Berlin. Seit sie 2016 erstmals ins Berliner Abgeordnetenhaus und in Bezirksverordnetenversammlungen eingezogen waren, sind die Politiker der AfD die Parias des Parlamentsbetriebes, also so etwas wie die Ausgestoßenen. Aber so sehr im Abseits wie jetzt standen die Rechtspopulisten in Berlin noch nie.
In drei Bezirksämtern sind der AfD zustehende Stadtratsposten mehr als ein halbes Jahr nach den Wahlen noch immer vakant. In Spandau, Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf weigerten sich die Bezirksverordneten der anderen Parteien bislang, die AfD-Bewerber ins Amt zu wählen. Im Abgeordnetenhaus selbst verweigerten die Fraktionen von Linken bis CDU diese Woche zum wiederholten Mal die Zustimmung zu den Personalvorschlägen der Rechten für diverse Posten.
Egal, ob es um die Überwachung des Verfassungsschutzes im dafür zuständigen Ausschuss und in der sogenannten G10-Kommission ging, um den Richterwahlausschuss, das Kuratorium der Landeszentrale für politische Bildung oder um Gremien des Lette-Vereins oder des Pestalozzi-Fröbel-Hauses: Parlamentsvizepräsidentin Cornelia Seibeld (CDU) konnte am Donnerstag nur immer mit stoischer Miene das gleiche Ergebnis verkünden: „nicht gewählt“. Die AfD-Abgeordneten bekamen nie mehr als eine oder zwei zusätzliche Ja-Stimmen als die ihrer eigenen 13 Volksvertreter.
AfD fühlt sich als Opfer undemokratischer Umtriebe
Die AfD fühlt sich nun als Opfer undemokratischer Umtriebe. Um zumindest in den Bezirken Abhilfe zu schaffen, hat die Fraktion beantragt, das Abgeordnetenhaus möge den Senat nun dazu drängen, als Bezirksaufsicht einzuschreiten und die Bezirksverordneten dazu zu bringen, von ihrem Nein zu den AfD-Stadtratskandidaten abzurücken. Nur in Treptow-Köpenick war der AfD-Mann Bernd Geschanowski im dritten Anlauf als Stadtrat für öffentliche Ordnung gewählt worden. In Spandau ist Andreas Otti, in der letzten Legislaturperiode Umweltstadtrat, bereits sieben Mal durchgefallen. Ebenso erging es in Lichtenberg dem bisherigen Stadtrat Frank Elischewski, in Marzahn-Hellersdorf scheiterte der Newcomer Michael Adam.
Dass nun in Lichtenberg, Spandau und Marzahn-Hellersdorf viel Arbeit liegen bliebe, weil die AfD-Leute im Bezirksamt fehlen, wird dort so nicht bestätigt. Zumal die Rechtspartei bei der Verteilung der Ämter ohnehin sehr spärlich bedacht wurde und jeweils nur für ein Amt zuständig sein sollte. „Die Arbeit im Bezirksamt läuft gut, auch ohne sechsten Stadtrat“, sagte Spandaus Baustadtrat Thorsten Schatz (CDU).
Verletzung der Minderheitenrechte wird anderen Parteien vorgeworfen
Die AfD ist deswegen empört und vermutet Methode. Der AfD-Abgeordnete Marc Vallendar warf den Fraktionschefs von SPD und CDU, Raed Saleh und Kai Wegner, „Aufforderung zum Rechtsbruch“ vor. Die beiden hätten als Vorsitzender der Spandauer Kreisverbände ihrer Parteien ihren Bezirksverordneten die Order erteilt, die AfD-Stadträte in diesen Bezirk zu blockieren. „Die Aufgaben können im Bezirk nicht mehr effektiv wahrgenommen werden“, schimpfte Vallendar: „Das ist ein rechtswidriger Zustand.“ Die AfD wirft den anderen Parteien eine Verletzung der Minderheitenrechte vor: „Der Minderheitenschutz von heute schützt morgen vielleicht auch Sie.“
AfD-Landes- und Fraktionschefin Kristin Brinker sagte, man sei dabei zu prüfen, inwieweit man den Klageweg beschreiten könne. Es sind aber nicht nur die Fraktionen der rot-grün-roten Koalition, die sich fundamental gegen die AfD stellen und ihren Personalvorschlägen die Zustimmung verweigern. „Sie haben diese Entwicklung durch ihre Aussagen selbst herbeigeführt“, sagte der CDU-Innenexperte Frank Balzer. In seiner Zeit als Reinickendorfer Bezirksbürgermeister hat der dem rechten Parteiflügel zugerechnete Politiker selbst mit dem AfD-Ordnungsstadtrat Sebastian Maack zusammengearbeitet.
FDP plädiert für das politische Bezirksamt
Auch der FDP-Mann Björn Jotzo machte den Bank-Nachbarn von der AfD wenig Hoffnung auf Unterstützung der Liberalen: „Das Pferd, das sie reiten, ist tot“, sagte Jotzo. Um Situationen wie in den drei Bezirken mit nicht kompletter Führungsmannschaft zu vermeiden, brauche es das politische Bezirksamt. Dann würden sich auch auf Bezirksebene Koalitionen bilden, die Regierungsparteien würden die Stadtratsposten besetzen, die AfD wäre überall in der Opposition. Derzeit werden die Bezirksämter nach Proporz besetzt. Wer bei den Bezirks-Wahlen rund 15 Prozent bekommt, darf einen der neuerdings sechs Stadträte stellen.
Für die Linke sagte die stellvertretende Fraktionschefin Manuela Schmidt, es sei rechtlich unmöglich, als Abgeordnetenhaus oder Senat die frei gewählten Bezirksverordneten irgendwie anzuweisen. Dass die AfD-Bewerber nicht gewählt werden, liege daran, dass sie eben nicht das Vertrauen der Bezirksvertreter genießen oder fachlich als nicht geeignet bewertet würden. Die AfD hält das für vorgeschoben, weil zwei Kandidaten ja schon Stadträte gewesen waren.
Der AfD-Abgeordnete Frank-Christian Hansel sagte, die anderen Fraktionen würden ein „Theater abziehen“. Dabei habe seine Partei einen „Repräsentationsauftrag“ für ihre Wähler. Er warf den Parteien vor, einen „Vernichtungsfeldzug“ gegen die AfD zu führen. „Sie wollen uns weghaben“, sagte Hansel.
Tiefer Graben auch durch Aktionen wie mit dem „Putin-Boy“
Der Graben zwischen der AfD und den anderen Parteien vertieft sich auch durch Aktionen wie zuletzt im Abgeordnetenhaus. Ausgerechnet den Marzahner Abgeordneten Gunnar Lindemann schickte die AfD vor, um ihren Antrag mit dem Titel „Volle Solidarität mit den Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine“ zu begründen. Lindemann gilt den anderen Fraktionen wegen seiner Nähe zu Russland als „Putin-Boy“. Er reiste auf die völkerrechtswidrig annektierte Halbinsel Krim und feierte die Anerkennung der selbst ernannten Volksrepubliken in der Ostukraine durch Russland auf Twitter. Für seine Partei forderte Lindemann nun, andere Geflüchtete auszuweisen, um Ukrainer unterbringen zu können.
Die Empörung war einhellig. Von „perfide“ bis „ekelhaft“ reichten die Reaktionen der anderen Fraktionen, einschließlich der Opposition. Zwei Stunden später fielen dann alle AfD-Kandidaten bei den Wahlen für die vom Parlament zu besetzenden Posten durch. Eine Einigung ist nicht in Sicht.