Berlin. Der Angeklagte soll mit vier weiteren Tätern einen Geldtransporter vor einer Volksbank-Filiale am Kudamm überfallen haben.
Die Zündschnur einiger Mitglieder der Großfamilie R. ist kurz. Das stellte ein Angehöriger des polizeibekannten Clans am Donnerstag ausgerechnet im Gebäude des Kriminalgerichtes Moabit unter Beweis. Ein Reporter fragte ihn in einer Verhandlungspause, ob er Zeit für einige Fragen hätte. Doch das Clan-Mitglied wollte nicht. Stattdessen schubste der Mann den Reporter so heftig, dass dieser fast über eine Sitzbank hinter ihm gefallen wäre. In dem Gerichtsgebäude war der mehrfache Familienvater an diesem Tag nur als Besucher.
Als Angeklagter verantworten musste sich einer seiner Söhne. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 31 Jahre alten Muhamed R. vor, am 18. Februar dieses Jahres vor einer Filiale der Volksbank in der Nähe des Olivaer Platzes am Kurfürstendamm einen Geldtransporter überfallen zu haben. Vier weitere Täter, darunter der Fahrer des Fluchtautos sollen ebenfalls an der Tat beteiligt gewesen sein. Die Ermittler konnten sie bisher nicht identifizieren. Die Beute laut Anklage: 648.500 Euro.
In der am Donnerstag eröffneten Hauptverhandlung gegen Muhamed R. deutete sich die Strafe für den vorbestraften Clan-Spross am ersten Verhandlungstag an. Denn die Staatsanwältin und die Verteidiger des Angeklagten stimmten dem Vorschlag des Gerichts zu einer sogenannten Verständigung zu. Das Gericht stellte in Aussicht, R. zu sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahren Gefängnis zu verurteilen. Muhamed R. legte im Gegenzug ein Geständnis ab.
Geldtransporter-Überfall am Kudamm: Den Fluchtwagen steckten die Täter in Brand
R. räumte darin ein, einen der Geldboten mit einer Schreckschusspistole bedroht, zu Boden gestoßen und ihm Pfefferspray ins Gesicht gesprüht zu haben. Die Geldkassetten aus dem Transporter habe man in einen weißen Sack gepackt. Wie verabredet sei dann ein Komplize mit einem silberfarbenen Audi vorgefahren. Darin sei man geflüchtet. Auf einem Parkplatz in der Bessemer Straße in Tempelhof hätten seine Mittäter den Wagen in Brand gesetzt.
Muhamed R. ist der Polizei gut bekannt. Im April vergangenen Jahres raste er nach einer Geschwindigkeitskontrolle auf der Hermannstraße auf einen Polizisten zu. Der Grund: R. war spät dran, wollte zur Beerdigung eines Familienmitgliedes. Die Anklage lautete auf versuchten Totschlag. Verurteilt wurde R. schließlich „nur“ wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Unmittelbar danach kam R. am 3. Februar aus der Untersuchungshaft. Nur gut zwei Wochen später beteiligte er sich – laut Anklage und nach eigener Aussage – an dem Überfall auf den Geldtransporter.
Überfall auf Geldtransporter am Kudamm - die Bilder
Überfall auf Geldtransporter am Kudamm - die Bilder
Mit dem Geständnis wollte R., so wirkte es, offenbar um Verständnis für seine Situation und die Umstände der Tat werben. Die Untersuchungshaft habe ihn extrem belastet. Er habe Streit mit seiner Ehefrau gehabt, befürchtet, sie könne sich von ihm trennen. Nach der Entlassung habe er sein Leben in den Griff bekommen wollen: die familiäre Situation, seine Kokainsucht, sein Schuldenproblem. Das habe nicht funktioniert. Seine Frau habe ihn mit Vorwürfen empfangen. Er habe sich in der ersten Nacht nach der Entlassung mit Alkohol und Kokain „abgeschossen“ und sei in seine alte Lebensweise zurückgefallen – durchfeierte Nächte mit „ausschweifendem Konsum von Alkohol und Kokain“ inklusive.
Sein Umfeld habe ihn zudem an seine rund 40.000 Euro Schulden erinnert. Als ihn zwei Tage vor der Tat ein Bekannter angesprochen habe, ob er bei einem Überfall auf einen Geldtransporter mitmachen wolle, habe er erst abgelehnt. Wegen der Möglichkeit, auf einen Schlag seine Schulden zurückzahlen und auch künftig seinen Kokainkonsum finanzieren zu können, haber er schließlich aber doch eingewilligt.
Überfall auf Geldtransporter am Kudamm: So lief die Tat ab

Videos zeigen Räuber in Arbeitskleidung der BSR
Das Tatgeschehen konnten Verfahrensbeteiligte und Zuschauer auf Videoaufnahmen nachvollziehen. Bei Muhamed R. dürften die Bilder, darunter Handy-Clips von Passanten, Erinnerungen wachgerufen haben: etwa an die Arbeitskleidung der BSR, mit denen er und seine Kumpanen sich als Müllmänner verkleidet hatten; oder an den Moment, in dem er den Geldboten niederstieß und ihm Pfefferspray ins Gesicht sprühte. Ungute Erinnerungen dürfte auch eine Aufnahme wachgerufen haben, auf der das Beladen des Fluchtautos zu sehen war. Der Kofferraum war offenbar so voll, dass sich der Deckel kaum schließen ließ.
Neu dürfte für Muhamed R. die Perspektive des als Zeuge befragten Geldboten gewesen sein. Der 60-Jährige schilderte, wie die falschen Müllmänner ihn bedrohten und „Runter, runter“ schrien. Wie sie ihm seine Dienstwaffe aus dem Holster rissen und wie das Reizgas in seinem Gesicht brannte. Wie ihn der Überfall psychologisch mitgenommen habe. „Diese Bilder gehen mir nicht aus dem Kopf“, sagte er. Den Job auf dem Geldtransporter habe er aufgegeben. Seine Firma setze ihn jetzt ein, Geldautomaten zu reparieren. Muhamed R. rang sich nach der Aussage eine Entschuldigung ab. „Es tut mir leid“, sagte er. „Es tut mir wirklich leid.“
Von den 648.500 Euro Beute fehlt jede Spur
Eine Verurteilung zu den in Aussicht gestellten sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahren Haft gilt nach dem Geständnis von Muhamed R. als nahezu sicher. Die Beweisaufnahme dient lediglich dazu, um die Glaubwürdigkeit der Einlassung zu überprüfen und das exakte Strafmaß bestimmen zu können. Entscheidend dürfte dabei das Gutachten der hinzugezogenen Psychiaterin werden. Sie soll beurteilen, inwiefern Muhamed R. aufgrund seines Alkohol- und Drogenkonsums möglicherweise vermindert schuldfähig war. Ein Urteil könnte schon am kommenden Mittwoch fallen.
Von den 648.500 Euro Beute fehlt indes jede Spur. Er selbst habe von seinen Komplizen nur 75.000 Euro erhalten, behauptete Muhamed R. Übrig sei nichts mehr davon. Er habe damit seinen auch in der Untersuchungshaft praktizierten Drogenkonsum finanziert. Namen der Mittäter verriet R. nicht.