Todesfälle

Pflegeheime sind die Hotspots der Corona-Pandemie in Berlin

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Joachim Fahrun und Julian Würzer
Deutschland überschreitet Schwelle von zwei Millionen Corona-Infektionen

Deutschland überschreitet Schwelle von zwei Millionen Corona-Infektionen

Die Zahl der Coronavirus-Infektionen in Deutschland seit Beginn der Pandemie hat die Marke von zwei Millionen Fällen überschritten. on the Alexanderplatz

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60 Prozent aller Corona-Todesfälle gehen auf Infektionen in Heimen zurück. In 310 Einrichtungen gab es positive Testungen.

Berlin. Der in der Corona-Pandemie viel beschworene Schutz der vulnerablen Gruppen ist in Berlin offensichtlich nicht gelungen. In Alten- und Pflegeheimen der Stadt sind bislang 1034 Bewohner an oder mit dem Coronavirus verstorben. Das sind fast 60 Prozent aller in Berlin seit Beginn der Pandemie registrierten Todesfälle. Fast 6000 Bewohner und 2622 Beschäftigte haben sich angesteckt. Damit findet fast die Hälfte des amtlich registrierten Infektionsgeschehens in den Pflegeheimen statt. Insgesamt leben etwa 30.000 Menschen in den Einrichtungen.

Diese Zahlen stehen in einem internen Lagebericht der Senatsgesundheitsverwaltung vom 14. Januar, der der Berliner Morgenpost vorliegt. Demnach haben sich allein in den vergangenen vier Wochen bei 60 Ausbrüchen in den Heimen 1008 Personen angesteckt. In 310 Einrichtungen habe es positive Testungen gegeben. Gegenwärtig sind 1426 Bewohner und 574 Mitarbeiter mit dem Virus infiziert.


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Einzelne Infektionen führen zu vielen Ansteckungen

Die Zahlen zeigen auch, dass einzelne Infektionen in den Pflegeheimen stets zu sehr vielen Ansteckungen geführt haben. Im Durchschnitt waren jedes Mal rund 20 Menschen betroffen. Vergleichsweise glimpflich sind hingegen die Krankenhäuser davongekommen, auch weil dort die Hygiene-Regeln viel konsequenter durchgehalten werden. In den vergangenen vier Wochen hat es in den Kliniken 31 Covid-19-Ausbrüche mit 288 Infizierten gegeben.

Auch wegen dieser kritischen Lage in den Pflegeheimen hat Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) vergangene Woche für Häuser mit positiven Corona-Fällen ein Besuchsverbot verhängt. Dieses soll für eine Woche nach Bekanntwerden einer Infektion gelten. Ausnahmen sind für sterbenskranke und demente Bewohner vorgesehen.

Betreiber kritisieren „Isolation“ der Älteren

Kalayci will mit dieser Vorschrift über die „Durststrecke“ kommen, bis in etwa drei Wochen alle knapp 30.000 Pflegeheimbewohner nach der zweiten Impfrunde vor schweren oder gar tödlichen Verläufen einer Infektion geschützt sein sollen. Nach den aktuellsten Zahlen des Robert-Koch-Instituts waren zuletzt mehr als 23.000 Bewohner einmal geimpft worden. Nächste Woche sollen die 60 mobilen Impfteams die Heime ein zweites Mal aufsuchen, andere werden auch Seniorenwohnhäuser und Pflege-Wohngemeinschaften ansteuern, wie Gesundheitsstaatssekretär Martin Matz der Morgenpost sagte.

„Wir verstehen nicht, warum Isolation von grundsätzlich gesunden älteren Menschen erzwungen wird, wenn sie nicht nötig ist. Wir fordern die sofortige Rücknahme der Verordnung“, sagte Alexander Slotty, Landesgeschäftsführer der Volkssolidarität. Thomas Böhlke, Geschäftsführer der Gesellschaften Altenzentrum Erfülltes Leben und Paritätisches Seniorenwohnen, sagte, er halte diese Regelungen für inakzeptabel: „Wir können wegen einer einzelnen infizierten Person nicht sämtliche Bewohner in Geiselhaft nehmen.“
Ein Grund für die hohen Infektionszahlen in den Heimen könnte sein, dass bisher die von Leiharbeitsfirmen gestellten Pflegekräfte nicht wie die fest in den Heimen angestellten Kollegen mit Priorität geimpft werden können. Die Arbeitgeber hätten für ihre Leasingkräfte keine Codes bestellt, mit denen diese sich einen Termin im Impfzentrum in der Treptower Arena besorgen können, hieß es zur Begründung.

Seit Dezember gelten bereits verschärfte Auflagen

Die Interessengemeinschaft Zeitarbeit nannte diesen Zustand „untragbar“ und sprach von einer „Zwei-Klassen-Arbeitnehmerschaft“. Der Verband hat deswegen einen Brief an die Gesundheitssenatorin geschickt. Er fordert eine zentrale Kontaktstelle für Zeitarbeitsunternehmen, über die Impfungen organisiert werden können. „Die Corona-Krise betrifft uns alle und muss durch uns alle überwunden werden. Es muss einen eindeutig und öffentlich kommunizierten Weg zur Impfung geben“, so der Verband.

Seit Dezember gelten für Pflegeheime bereits verschärfte Auflagen. Angestellte müssen eine FFP2-Maske ohne Ventil tragen. Zudem sind sie verpflichtet, sich alle zwei Tage einem Schnelltest zu unterziehen. Die Organisation der umfangreichen Kontrollen bringt jedoch die Pflegeeinrichtungen „zunehmend an ihre Grenzen“, heißt es etwa aus der Alloheim Senioren-Residenz Kurt-Exner-Haus in Gropiusstadt. Dort will man Ehrenamtliche oder Minijobber zur Unterstützung bei den zahlreichen Tests gewinnen. Auch Interessenten ohne medizinischen Hintergrund wolle man auf die Liste setzen, denn perspektivisch sei ihr Einsatz aufgrund der angespannten Lage durchaus denkbar.

Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat diese Notsituation bereits im Dezember angeprangert. Reagiert haben Bund und Länder in dem am 5. Januar beschlossenen Maßnahmenpaket zur Eindämmung der Pandemie. So soll es eine Kampagne zur Werbung Freiwilliger geben. Berlin setzt diese anscheinend bereits um. Im sozialen Netzwerk Instagram wird aufgerufen, sich für den Krisenpersonalpool zu melden, um Pflegeheime zu unterstützen. Wie die Morgenpost erfuhr, sollen auch Bundeswehrangehörige bei Tests und anderen Sicherheitsmaßnahmen helfen. Sie würden schrittweise aus der Kontaktverfolgung der Gesundheitsämter abgezogen und sollen nun die Heime unterstützen.