Berliner Behörden erheben seit jeher Daten zu allen möglichen Dingen. Viele davon sind mittlerweile öffentlich. So können auf dem Datenportal des Landes schon länger Zahlen etwa zum Energieverbrauch der Hauptstädter, zur Covid19-Entwicklung oder Einwohnerstatistiken abgerufen werden. Nun ist dort auch die Berliner Polizei vertreten und veröffentlicht stetig die aktuellen Zahlen zu Fahrraddiebstählen.
Auf der Liste, die am Mittwoch online ging, befinden sich bereits 34.228 Einträge – zurückgehend bis zum 1. Januar 2020. Alle 24 Stunden sollen die aktuellen Fälle hinzugefügt werden – laut Polizei im Schnitt 60 pro Tag. Bislang wurden die Daten nur einmal im Jahr mit der Polizeilichen Kriminalitätsstatistik (PKS) veröffentlicht.
Raddiebstahlszahlen als mögliche Grundlage für Apps
Dabei handelt es sich lediglich um Rohdaten in einer mehrseitigen, auf den ersten Blick recht unübersichtlichen Tabelle. Adressat der Daten sind entsprechend nicht vorrangig die Berliner Bürgerinnen und Bürger, sondern vielmehr „Kreative“, wie Stefan Redlich, Vizechef des Berliner Landeskriminalamts (LKA), sagt.
„Wir wollen Programmierer herausfordern, diese Daten zu nutzen und Anwendungen zu entwickeln, auf die wir noch gar nicht gekommen sind.“ So könnten etwa Apps entstehen, die Radfahrer in Gegenden mit vielen Diebstählen warnen und etwa daran erinnern, das Rad auch anzuschließen. „Aber vielleicht auch andere Anwendungen: Lagebilder, dynamische Entwicklungen, Grafiken oder Forschung“, so Redlich weiter. „Und wenn jemand ein Kunstwerk daraus machen möchte, ist das auch legitim.“
„Versuchsballon“: Polizei möchte testen, ob Daten auf Interesse stoßen
Die Polizei wolle zunächst testen, ob diese Daten überhaupt auf Interesse stoßen und genutzt werden, sagt der LKA-Vizechef. „Wenn ja, werden wir darüber nachdenken, weitere zu veröffentlichen.“ Anbieten würden sich etwa Zahlen zur Straßenkriminalität oder zum Auto- oder Taschendiebstahl. „Es ist quasi ein Versuchsballon“, so Redlich weiter. Anregungen für weitere Projekte dieser Art nehme die Polizei gern entgegen.
Die Daten beruhen auf den Anzeigen der Geschädigten, die im Polizeisystem „Poliks“ erfasst werden und den Ermittlern so bereits länger dazu dienen, etwaige Schwerpunkte ausfindig zu machen. Sie werden nun automatisch ins Netz überspielt, was keinen zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet. Sie umfassen Datum und Uhrzeit der Tat, Fahrradtyp und Schadenshöhe sowie die Information, ob das Rad auf der Straße, von einem Hof oder nach einem Kellereinbruch entwendet.
Datenschutzgründe: Polizei gibt Tatort nicht genau an
Auch der Ort wird erfasst, allerdings aus Datenschutzgründen nicht genau mit Straße und Hausnummer. Die Tabelle benennt vielmehr die sogenannten „Lebensweltlich orientierte Räume“ (LOR) – von der Berliner Verwaltung definierte Planungsgebiete. 542 gibt es davon. In der dicht besiedelten Innenstadt umfassen sie meist nur Kieze mit wenigen Straßen, am Stadtrand erstrecken sie sich dagegen über mehrere Quadratkilometer.
Außerdem wird nicht jeder Diebstahl erfasst. „Wenn jemand im Oktober sein Rad in den Schuppen gestellt hat und im März feststellt, dass es weg ist, ist der Tatzeitpunkt zu unklar“, sagt Redlich. Alle Taten, die 72 Stunden oder länger her sind, würden nicht in die Liste aufgenommen, was etwa 15 Prozent entspräche.
