Berlin. Wegen des Verdachts der Haushaltsuntreue wird erneut gegen Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat ermittelt.
Gegen Friedrichshain-Kreuzbergs Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) laufen erneut Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Es gehe um den Verdacht der Haushaltsuntreue im Zusammenhang mit Vorkäufen durch die Genossenschaft „Diese eG“. Das teilte die Staatsanwaltschaft der Berliner Morgenpost auf Anfrage mit. Die Ermittlungen seien nach Ergänzungen in der Strafanzeige im Mai 2020 wieder aufgenommen worden.
„Weitere Auskünfte können aufgrund der noch laufenden Ermittlungen und unter Beachtung der Persönlichkeitsrechte der Beteiligten derzeit nicht erteilt werden“, heißt es weiter.
Baustadtrat Schmidt habe, so der Vorwurf in der vorliegenden Strafanzeige - um den Kauf von Mietshäusern durch andere Investoren abzuwehren - bei sechs Häusern zugunsten der „Diese eG“ das bezirkliche Vorkaufsrecht gezogen, obwohl die Genossenschaft nicht über das nötige Kapital verfügt habe. Die Genossenschaft sei zum Zeitpunkt der Ausübung von fünf der Vorkäufe erst "in Gründung" und somit noch keine rechtsfähige juristische Person gewesen. Zu ihren Gunsten hätte somit kein Vorkaufsrecht ausgeübt werden dürfen, argumentiert Rechtsanwältin Sandra von Münster, die die Strafanzeige gegen Schmidt stellte.
Vorkauf zu Gunsten der „Diese eG“ ausgeübt - als es sie noch gar nicht gab
Es geht um mindestens fünf Häuser, unter anderem an der Rigaer Straße 101 in Friedrichshain und der Forster Straße 1 in Kreuzberg. Die Eintragung der „Diese eG“ im Genossenschaftsregister erfolgte am 1. August 2019. Dennoch zog das Bezirksamt unter Schmidt bereits Monate zuvor Vorkaufsrechte für die Häuser zu Gunsten der "Diese eG" - für das Haus an der Forster Straße 1 am 27. Mai 2019, für die Boxhagener Straße 32 am 17. Mai, für die Holteistraße 19/19a am 24. Juli, für die Krossener Straße 36 am 7. Juni und für die Rigaer Straße 101 am 24. Juni 2019. Das geht aus einer Drucksache der Senatsverwaltung hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegt.
"Es konnte kein Vorkauf zugunsten einer Genossenschaft ausgeübt werden, die ihre Rechtsfähigkeit noch gar nicht erlangt hatte", sagt Rechtsanwältin Sandra von Münster. Zudem habe die "Diese eG" auch nach Gründung nicht über das notwendige Kapital verfügt. Zusagen zu Fördermitteln oder Zuschüssen seitens des Senat gab es zum Zeitpunkt der Vorkäufe allerdings keine, wie aus der Beantwortung einer Anfrage an die Senatsverwaltung hervorgeht, die der Berliner Morgenpost vorliegt.
Die Möglichkeit der Förderung von Genossenschaften wurde erst am 7.8.2019 im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses beschlossen - zu diesem Zeitpunkt war das Vorkaufsrecht bereits mehrfach zugunsten der "Diese eG" in Gründung ausgeübt worden.
Mit seinem Handeln, so von Münster, habe Schmidt den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und das Land Berlin - also den Steuerzahler - in die Haftung gebracht. Nach Paragraf 27a des Baugesetzbuchs (Absatz 2 Satz 2) haftet "neben dem Begünstigten" (hier also der "Diese eG") "die Gemeinde", in diesem Fall also der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und das Land Berlin. Laut von Münster erfülle das den Tatbestand der Haushaltsuntreue.
"Herr Schmidt ist unverantwortliche Risiken nicht nur für die Mieterinnen und Mieter der Diese eG eingegangen, die als Genossen mit ihrem eigenen Geld hätten für die erwartbare Zahlungsunfähigkeit der Genossenschaft haften müssen, sondern auch für den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und das Land Berlin", sagt Stefan Evers, Generalsekretär der Berliner CDU. "Wenn Herr Schmidt millionenschwere Vorkäufe einer Genossenschaft in Zahlungsschwierigkeiten abschließt, und der Steuerzahler dafür geradezustehen hat, dann ist in meinen Augen der Tatbestand der Untreue klar erfüllt. Ich bin überzeugt, dass hier nicht nur gemauschelt wurde und es sich nicht nur um Berliner Grünen-Filz handelt, sondern mit krimineller Energie gehandelt wurde. Die Berliner CDU erwägt, diesen ganzen Vorgang in einem Untersuchungsausschuss klären zu lassen."
