Berlin. Seit Tagen blockieren Klimaaktivisten die A100 in Berlin. Im Abgeordnetenhaus wurde kontrovers über die Aktionen debattiert.

Wohl selten war eine Debatte im Berliner Abgeordnetenhaus so aktuell wie an diesem Donnerstagmorgen. Denn auch an diesem Tag hatten Aktivisten wieder Autobahnauffahrten in Berlin blockiert, um für Klimaschutz und gegen die Verschwendung von Essen zu protestieren. Die AfD-Fraktion hatte für die Aktuelle Stunde das Thema mit dem entsprechenden Zungenschlag als „Linke Straßenblockaden brechen, Täter bestrafen“ durchgesetzt.

„Die Stadt wird die ganze Zeit terrorisiert von irgendwelchen Leuten, die meinen, sie könnten anderen ihre Meinung aufdrücken“, setzte der AfD-Abgeordnete Marc Vallendar den Ton. Berlin könne es sich nicht erlauben, weiterhin von einer kleinen Gruppe Intensivtäter in Geiselhaft genommen zu werden. „Die Radikalisierung der Klimaszene schreitet immer weiter voran“, sagte Vallendar. Der „Untergangsglaube“ der „Weltenretter“ werde gespeist durch die Losung der Grünen, dass Politik und Deutschland voran den Klimawandel aufhalten könnten. Aber es sei ein „Irrglaube, dass hoher Lebensstandard und signifikante CO2-Reduzierung möglich seien.

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Zwar distanzierten sich die Redner der anderen Fraktionen von den Tendenzen der AfD, den Klimawandel und die Folgen klein zu reden. Die erregte Debatte über die seit zwei Wochen laufenden etwa 30 Blockaden brachte dabei erhebliche Differenzen innerhalb der Koalitionsfraktionen an den Tag, wie solche Aktionen zu bewerten seien.

Iris Spranger: "Aktivisten schaden mit Aktionen eigenem Anliegen"

Innensenatorin Iris Spranger und der SPD-Abgeordnete Tom Schreiber gingen deutlich auf Distanz. „Was wir seit zwei Wochen beobachten ist völlig inakzeptabel“, sagte Spranger. Klimaschutz und Essensverschwendung hielten viele Menschen „völlig zu Recht“ für sehr wichtige Themen. Aber die Aktivisten schadeten mit ihren Aktionen ihrem eigenen Anliegen. „Die Berlinerinnen und Berliner akzeptieren das aber nicht.“

Die gewählte Form der Autobahnblockade sei ein Straftatbestand, es gehe um gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr. Es bestehe die Gefahr von Auffahrunfällen, Rettungswege würden bewusst versperrt. „Was Aktivisten hier tun geht weit über die grundgesetzlich geschützte Versammlungsfreiheit hinaus“, sagte die Senatorin: „Niemand steht über dem Gesetz, und sei das Anliegen auch noch so wichtig.“

Spranger appellierte an wütende Autofahrer, auf Selbstjustiz gegen die Blockierer zu verzichten. „Überlassen Sie bitte das Einschreiten der Polizei und unterstützen sie als Zeugen.“ Sie versicherte, dass die Polizei gegen die erwarteten weiteren Aktionen vorgehen und Initiatoren als Gefährder ansprechen werde. Sie begrüßte, dass Gerichte bereits Ingewahrsamnahmen angeordnete hätten. Die Polizei prüfe auch, den Blockierern die Kosten des Einsatzes in Rechnung zu stellen.

Grüne äußern Verständnis für Aktionen

Mit ihrer Haltung steht die SPD in der Koalition aber ziemlich alleine da, wenn man die Äußerungen der Redner von Grünen und Linken ernst nimmt. Der 29 Jahre alte Grüne Vasili Franco differenzierte in seiner ersten Plenarrede zwischen der Legalität und der Legitimität der Protestform Autobahnblockade. „Autobahnen sind nicht per se als Ort einer Demonstration ausgeschlossen“, sagte Franco, „es wäre eine Farce, wenn man nur dann demonstrieren dürfte, wenn es keinen stört und es niemand mitbekommt“.

Er verstehe, dass Autofahrer „genervt, gestresst und verärgert“ waren. Aber der „pauschale Vorwurf der Rücksichtslosigkeit“ sei „nicht haltbar“, zumal Lebensmittelverschwendung immer noch ein unterschätztes Problem sei, sagte der Grüne: „Ziviler Ungehorsam“ sei „ein legitimes Mittel“, obwohl es nicht sein dürfe, Rettungswagen nicht durchkämen.“ Er sei „als junger Mensch froh, dass es Aktivistinnen und Politiker“ gibt, die jetzt anpackten und die Herausforderung der Klima- und Verkehrswende annähmen.

Linke: "Klimaaktivismus ist kein Verbrechen"

Weitaus radikaler äußerte sich Ferat Kocak für die Linke. „Klimaaktivismus ist kein Verbrechen“, sagte der Neuköllner Innenpolitiker, der sich selbst als Teil außerparlamentarischer Protestbewegungen definiert. Proteste müssten den Normalbetrieb stören, sonst blieben sie wirkungslos. Angesichts der Klimakrise erscheine die Blockade von Autobahnauffahren als „mildes Protestmittel“.

Der Linken-Politiker wertete die „kapitalistische“ Lebensmittelerzeugung mit der klimaschädlichen Überproduktion als „verbrecherische Verhältnisse“. Aber nicht die „Chefs der Konzerne“ säßen im Gefängnis, sondern die Aktivsten dagegen. „Wir reden nicht über blockierte Straßen, sondern über ein globales Menschheitsproblem“, sagte Kocak und musste sich dafür Rufe wie „Viva Socialismo“ aus den Reihen der AfD anhören.

Die wahren Kriminellen säßen in den Chefetagen. „Die müssen wir stoppen und nicht die, die für ein paar Minuten Autos anhalten.“ Er endet seine Rede mit dem Slogan „System Change statt Climate Change“, also Systemwechsel statt Klimawandel. In der CDU-Fraktion riefen sie nach dieser Rede nach einer Klarstellung durch die regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey und postulierten, die Koalition sei am Ende.

CDU verlangt härtere Strafen für Blockierer

Für die CDU verlangte der innenpolitische Sprecher Frank Balzer, Ex-Bürgermeister von Reinickendorf, härtere Strafen für die Blockierer und warf Grünen und Linken vor, das Vorgehen der Aktivisten stillschweigend zu dulden. Der FDP-Abgeordnete Björn Jotzo sagte, die Blockaden seien ein „Missbrauch des Versammlungsrechts und unter keinem Gesichtspunkt akzeptabel oder hinnehmbar.“

Haftgründe für alle Teilnehmer der Blockaden sehe er aber nicht, sagte er an die Adresse der Union. Es fehle aber auch eine „einheitliche Stimme in dieser Koalition“ und forderte die Grünen auf, ihr Verhältnis zum Rechtsstaat zu klären. Die Berliner jedenfalls hätten von den Blockaden „die Schnauze gestrichen voll“.