Die Mitglieder verschiedener Gruppen von Klimaaktivisten haben am Freitag wieder für ein Verkehrschaos in Berlin gesorgt.
In den frühen Morgenstunden, während der Berufsverkehr auf Berlins Straßen anrollt, sitzen Klimaaktivisten auf der Autobahn. Ihre Hände kleben auf der Fahrbahn, sie zeigen Transparente und der Verkehr steht still. Wieder einmal. Und wieder einmal trifft der Protest der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ die Autofahrer. Es ist bereits das fünfte Mal innerhalb von zwei Wochen. Am Nachmittag seilt sich eine andere Gruppe noch von einer Autobahnbrücke bei Steglitz-Zehlendorf ab.
Durch die Aktion ist am Freitagmorgen gar das Notfallzentrum Virchow-Klinikum nicht über die A100 erreichbar. Darauf hat der Feuerwehrmann Rolf Erbe auf seinem privaten Twitter-Account aufmerksam gemacht. „Für alle Rettungsfahrzeuge erhebliche Behinderungen und längere Anfahrtzeiten!“, schreibt er. Die Klimaaktivisten gefährdeten so Menschenleben.
Kai Wegner (CDU) spricht von „verblendeten Möchtegern-Revolutionären“
Die Proteste werden drastischer – der Widerspruch ebenfalls: Der Berliner CDU-Chef Kai Wegner spricht von „verblendeten Möchtegern-Revolutionären“ und fordert, die Akteure zur Verantwortung zu ziehen. Auf Twitter ergießt sich Kritik und Häme über die Protestierer. Die „letzte Generation“ selbst postete vorige Woche ein Video, in dem ein erboster Autofahrer eine junge Frau ins Gesicht schlägt und die Protestierenden mit „ihr Pisser“ beschimpft. Auch am Freitag berichtet ein Reporter von wütendem Gehupe. Staus dauerten bis zu 40 Minuten.
Nach Angaben der Klimaaktivisten waren zwischenzeitlich rund 50 Menschen an verschiedenen Orten auf der A100. Auf der Autobahn Richtung Seestraße klebten sich laut Polizei vier Demonstranten fest. Auch am Jakob-Kaiser-Platz hätten sich zwei Menschen an die Fahrbahn geklebt und zwei weitere angekettet Die Aktivisten verstehen sich als Teil der „letzten Generation, die den absoluten Klimakollaps noch aufhalten kann“.
Hinter den Aktionen stehen unter anderen der 22-jährige Henning Jeschke und die 24-jährige Lea Bonasera. Beide saßen vor der Bundestagswahl wochenlang in Berlin im Hungerstreik, verzichteten am Ende sogar auf Wasser und erstritten ein Gespräch mit dem damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Olaf Scholz. Sie sehen sich im Recht in ihrem ideologischen Kampf gegen die Klimakrise.
Dabei hat die Aktion nichts mehr mit zivilen Ungehorsam gemein. Wie Rechtsanwalt Till Bellinghausen vom Deutschen Anwaltverein erklärt, handelt es sich beim Ankleben auf den Straßen um Nötigung und damit um eine Straftat. Die Autofahrer könnten sich nach Auffassung von Gerichten nicht mehr bewegen und seien damit einem physischen Zwang ausgesetzt. Dafür sehe das Strafmaß Urteile von einer Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe vor, so Bellinghausen. Leisten die Aktivisten dann noch Widerstand gegen die Polizei, könne schnell eine Bewährungsstrafe auf einen Aktivisten zukommen. Bei Verdienstausfällen können Autofahrer die Aktivisten gar auf Schadensersatz verklagen.
Zeitpunkt des Protests hat einen Beigeschmack
Dabei haben die Protestaktionen am Vormittag noch einen bitteren Beigeschmack. Am Dienstag hatten die Aktivisten noch weitere Aktionen abgesagt, wegen der Tötung zweier Polizisten in Rheinland-Pfalz. „Wir stehen mit der Gesellschaft in Trauer nach diesem Gewaltakt“, hieß es. Der Zeitpunkt der Aktionen ist aber insofern befremdlich, da just am Freitag um 10 Uhr eine bundesweite Schweigeminute, um der Getöteten zu gedenken, angesetzt ist.
Andere wählen andere Formen, etwa die Gruppe „A100 stoppen“ am Freitagnachmittag. Zwei Aktivisten seilen sich von einer Autobahnbrücke über der A103 in Steglitz ab. Die Aktion ist als Demonstration von der Polizei angemeldet und zugelassen worden. Deshalb sperrt die Polizei auch die Fahrbahn vorsorglich – für fast eineinhalb Stunden. Auch hier stehen die Autos wieder teils genauso lange an den Zufahrten und binden knapp 80 Einsatzkräfte der Polizei ein, die teils mit Kletterausrüstung angerückt sind.
Immer krasser, immer radikaler: Wo endet dieser Protest? Nicht alle Klimaaktivisten stehen hinter Aktionen wie Hungerstreiks oder Blockaden. Fridays for Future erklärt auf Anfrage zum „Aufstand“: „In Zeiten der sich immer weiter eskalierenden Klimakrise und des politischen Stillstandes braucht es entschlossene Proteste gegen die immer weitere Zerstörung unserer Lebensgrundlagen.“ Gruppen wie Extinction Rebellion oder Ende Gelände setzen seit geraumer Zeit auf gezielte Regelverstöße und Besetzungen.
Der Protestforscher Dieter Rucht geht gar davon aus, dass sich die Klimabewegung weiter radikalisiert, auch wenn einige Mitglieder bremsen, wie Rucht sagt.
bea, dap