Energieversorgung

Gasag erhöht die Gaspreise so stark wie noch nie

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Joachim Fahrun
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Kunden der Gasag müssen ab Mai mehr bezahlen - und der Krieg in der Ukraine ist in diese Erhöhung noch gar nicht eingepreist.

Berlin. Nicht nur an den Tankstellen müssen die Autofahrer inzwischen viel mehr bezahlen als vor einigen Wochen, auch die Gasrechnung für Haushalte und Gewerbekunden wird massiv teurer. Berlins größter Gasversorger Gasag wird seine Preise so stark anheben wie noch nie in seiner mehr als 170-jährigen Geschichte. Zum 1. Mai müssen Kunden in der Grundversorgung 26 Prozent mehr für den Brennstoff bezahlen als bisher, kündigte das Unternehmen am Montag an.

Bei einem Verbrauch von 12.000 Kilowattstunden in einer durchschnittlichen Berliner Wohnungsgröße bedeute das eine Gasrechnung von insgesamt 118 Euro und damit 24,50 Euro mehr im Monat, rechnete die Gasag vor. Für ein Einfamilienhaus mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden müssten die Kunden 41 Euro mehr bezahlen. Der Arbeitspreis, also der Preis für die verbrauchte Menge, klettert um 2,46 Cent pro Kilowattstunde, der Grundpreis für den Anschluss bleibe stabil.

Nach Angaben der Gasag handelt man in Berlin mit der Preiserhöhung ebenso wie andere deutsche Versorger, die ebenfalls ihre Tarife massiv anheben müssen, zum Teil sogar um 40 Prozent und mehr. Gleichwohl dürfte der Preissprung zum Ende der Heizperiode 2021/22 noch nicht das Ende der Entwicklung sein. Mit dem Aufschlag von 26 Prozent deckt die Gasag nur die Entwicklung auf den Energiemärkten vor dem russischen Angriff auf die Ukraine ab.

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Angesichts der „Panikreaktionen“ auf den Märkten seien Preiserhöhungen unumgänglich

Seitdem habe es aber auch auf den Märkten weitere „Panikreaktionen“ gegeben. Gas werde aktuell fünfmal teurer angeboten und gekauft als im März 2021. Auch diese Preise werden in den kommenden Monaten an die Verbraucher weitergegeben werden müssen, hieß es von der Gasag. Niemand erwarte, dass die Preise zum alten Niveau zurückkehren werden. „Relevante Preiserhöhungen sind in der Energieversorgung unumgänglich“, heißt es in einer Mitteilung des Unternehmens. Bereits zum Jahreswechsel 2022 hatte die Gasag ihre Preise um 16 Prozent angehoben. Auch für Strom werden in der Energiebranche deutliche Preissteigerungen erwartet.

Für die Bestandskunden sagt die Gasag zu, die Großhandelspreise nicht komplett in die Tarife einzuarbeiten. Man habe sich frühzeitig große Gasmengen zu niedrigeren Preisen gesichert. Besonders belastet wird das Unternehmen durch die bereits erfolgten und erwarteten Pleiten anderer Gasversorger. Diese können ihre Zusagen von günstigen Tarifen angesichts der rasant gestiegenen Großhandelspreise nicht einhalten und verschwinden vom Markt wie das Angebot von Gas.de. Die Zigtausenden Kunden dieser Anbieter fallen dann automatisch zum Grund- und Ersatzversorger Gasag. Dort zahlen sie bisher seit Dezember 2021 einen extrem hohen Preis. Denn für diese zusätzlichen Abnehmer muss die Gasag den Brennstoff zu aktuellen Preisen kurzfristig am Spotmarkt einkaufen.

Ab Mai 2022 wird die Gasag diesen Tarif für Neukunden mit dem für die Grundversorgung zusammenführen. Das bedeutet für sie eine Preissenkung, während Bestandskunden mehr bezahlen müssen. Die Werbung um neue Kunden hat die Gasag angesichts dieser Lage heruntergefahren. Bestandskunden würden aber weiter beliefert, hatte Gasag-Chef Georg Friedrichs vergangene Woche zugesichert.

Gasag macht sich Sorgen um einkommensschwache Haushalte

Die Gasag wurde 1998 vom Land Berlin privatisiert und gehört den Energiekonzernen Vattenfall, Eon und Engie. Das Management macht sich aber nun Gedanken, ob viele ihrer Kunden die aktuellen und weiteren Preiserhöhungen tragen können. Gerade für Geringverdiener könnte es schwierig werden, die zusätzlichen Belastungen zu tragen. Man sei deshalb mit dem Senat im Austausch, wie man in Not geratene Kunden unterstützen könne. 2021 wurde bereits 1700 Haushaltskunden wegen nicht bezahlter Rechnungen das Gas abgedreht. „Wir wollen nicht mehr Gassperren“, sagte Gasag-Chef Friedrichs.

Um das zu vermeiden, werde die Gasag ihr Engagement im Fachforum Energiearmut ausweiten. Der Kundenservice tausche sich beim Vorliegen einer Vollmacht direkt mit Sozialämtern und Jobcentern aus, um staatliche Unterstützung für Kunden zu sichern, die mit ihrer Gasrechnung überfordert seien. Es sei aber ganz wichtig, dass die Betroffenen sich bei der Gasag meldeten und ihre Probleme darlegten. Die Zahl der Fälle, in denen die Zahlung in Absprache zwischen Unternehmen und Kunden gestundet wurde, sei im vergangenen Jahr um 50 Prozent gestiegen.

Linke fordert mehr Hilfen des Landes gegen Energiearmut

Die Linken-Fraktion im Abgeordnetenhaus hat bei ihrer Klausurtagung am Wochenende auch über das Thema Energiearmut beraten. Man müsse in den Verhandlungen über den Doppelhaushalt 2022/23 zusätzliche Hilfszahlungen für einkommensschwache Haushalte einplanen, hieß es.

Trotz der Preiserhöhungen der Vergangenheit hat die Gasag nach eigenen Angaben keine erhöhte Wechselbereitschaft ihrer Kundschaft registriert. Es gebe im Gegenteil eine größere Nachfrage nach verlässlichen Versorgern.

Ohne Lieferungen aus Russland müsste der Industrie das Gas abgeklemmt werden

Die explodierenden Energiepreise werden nach Einschätzung von Gasag-Chef Friedrichs und seinen Kollegen im Management ein gesellschaftliches Problem in den kommenden Monaten und Jahren werden. Niemand im Markt wolle derzeit mit russischen Lieferanten wie Gazprom langfristige Verträge abschließen. Noch laufe die Gasversorgung aus Russland über die beiden Pipelines aber störungsfrei. In Deutschland werden aber zunehmend in der Politik Stimmen laut, die einen Boykott russischer Energielieferungen fordern, weil damit der Ukraine-Krieg mitfinanziert werde.

Die Gasag hatte vergangene Woche vorgerechnet, dass auch ohne russisches Gas die Heizungen in Berliner Wohnungen nicht kalt bleiben würden. Die Wärmeversorgung für private Haushalte und andere geschützte Kunden wie Behörden oder Krankenhäuser sei auch aus anderen Quellen zu sichern. Allerdings müssten beim Ausfall der bisher aus Russland gelieferten 50 Prozent der Gasmengen die Großverbraucher aus der Industrie abgeklemmt werden, was erhebliche negative Einflüsse auf die deutsche Wirtschaft und die Steuereinnahmen des Staates hätte.