Berlin. Es ist ein Vorwurf, der es in sich hat: Polizeikräfte würden minderjährige Geflüchtete rassistisch behandeln und rechtswidrig gegen sie vorgehen. Dabei werde auch körperliche und physische Gewalt angewendet, wie es vom „Arbeitskreis Schutzräume“, einer Initiative verschiedener antirassistischer Vereine in Berlin, heißt. Vor diesem Hintergrund ging am Donnerstag eine Webseite des Vereinsverbundes an den Start, auf der rassistische Polizeigewalt in der Jugendhilfe dokumentiert werden soll. Darauf aufbauend will die Initiative Druck auf die Berliner Politik ausüben, der sie Versagen und sogar Verstrickung vorwürft.
Opferberatungsstelle: „Es herrscht eine immense Willkür“
„Es sind keine Einzelfälle“, behauptet Parto Tavangar von der Berliner Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Reachout. „Wir erhalten regelmäßig Anfragen von den Sozialarbeiterinnen und -arbeitern aus den Jugendhilfeeinrichtungen, die fragen, wie sie damit umgehen sollen, wenn Polizisten beispielsweise minderjährige Flüchtlinge ohne ihre Anwesenheit verhören.“ Es würden Wohnungen ohne Durchsuchungsbefehl durchsucht, Gegenstände beschlagnahmt und DNA-Proben genommen. „Es herrscht eine immense Willkür.“ Zwar gerieten auch deutsche Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Fokus rassistischer Polizeiarbeit, doch in erster Linie seien minderjährige Flüchtlinge betroffen.
„Diese Gruppe ist sehr vulnerabel aufgrund ihrer Fluchterfahrung“, erklärt Nora Brezger vom Flüchtlingsrat Berlin e. V. Seit 2015 würden vermehrt Meldungen über solche Polizeieinsätze gegen minderjährige Flüchtlinge eingehen. Die diskriminierende Behandlung durch die Polizei würde die Jugendlichen retraumatisieren und stehe im klaren Widerspruch zu den Zielen der Jugendhilfe, den jungen Menschen einen sicheren Raum zu schaffen.
Resonanz bisher gering
Vor drei Jahren gründete sich daher der „Arbeitskreis Schutzräume“ unter der Beteiligung mehrerer Beratungsorganisationen und verschiedener Jugendhilfeträger. In dieser Zeit wurde unter anderem der Fragebogen entwickelt, der auf der Webseite zu finden ist und in verschiedenen Sprachen verfügbar ist. Darüber hinaus wurde an einem Handbuch für Fachkräfte in den betroffenen Einrichtungen gearbeitet, mit dem diese juristische Beratung erhalten.
Mit 250 Jugendhilfeträgern und rund 1500 minderjährigen Flüchtlingen hat der „Arbeitskreis Schutzräume“ eine große Zielgruppe. Durch langjährige Vernetzungsarbeit und das Anschreiben der Träger wolle man möglichst viele Betroffene erreichen. Doch die Resonanz sei bisher gering, was die Mitglieder der Initiative auf die Angst in den Einrichtungen zurückführt, die Unterstützung des Senats zu verlieren. Außerdem wolle kein Träger im schlechten Licht dastehen, wenn vermehrt Fälle in ihren Institutionen bekannt werden würden.
Vorwurf: Senat decke Polizeigewalt
In sechs Monaten könne laut Biplab Basu, Berater bei ReachOut, eine erste Evaluation durchgeführt werden, die Auskunft über das Ausmaß der vorgeworfenen rassistischen Polizeigewalt geben würde. Damit hätte der Verbund ein politisches Druckmittel gegen den Senat, dem sie vorwirft, die Polizeigewalt zu verdecken. So seien beispielsweise die polizeilichen Fehler im Falle der siebzehnjährigen Berlinerin, die vor kurzem in Berlin rassistisch attackiert wurde, vom Senat vertuscht worden.
Die Initiative hat daher fünf Forderungen formuliert, die sie an den Senat richten: So sollen unter anderem Jugendhilfeeinrichtungen nur im Notfall, in Anwesenheit von Fachkräften und mit einem Durchsuchungsbefehl durchsucht werden können. Außerdem solle die Polizei im Umgang mit minderjährigen Flüchtlingen geschult werden.
Inwiefern diese Forderungen erfüllt werden, wird auch von der Auswertung der Meldeeingänge auf der neuen Webseite abhängen. Basu gibt sich jedenfalls kämpferisch: „Die Hürden sind groß, aber wir sind auch nicht klein.“