In Berlin gilt eine „Rechtsverordnung zu Open Data“
Der Berliner Senat hat im vergangenen Jahr eine Vorlage der Wirtschaftsverwaltung zum Umgang mit Daten beschlossen, die in den Berliner Behörden erfasst werden. Die „Rechtsverordnung zu Open Data“ verpflichtet die Ämter, gesammelte Daten öffentlich zugänglich zu machen und so mehr Transparenz zu schaffen. Als Trend im Internet ist Open Data dabei nicht neu.
So können dort bereits seit Jahren riesige Datensammlungen etwa zu Häufigkeit von Vornamen oder zur Zahl von Stromladesäulen oder Behindertenparkplätzen in einzelnen Bezirken abgerufen werden. Auch Daten zu Verkehrsflügen gibt es im Netz.
Einer der Vorreiter ist dabei die US-amerikanische „National Aeronautics and Space Administration“ (NASA), die bereits seit Jahren Daten zur Sonneneinstrahlung in die Erdatmosphäre oder Bilder aus dem Hubble-Teleskop veröffentlicht. Das wohl bekannteste Open Data-Projekt ist die Internetenzyklopädie „Wikipedia“. Im sensiblen Bereich Kriminalität möchte die Berliner Polizei nun eine Vorreiterrolle einnehmen.
Fahrraddiebstahl: Aufklärungsquote nur bei vier bis fünf Prozent
Das Thema Fahrraddiebstahl für das Projekt wurde nicht zufällig gewählt: Die Zahl der Radfahrer nimmt zu und die Räder werden teurer. Die Schadenssummen wuchsen von durchschnittlich 663 Euro im Jahr 2018 auf 799 Euro im vergangenen Jahr. Die Aufklärungsquote der Polizei lag dagegen lange bei mageren vier Prozent, verbesserte sich 2020 leicht auf 4,7 Prozent und im ersten Halbjahr 2021 auf 5,4 Prozent. Wer einen Fahrraddiebstahl anzeigt, bekommt zumeist nach einigen Wochen per Brief die Information über die Einstellung des Verfahrens.
So ging auch die Anzeigebereitschaft der Berliner zuletzt zurück, was ein großes Dunkelfeld vermuten lässt. So gingen im Jahr 2016 noch rund 34.500 Geschädigte zur Polizei, 2020 waren es mit 27.588 knapp 7000 weniger. Vor allem diejenigen, die ihr Rad nicht versichert haben, sehen vermutlich von einer Anzeige ab.
Hochgerechnet auf 100.000 Einwohner wurden im vergangenen Jahr mit 1321 in Friedrichshain-Kreuzberg die meisten Fahrräder gestohlen. Auf dem zweiten Platz folgte Charlottenburg-Wilmersdorf (951), auf dem dritten Pankow (943). Entwendet werden die Räder dabei häufig an großen Abstellplätzen vor Bahnhöfen, Schulen, Sport- und Freizeitstätten oder Einkaufszentren. In den seltenen Fällen, dass Täter gefasst werden, handelt es sich fast immer um junge Männer, die zumeist aus Osteuropa stammen. Mit dem Open-Data-Projekt hofft die Polizei auch auf mehr Aufmerksamkeit für die Vorbeugung.
Polizei wird von Technologiestiftung Berlin beraten
Beraten hat sich die Polizei bei der Planung mit der Technologiestiftung Berlin. Die stellt Wirtschaft und Verwaltungen bei der Digitalisierung Informationen, Software und Infrastruktur zur Verfügung. „In dem Bereich Sicherheit geht viel mehr als bisher gemacht wird“, sagte Victoria Boeck von der Stiftung. „Die Berliner Polizei ist damit auf jeden Fall ein Vorreiter, andere Städte oder Gemeinden könnten folgen.“ Welche Ergebnisse solche Veröffentlichungen großer Datenmengen bringen, stehe nicht immer vorher fest, so Boeck weiter.