Berlin. Hintergrund des Rücktritts von Giffey ist die Affäre um ihre Doktorarbeit. Berliner SPD-Spitzenkandidatin will sie jedoch bleiben.
Berlins SPD-Landeschefin Franziska Giffey tritt als Bundesfamilienministerin zurück. Das hat ihr Co-Vorsitzender Raed Saleh der Morgenpost bestätigt. Die Entscheidung steht im Zusammenhang mit dem drohenden Entzug ihres Doktortitels durch die Freie Universität Berlin (FU).
Franziska Giffey hatte den Rücktritt aus dem Ministeramt für den Fall angekündigt, dass die Universität diesen Schritt gehen würde. Das ist nun offenbar in dem wieder aufgerollten Verfahren zu Plagiaten in ihrer Dissertation von 2009 der Fall. Giffey hatte bereits darauf verzichtet, den Doktortitel weiterzuführen.
Aus der SPD hieß es, das Familienressort solle zunächst nicht neu besetzt werden. Stattdessen solle ein anderes Regierungsmitglied die Geschäfte mit übernehmen, schrieben dazu die Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Als Möglichkeiten wurden Arbeitsminister Hubertus Heil und Justizministerin Christine Lambrecht (beide SPD) genannt.
Franziska Giffey will Berliner SPD-Spitzenkandidatin bleiben
Dass der Rücktritt auch Folgen für die Berliner SPD-Spitzenkandidatur Giffeys hat, ist nicht zu erwarten. Die frühere Neuköllner Bezirksbürgermeisterin hatte beim Nominierungsparteitag ihren Parteifreunden versichert, sie werde in jedem Fall für die SPD antreten. Die Rücktrittszusage hatte sich nur auf das Ministeramt bezogen.
Auf Facebook äußerte sich Franziska Giffey zu ihrer Entscheidung. Das Verfahren zu ihrer Dissertation laufe noch, sie werde dazu gegenüber der Freien Universität auch Stellung nehmen. Dennoch habe sie sich zum Rücktritt entschlossen. Die Mitglieder der Bundesregierung, ihre Partei und die Öffentlichkeit hätten "schon jetzt Anspruch auf Klarheit und Verbindlichkeit". Sie werde die Entscheidung akzeptieren, wenn die FU im zweiten oder dritten Verfahren dazu komme, ihr den Titel abzuerkennen. "Bereits heute ziehe ich die Konsequenzen aus dem andauernden und belastenden Verfahren", so Giffey: "Damit stehe ich zu meinem Wort.".
Was ihre Spitzenkandidatur in Berlin betreffe, habe sie immer klar gesagt: "Die Berliner SPD und die Berlinerinnen und Berliner können sich auf mich verlassen. Dazu stehe ich", schrieb Giffey: "Mein Wort gilt. Als Berlinerin konzentriere ich mich jetzt mit all meiner Kraft auf meine Herzenssache. Ganz sicher Berlin."
Indem sie jetzt schon die Konsequenzen zieht, will Giffey argumentativ in die Vorhand kommen und sich als saubere Politikerin präsentieren, die nicht an ihrem Sessel klebt. Ob die Berliner Wählerinnen und Wähler es verstehen, warum sie als Bundesministerin zurücktritt, aber eventuelle Regierende Bürgermeisterin sein könnte, wird sich am 26. September zeigen. Auf jeden Fall hat Giffey es geschafft, die Rücktrittsbombe nicht in der heißen Wahlkampfphase platzen zu lassen. Jetzt hat sie sogar mehr Zeit für den Wahlkampf, um die SPD aus dem Umfragetief zu holen.
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„Ich habe den Genossinnen und Genossen gesagt: Ihr könnt euch auf mich verlassen, egal, was kommt“, hatte Giffey bereits auf dem SPD-Parteitag im November erklärt. „Ich bin für euch da, wir sind für euch da.“ In der Berliner SPD war in den vergangenen Tagen und Wochen die Stimmungslage klar. Giffey werde antreten, egal wie sich die Sache mit dem Doktortitel weiter entwickeln sollte.
