Berlin. „Wir sind stinksauer“, entfuhr es Patric Succo gegen Ende seiner Rede vor einem großen Teil der Belegschaft des Mercedes-Motorenwerks in Marienfelde. Man stehe hier, um zu zeigen, dass man nicht klein bei geben werde. „Ohne uns fährt kein Mercedes mehr“, rief Succo in sein Mikrofon. Succo, 30 Jahre alt und seit 2006 bei Mercedes am Standort, fürchtet wie die, die ihm am Donnerstagnachmittag zuhörten, um seinen Job. Etwa 1200 Beschäftigte der Berliner Motorenproduktion waren Polizeiangaben zufolge vor die Tore des Werks gekommen, um zu protestieren. Denn Daimler plant einen Kahlschlag an dem traditionsreichen Fertigungsstandort in der deutschen Hauptstadt.
Internen Überlegungen zufolge sollen danach nur noch etwa 500 der heute 2500 Arbeitsplätze übrig sein. Das käme einer Schließung des Werks gleich, findet die Gewerkschaft IG Metall. Mercedes, die bekannte Automarke des Stuttgarter Daimler-Konzerns, kommuniziert das selbst so nicht: Mercedes-Benz sei fest entschlossen, seine Antriebssparte konsequent zu transformieren und auf „Electric First“ sowie Digitalisierung auszurichten.
„Mercedes-Benz gestaltet aktiv die Zukunft seiner Powertrain-Standorte und schafft damit auch weiterhin interessante Perspektiven für seine Beschäftigten. Dazu befindet sich das Unternehmen in konstruktiven Gesprächen mit der Arbeitnehmervertretung“, teilte eine Daimler-Sprecherin auf Anfrage der Berliner Morgenpost mit.
Kommentar zum Thema: Mercedes trägt Verantwortung für den Standort Marienfelde
Mercedes in Marienfelde: Belegschaft will um jeden Arbeitsplatz kämpfen
Patric Succo interpretiert die Äußerungen des Konzerns freilich anders. Der Vorstand von Daimler wolle die Transformation auf den Schultern der Belegschaft abladen. Dabei hätten schließlich die Arbeitnehmer dafür gesorgt, dass der Automobilhersteller jahrelang Milliardengewinne erwirtschaftet habe. „Das lassen wir uns nicht bieten. Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz“, kündigte Succo an, der auch Teil des Betriebsrats am Standort ist. Succo selbst ist seit 2006 im Werks beschäftigt.
Bereits am Mittwoch, einen Tag vor der Kundgebung, hatte das Werk für Schlagzeilen gesorgt. Die IG Metall ließ durchsickern, dass der langjährige Werksleiter René Reif zu Tesla wechsele. Der US-Elektroautopionier errichtet gerade in Grünheide bei Berlin ein neues Werk. Bis zu 10.000 neue Arbeitsplätze sollen in den nächsten Jahren entstehen. Tesla, so hieß es zuletzt, führe bereits Bewerbungsgespräche. Auch Elon Musk selbst hatte in der vergangenen Woche noch auf der Baustelle vorbeigeschaut.
IG Metall hält es für denkbar, dass auch im Berliner Mercedes-Werk E-Autos gebaut werden können
In welcher Funktion René Reif für Tesla tätig wird, ist derzeit noch nicht bekannt. Sein Abgang jedenfalls sorgte bei den während der Kundgebung anwesenden Mercedes-Mitarbeitern für zusätzlichen Unmut. Reif selbst habe bei der letzten Betriebsversammlung noch angekündigt, für dieses Werk kämpfen zu wollen. Nun sei er der erste, der von Bord gehe, kritisierte Succo. „Lasst uns ihm zeigen, dass er mit seiner Einschätzung, dass dieses Schiff sinkt, nicht richtig liegt. Wir werden hier nicht untergehen,“ schrie Succo der protestierenden Menge zu.
Auch Jan Otto, neuer Geschäftsführer der Berliner IG Metall, kritisierte in seiner Rede den Abgang des langjährigen Werksleiters scharf. Die Gewerkschaft werde nun dem Daimler-Vorstand ein Gesprächsangebot unterbreiten, um über den Erhalt sowie die Transformation des Standorts zu sprechen, kündigte Otto an. „Das Werk muss hin zur E-Mobilität transformiert werden. Ich kann mir vorstellen, dass hier auch E-Autos gebaut werden oder zumindest Teile dafür“, sagte Otto der Berliner Morgenpost. Auch der Verbrenner werde als Übergangstechnologie in den nächsten Jahren gebraucht.
Für den Standort in Marienfelde fordert Otto Ideen und Konzepte – kein Sterben auf Raten. Daimler hatte im Zuge der Kürzungspläne auch verlauten lassen, dass an dem Standort ein Digital-Campus entstehen solle. Zahlreiche Mitarbeiter würden dort dann wohl nicht tätig sein.
Tesla will nicht nach Tarif zahlen
Tesla als neuer Arbeitgeber scheint jedoch nicht für alle Mercedes-Mitarbeiter eine Option zu sein. Martin Franke, Blechschlosser, ist skeptisch: „Das Werk ist weiter weg und man müsste wieder von vorne anfangen“, sagte Franke, der bereits seit 1996 bei Mercedes tätig ist, mit Blick auf erarbeitete Ansprüche wie Entgeltgruppen oder tarifliche Zahlungen.
Tesla hingegen hatte bereits verlauten lassen, den Tarifvertrag der Metall- und Elektroindustrie nicht anwenden zu wollen. Gehälter sollen sich aber daran orientieren.
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