Berlin und Brandenburg sind noch nicht bereit dafür, dauerhaft auf russisches Öl zu verzichten. Beide Bundesländer werden zu 95 Prozent mit Öl aus der Druschba-Pipeline versorgt. Die Leitung kommt in der PCK-Raffinerie in Schwedt an, die zu großen Teilen dem russischen Ölkonzern Rosneft gehört. Schwedt bedient fast alle Tankstellen in Berlin und Brandenburg. Dass diese Abhängigkeit zu einem Problem werden könnte, wissen Politik und Wirtschaft. Deswegen arbeitet man an Lösungen.
Berlins Wirtschaftssenator Stephan Schwarz (parteilos, für SPD) forderte am Donnerstag erneut entschlossenes Handeln seitens der Bundespolitik und der Mineralölkonzerne. Ein EU-Vorschlag sehe für die Umsetzung des Öl-Embargos eine Übergangsfrist von sechs Monaten vor, so Schwarz. Wenn es dem Bundesministerium nicht rechtzeitig gelänge, die Causa Schwedt zu lösen, werde das Auswirkungen auf die ganze Hauptstadtregion und einen großen Teil Ostdeutschlands haben.
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Wirtschaftssenator Schwarz: „Niemand will lange Schlangen zu den Zapfsäulen sehen“
„Um Engpässe auszugleichen, müssten die gut gefüllten Vorräte freigegeben werden und ich sage auch ganz klar: Ostdeutschland muss dann bei der Zuteilung Priorität haben“, erklärte er. Natürlich seien auch die Mineralölunternehmen gehalten vorzusorgen, um ihr Benzin von anderen Raffinerien zu beziehen, allein schon aus eigenem Interesse. „Niemand will lange Schlangen zu den Zapfsäulen sehen, am wenigsten die Tankstellen selbst“, so Schwarz gegenüber der Berliner Morgenpost.
Vom Bundeswirtschaftsministerium hieß es am Donnerstag, aus technischer Sicht wäre eine alternative Versorgung der Schwedt Raffinerie über die Häfen Rostock und Danzig möglich. „Es rächt sich, dass trotz des Krim-Kriegs ein russischer Energiekonzern so starken Einfluss auf die Versorgungssituation bekommen hat“, sagte eine Sprecherin. Die Bundesregierung kümmere sich nun intensiv darum, dieses Problem zu lösen, um die Voraussetzungen für die völlige Unabhängigkeit von russischem Öl zu schaffen. Dazu finde ein enger Austausch mit der polnischen Regierung zur Vertiefung der Kooperation für die Versorgungssicherheit in der Region statt.
Experte: Russisches Öl könnte mit Nordsee-Sorten ersetzt werden
Sowohl von Danzig als auch von Rostock aus gibt es dem Energiemarktexperten Steffen Bukold zufolge Pipeline-Verbindungen bis nach Schwedt. Statt russischem Öl müssten dann passende Sorten wie Sverdrup aus der Nordsee vor Norwegen oder Forties vor der Küste Großbritanniens verwendet werden, so Bukold. Beide seien mit Blick auf den Schwefelgehalt und der Dichte des Öl vergleichbar mit der russischen Sorte. Bis zu 80 Prozent der gewöhnlichen Produktion von Schwedt könnte man so wohl sicherstellen, schätzt der Experte.
Dennoch müssten in der Raffinerie und in der Logistik technische Anpassungen vorgenommen werden, damit die Alternativversorgung funktioniert. „Es ist denkbar, dass das nicht rechtzeitig gelingt“, sagte er weiter. Zusätzliche Mengen müssten dann über Binnenschiffe, Züge und Tankwagen herangeschafft werden. Dann gebe es auch noch die nationalen Ölreserven. „Wird alles gut gemanagt, gibt es kein logistisch unüberwindbares Problem“, glaubt Bukold. 2019, als verunreinigtes Rohöl aus Russland in der Druschba-Pipeline festgestellt wurde, lief die Versorgung von Schwedt auch schon einmal über kleinere Tanker und den Rostocker Hafen. Insgesamt 800.000 Tonnen Rohöl gingen damals in der Hansestadt über die Kai-Kanten.