Franziska Giffeys Rücktritt: Angela Merkel bedauert Entscheidung

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Rücktrittsentscheidung von Familienministerin Franziska Giffey (SPD) bedauert. „Franziska Giffey hat in der heutigen Kabinettssitzung mitgeteilt, dass sie mich bittet, dem Herrn Bundespräsidenten ihre Entlassung aus dem Amt der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorzuschlagen“, sagte Merkel am Mittwoch in Berlin. „Ich nehme diese Entscheidung mit großem Respekt, aber ich sage auch mit ebenso großem Bedauern entgegen.“
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich anerkennend. „Ich bedauere diese Entscheidung sehr, aber sie zeigt auch: Franziska Giffey ist nicht nur eine sehr erfolgreiche Politikerin, die viel erreicht hat für die Kinder und Familien in diesem Land. Sie ist auch eine durchsetzungsstarke Politikerin mit Herz und eine mit Rückgrat“, sagte der SPD-Kanzlerkandidat am Mittwoch im Bundestag. Die Klarheit, die Giffey nun an den Tag lege, sei bemerkenswert.
Beistand erhielt Giffey umgehend aus der Berliner Landespolitik. Der SPD-Landeschef Raed Saleh äußerte sich zum Rücktritt seiner Co-Vorsitzenden: "Nach überaus erfolgreichen drei Jahren als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat Franziska Giffey gezeigt, wie man Wort hält und damit höchste Ansprüche an politische Integrität definiert", sagte Saleh der Morgenpost. Er bezog sich dabei auf die Aussage Giffeys, zurücktreten zu wollen als Ministerin, wenn sie ihren Doktortitel verlieren sollte. "So kennt Berlin Franziska Giffey – regierungserfahren und erfolgreich sowie verbindlich und konsequent", kommentierte Saleh. Für die Aufstellung der Berliner SPD soll das aber keine Folgen haben: "Die Berliner SPD geht nun mit einer Spitzenkandidatin in den Wahlkampf, die sich mit ganzer Kraft auf ihre Herzenssache Berlin konzentriert.“
Die stellvertretende SPD-Landesvorsitzende Iris Spranger sagte der Morgenpost, man müsse Giffeys Schritt akzeptieren, sie habe Respekt vor dieser Entscheidung. "Ich finde das sehr honorig"; sagte Spranger. Giffey habe einen Rücktritt selbst angekündigt, dann sei dieser Schritt "nur konsequent". Auf die Berliner Landespolitik habe der Rücktritt als Ministerin aber keine Auswirkungen. "Sie ist unsere Spitzenkandidatin, sie wurde mit einem tollen Ergebnis gewählt und ich bin stolz, dass sie die Berliner SPD anführt."
Der Lichtenberger Bezirksstadtrat Kevin Hönicke (SPD) schrieb auf Twitter: "Sie hält Wort. Sie bleibt ehrlich. Sie steht zu ihren Worten."
Sawsan Chebli (SPD), Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement in Berlin, erklärte bei Twitter: "Der Rücktritt von Franziska Giffey ist konsequent. Sie hält damit ein, was sie versprochen hat. Das ist glaubwürdig. Jetzt konzentrieren wir uns auf einen starken Wahlkampf in Berlin und kämpfen dafür, dass Franziska Giffey nach der Wahl im Roten Rathaus die neue Chefin wird."
Stefan Evers, Generalsekretär der CDU Berlin, erklärte: "Das ist ein konsequenter Schritt. Er war im Ergebnis unumgänglich. Es ist klar, dass man nach einem Vorgang wie dem absehbaren Entzug des Doktortitels ein bedeutendes politisches Spitzenamt wie das der Bundesfamilienministerin nicht einfach weiter bekleiden kann. Politiker haben eine Vorbildfunktion. Mit ihrem Rücktritt erspart Franziska Giffey dem Land eine quälende Diskussion. Die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass für Politiker gleiche Maßstäbe gelten wie für alle anderen Bürger."
Berliner AfD: Franziska Giffey soll auch als Berliner SPD-Spitzenkandidatin zurücktreten
Die Berliner AfD forderte Franziska Giffey auf, nach dem Rücktritt als Bundesfamilienministerin auch auf die Spitzenkandidatur der Berliner SPD zu verzichten. „Nach ihrem folgerichtigen Rücktritt als Bundesministerin muss Franziska Giffey jetzt auch ihre Kandidatur für das Amt des Regierenden Bürgermeisters aufgeben", sagte die Landesvorsitzende Kristin Brinker.
"Denn für die Mitglieder des Senats gelten keine anderen moralischen Maßstäbe als für die Mitglieder der Bundesregierung." Wer sich als charakterlich ungeeignet für das Amt einer Bundesministerin erwiesen habe, könne nicht Regierende Bürgermeisterin werden. "Berlin ist keine Resterampe für gescheiterte Bundesminister“, sagte die AfD-Politikerin.
Der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski schrieb auf Twitter, Giffeys Rücktritt sei längst überfällig gewesen.
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