Wiesbaden/Berlin. Die Teuerungsrate in Deutschland steigt im Mai auf 7,9 Prozent. Eine Entspannung ist nicht in Sicht.
Die Teuerung in Deutschland ist mit 7,9 Prozent auf den höchsten Stand seit fast 50 Jahren gesprungen. In einigen Bundesländern hat die jährliche Inflationsrate die Acht-Prozent-Marke bereits überschritten. Volkswirte rechnen nicht damit, dass das Preisniveau sich rasch entspannen wird – im Gegenteil. Immer mehr Verbraucherinnen und Verbraucher machen sich angesichts unvermindert kletternder Preise für Energie und Lebensmittel Sorgen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen.
Im laufenden Jahr liegt die Inflation in Deutschland im dritten Monat in Folge deutlich über sieben Prozent. „Angesichts anhaltend hoher Preise für Rohstoffe, Transportleistungen und andere Vorprodukte dürften die Verbraucherpreise auch in den nächsten Monaten stark steigen“, prognostizierte die Bundesbank in ihrem Monatsbericht Mai. „Vor dem Hintergrund der starken Teuerung auf den vorgelagerten Stufen dürfte die Inflationsrate aus heutiger Sicht im Mittel des laufenden Jahres bei etwa sieben Prozent liegen.“
Im Mai mussten Verbraucher hierzulande nach Berechnungen des Wiesbadener Bundesamtes für Energie 38,3 Prozent mehr zahlen als vor Jahresfrist, Lebensmittel verteuerten sich um 11,1 Prozent. Für Entwarnung sei es noch zu früh, meint Jörg Zeuner, Chefvolkswirt des Fondsanbieters Union Investment. „Ein Umfeld anhaltend hoher Inflationsraten wie etwa in den 1970er-Jahren ist allerdings unwahrscheinlich.“ Dennoch rechnet Zeuner erst ab Ende 2022 mit einem Rückgang der Teuerung und ab Anfang 2024 mit Inflationsraten, die mit zwei Prozent bis 2,5 Prozent deutlich näher an der Zielmarke der Europäischen Zentralbank (EZB) von zwei Prozent liegen: „Der wesentliche Grund: Nachfrage und Angebot sollten bis dahin besser in Einklang miteinander kommen.“
Verbraucher sind besorgt. In einer Erhebung im Auftrag der Auskunftei Schufa gaben 38 Prozent der 1000 Befragten an, dass es ihnen zunehmend schwerfallen werde, die Dinge des täglichen Bedarfs zu bezahlen. Im Januar hatten sich 28 Prozent entsprechend geäußert. 14 Prozent und damit vier Prozentpunkte mehr als im Januar müssen nach eigener Einschätzung wahrscheinlich einen Kredit aufnehmen, um ihren Lebensstandard zu halten. Nach aktuellen Berechnungen des Kreditversicherers Allianz Trade müssen die Menschen für Lebensmittel in den kommenden Monaten wahrscheinlich noch einmal deutlich mehr bezahlen. „In Deutschland dürften die Preise im Lebensmitteleinzelhandel 2022 um mehr als zehn Prozent anziehen“, fasste Allianz-Trade-Handelsexperte Aurélien Duthoit zusammen. Pro Kopf entspreche das im Schnitt 250 Euro Mehrkosten im Jahr.
Inflation: Berliner Unternehmen bleiben auf ihren Kosten sitzen
Finanzminister Christian Lindner hat die Bekämpfung der hohen Inflation als Ziel für die laufenden Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2023 erklärt. Oberstes Gebot müsse sein, die wirtschaftliche Entwicklung zu stabilisieren und gegen die steigenden Preise anzugehen, sagte der FDP-Chef am Montag in Berlin. Mit dem Etat für das kommende Jahr werde die expansive Finanzpolitik in Deutschland beendet. „Es geht jetzt darum, Verantwortung zu zeigen gegenüber der Generation der Kinder und Enkel“, sagte Lindner. Es bleibe dabei, dass die Schuldenbremse 2023 wieder greifen solle. Zugleich aber müsse die Bundesregierung Druck von den Preisen nehmen und nicht durch Subventionen in bestimmten Bereichen noch mehr Nachfrage erzeugen.
Auch die Berliner Wirtschaft leidet unter der aktuell hohen Inflation. „Die steigenden Preise für Energie, Rohstoffe und Vorprodukte sind für die Wirtschaft ein Riesenproblem“, sagt der stellvertretende Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg, Alexander Schirp. „Viele Unternehmen können die Preissteigerungen nicht weitergeben und bleiben auf dem größten Teil der steigenden Kosten sitzen.“ Ein Ausgleich für die steigenden Preise könne nicht über die Tarifpolitik erfolgen. „Die Tarifparteien sind jetzt gefordert, Abschlüsse auszuhandeln, die die Wirtschaft nicht zusätzlich belasten und nicht zu einer Lohn-Preis-Spirale führen“, sagte Schirp der Berliner Morgenpost.
Auch die Industrie- und Handelskammer (IHK) sieht erhebliche Risiken. „Knapp jedes zweite Unternehmen ist in erheblichem Umfang von Preissteigerungen betroffen, weitere 28 Prozent von Preissteigerungen in mittlerem Umfang“, heißt es im aktuellen IHK-Konjunkturbericht. „Wir sind mit wirtschaftlichen Problemlagen weltweiten Ausmaßes konfrontiert, die Berliner Politik allein wird es nicht richten können“, sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Jan Eder.