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Verband: Versorgung der Hauptstadt weiter möglich, aber mit Anstrengungen bei Logistik verbunden
Auch der Wirtschaftsverband Fuels und Energie, einem Zusammenschluss von Mineralölkonzernen, äußerte sich zuversichtlich: „Wenn der Übergang bei Rohölimporten, angepasster Logistik und Weiterbetrieb der beiden Raffinerien (Leuna und Schwedt; d. Red.) zumindest in Teillast gelingt, wovon wir ausgehen, kann auch die Tankstellenversorgung bundesweit inklusive der Hauptstadtregion aufrechterhalten werden. Allerdings wird das die Möglichkeiten der Logistik auf dem Binnenschiff, der Schiene und der Straße erheblich beanspruchen“, sagte Verbands-Hauptgeschäftsführer Christian Küchen.
Wie groß der Bedarf an Ölerzeugnissen in der Region ist, zeigt ein Blick auf Zahlen vergangener Jahre: Der Berliner Wirtschaftsverwaltung zufolge seien in Deutschland 2020 rund 96 Millionen Tonnen des Rohstoffes Öl verbraucht worden. In Berlin seien es etwas mehr als 4500 Tonnen am Tag gewesen, im Jahr 1,7 Millionen Tonnen. In Brandenburg lag der Ölverbrauch in dem Jahr bei 2,3 Millionen Tonnen. Die gesamten Erdölreserven beliefen sich deutschlandweit 2021 auf rund 27,4 Millionen Tonnen.
Wirtschaft warnt vor Folgen eines Öl-Embargos
Die Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg (UVB) teilten mit, ein Öl-Embargo würde Brandenburg und Berlin in eine schwierige Lage bringen. „Steigende Treibstoffkosten würden unmittelbar alle Branchen treffen, die auf Mobilität angewiesen sind: Speditionen, Fluggesellschaften, Pflege- und Lieferdienste, Taxis, Busunternehmen, Fahrschulen, Handwerker und viele mehr“, sagte UVB-Geschäftsführer Sven Weickert. Von der Industrie- und Handelskammer (IHK) hieß es, vor allem kurzfristiger Lieferstopp von russischem Öl kommen, wären für Berlin und die hier ansässigen Unternehmen gravierend. „Die Versorgungslage wäre unmittelbar gefährdet. Preise würden explodieren, Lieferketten würden gestört“, so IHK-Geschäftsführer Henrik Vagt. Auch mittel- und langfristig würden russische Öl- Lieferungen wohl nicht zu 100 Prozent zu ersetzen sein. „Auch in diesem Fall müssen wir mit erheblichen Preissteigerungen rechnen. Zeit spielt also eine wesentliche Rolle, damit die Unternehmen die Möglichkeit haben, sich auf einen derart massiven exogenen Schock zumindest in Teilen vorzubereiten“, erklärte er.
Auch Fraktionen im Berliner Abgeordnetenhaus äußerten am Donnerstag Bedenken hinsichtlich der Berliner Kraftstoffversorgung nach dem Inkrafttreten eines Embargos gegen russische Ölimporte. „Negative Auswirkungen auch auf Tankstellen können derzeit nicht ausgeschlossen werden. Gerade die Bundesregierung arbeitet mit aller Kraft daran, dies zu verhindern“, sagte der Grünen-Fraktionschef Werner Graf. Gleichzeitig heiße das für Berlin, den Weg weg vom Öl weiterhin mit voller Kraft weiter zu gehen. Dies betreffe gerade die Verkehrswende.
FDP: Frühzeitig an neuen Logistikketten arbeiten
Der Sprecher für Energie der FDP, Christian Wolf, sagte, bei einem Embargo stehe Berlin vor einer logistischen Herausforderung, denn dann müssten Kraftstoffe auf anderen Wegen, mittels Tank-Lkw, Zug oder Binnenschiff in die Region transportiert werden. „Inwieweit diese neue Logistikkette Auswirkung auf Verfügbarkeit von Kraftstoffen und deren Preisentwicklung hat, kann noch nicht abschließend vorhergesagt werden. Ganz störungsfrei wird diese Umstellung sicher nicht sein und es wird zu Knappheiten kommen“, so Wolf. Bereits heute müssten deshalb neue, stabile Logistikketten geplant und etabliert werden, forderte er.