werden mit den Fahrzeugen dann auch die rund 30 Jahre alten Züge der Baureihe 485 abgelöst, deren Konstruktion noch aus DDR-Zeiten stammt. Wie die S-Bahn erklärt, werden diese zunächst abgestellt und sollen dann nach und nach umweltgerecht entsorgt werden. Teilweise dienen sie aber auch noch als Ersatzteillager für die restlichen Fahrzeuge dieser Baureihe, die noch im Verkehr sind.
Die ersten neuen Züge der Baureihe 483/484 fahren schon seit dem 1. Januar 2021 durch Berlin. Gestartet war ihr Einsatz auf der Linie S47 zwischen Hermannstraße und Spindlersfeld. Weil die Produktion schneller vorankam als gedacht, konnten seit Ende 2021 zusätzlich neue Fahrzeuge auf der Linie S45 vom Südkreuz zum Hauptstadtflughafen BER eingetaktet werden. Dort werden auch weiterhin die neuen Züge fahren, bis im kommenden Jahr die beiden Ring-Linien S41 und S42 umgestellt werden. Zunächst ist aber im Herbst dieses Jahres, planmäßig am 14. Oktober, die Inbetriebnahme der Fahrzeuge auf der Linie S8 (Wildau – Birkenwerder) vorgesehen. Der Ring folgt dann in zwei Schritten.
„Im Frühjahr werden zuerst die Stammzüge von beiden Linien umgestellt, die regulär im Zehn-Minuten-Takt fahren“, erklärte Buchner. Die Fahrzeuge, die für eine Verdichtung auf einen Fünf-Minuten-Takt sorgen, sollen im Herbst 2023 ausgetauscht werden.
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Neue Züge schaffen für S-Bahn Berlin mehr Kapazitäten
Mit den neuen Fahrzeugen soll es aber nicht nur mehr Komfort, sondern auch mehr Kapazitäten geben. Weil die Züge auf dem Ring dann mit acht Wagen statt wie bisher mit sechs Wagen fahren, erhöht sich die Zahl der Sitzplätze um ein Drittel. Ende 2023, sagte Buchner, könnten dann aber auch auf anderen Linien mehr Züge fahren. Nach vollständiger Auslieferung aller neuen Fahrzeuge werden der S-Bahn zufolge 106 Zwei-Wagen-Einheiten mehr im Einsatz sein, wodurch die Flotte insgesamt über 25.000 zusätzliche Plätze verfügt.
Auf welchen Strecken die höheren Kapazitäten künftig zum Tragen kommen, steht aber noch nicht fest. „Die Abstimmungen zum Fahrplan 2023 laufen noch mit den Ländern“, so Buchner. „Es bleiben aber ungefähr 65 Viertelzüge für Angebotsausweitungen auf Nicht-Ring-Linien.“
Dass sich die Kapazitäten im S-Bahn-Verkehr erhöhen, hält Buchner auch für angebracht. Einerseits, weil diese gebraucht werden, um Autofahrer zum Umsteigen auf den öffentlichen Personennahverkehr zu bewegen, aber auch, weil die Fahrgäste nach der Pandemie nun schneller wieder zurückkämen als angenommen. Im Mai habe man bei etwa 85 Prozent der Vor-Corona-Niveaus gelegen, im Juni sei man wieder bei circa 95 Prozent angekommen, sagte Buchner. Dabei dürfte auch das 9-Euro-Ticket eine Rolle spielen. Rund 475.000 der günstigen Monatskarten seien bislang allein bei der S-Bahn Berlin verkauft worden. „Nächste Woche werden wir die 500.000 knacken“, prognostizierte der S-Bahn-Chef.
Neue Waschanlage in S-Bahn-Werk Grünau in Betrieb genommen
Für die neuen Fahrzeuge wurde am S-Bahn-Werk Grünau auch eine neue Waschanlage errichtet. Diese bedeutet für die Mitarbeitenden eine große Arbeitserleichterung. Seit 2020, nach dem Rückbau der alten Anlage, mussten die Züge per Hand gewaschen werden, berichtete Werksleiter Dirk Retzke.
Die Waschanlage – es ist die dritte der S-Bahn in Berlin – wurde vom polnischen Unternehmen Achat errichtet und ist 160 Meter lang, sodass darin ein Vollzug Platz hat. Gewählt werden kann zwischen einer Durchfahr- und einer Standwäsche, außerdem gibt es je nach Verschmutzungsgrad unterschiedliche Intensitäten. In der schnellsten Option ist ein Zug nach 13 Minuten wieder sauber, die Intensivwäsche dauert 46 Minuten. Festgeschrieben ist im Verkehrsvertrag, dass S-Bahnen alle 13 Tage gesäubert werden müssen.
Die Durchfahrwäsche, betonte Retzke, ist eine besondere Neuheit der Anlage. „Der Zug fährt mit Schrittgeschwindigkeit durch die Halle, die Bürsten sind an, und der Zug kommt danach sauber am Bahnsteig für unsere Kunden an. Dadurch sind wir natürlich auch schneller“, sagte Retzke. Wie der Werksleiter außerdem erklärte, werde das Waschwasser aufgefangen, sodass 85 bis 90 Prozent wieder verwendet werden können. Die Finanzierung der Anlage erfolgte als Teil des Ring-Verkehrsvertrags durch die Länder Berlin und Brandenburg. Insgesamt beläuft sich die Investition in die neuen Züge sowie die notwendige Anpassung der Werkstatt in Grünau laut S-Bahn auf 900 Millionen Euro.
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