"Akten lesen sich streckenweise wie ein Wirtschaftskrimi"
Am Freitag erhob Evers auch bei Facebook öffentlich Vorwürfe. "Es müssen endlich alle Tatsachen auf den Tisch, die wir bislang nur in Ansätzen aus vertraulichen Akteneinsichten kennen. Die Akten des Senats zum Fall Schmidt lesen sich streckenweise wie ein Wirtschaftskrimi, und sie werfen Fragen auf, die nicht nur die Grünen betreffen. Florian Schmidt hatte eine Reihe von Mittätern im Senat. Wir werden alle parlamentarischen Mittel nutzen, diesen Skandal aufzuklären - denn er spricht Bände über rot-rot-grünen Machtmissbrauch."
Evers verlange "unverzüglich Aufklärung über Anlass, Gegenstand und Umfang der Ermittlungen gegen Florian Schmidt. Wir wollen wissen, ob die staatsanwaltlichen Ermittlungen bereits auf Mitglieder des Senats ausgeweitet wurden."
Stadtrat Schmidt sagte, der „leichtfertig erhobene Untreue-Vorwurf“, sei „völlig unbegründet“. „Im Gegenteil: Hätte ich die Vorkaufsrechte gemäß dem geltenden Milieuschutzrecht nicht ausgeübt, wären die Häuser in die Hände privater Investoren gelangt. Umwandlungen, Mieterhöhungen und Eigenbedarfskündigungen wurden so verhindert, um die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung zu schützen. Keiner der Erwerber war nämlich bereit, eine Abwendungsvereinbarung zu schließen.“ Das Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg teilte mit, es könne zu Ermittlungen keine Stellung nehmen.
Über seinen Anwalt erklärte Schmidt zudem: „Soweit es bei der Abwicklung des - neuen und bis dahin nicht erprobten - Instruments der Ausübung von Vorkaufsrechten zu Gunsten von Bewohnergenossenschaften zu Störungen gekommen ist, waren die Schwierigkeiten angesichts der mir bekannten Erklärungen der zu beteiligenden und beteiligten Senatsverwaltungen nicht zu erwarten.“
Andere Genossenschaft lehnte Vorkauf ab - wegen mangelnder Wirtschaftlichkeit
Im Falle des Hauses an der Forster Straße 1 hatte eine andere Genossenschaft einen Vorkauf abgesagt, weil dieser nicht wirtschaftlich sei. Das geht aus Unterlagen des Bezirksamts hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegen. "Eine Wirtschaftlichkeit ist aufgrund des hohen Kaufpreises bei gleichzeitig unterdurchschnittlichem Objektzustand - auch unter Ansatz eines Zuwendungsbetrages - nicht darstellbar", heißt es in einer Mail der Genossenschaft an das Bezirksamt. „Es stellt sich umso mehr die Frage, wie die Diese eG - ohne das nötige Kapital - den Kauf dieser Häuser hätte bezahlen sollen“, so von Münster.
In Bezug auf das Haus an der Forster Straße 1 in Kreuzberg hatte ein Mitarbeiter des Bezirksamts selbst im Vorfeld des Vorkaufs auf "sehr niedrige Mieten" im Objekt hingewiesen. Das geht aus einer internen Mail aus dem Bezirksamt hervor, die der Berliner Morgenpost vorliegt.
Tatsächlich wurden am 6. Dezember 2019 die Konten der "Diese eG" bei der GLS Bank eingefroren, da die Genossenschaft den Kaufpreis zweier Gebäude nicht zahlen konnte. Ein Hauseigentümer leitete nach einer Nachfrist die Vollstreckung ein. An dieser Stelle hätte der haftende Bezirk einen Millionenbetrag zahlen müssen. Diese Haftung durch den Steuerzahler trat aber nicht ein, nachdem die „Genossenschaft am Ostseeplatz“ spontan eines der Gebäude an der Rigaer Straße übernahm.
Schmidt berief sich auf angeblich überraschend gestiegene Kosten durch einen erhöhten Instandhaltungsbedarf des Hauses an der Rigaer Straße 101. Bei der Rückabwicklung des Vorkaufs dieses Gebäudes entstand dem Bezirk ein Schaden von mindestens 190.000 Euro für den Bezirk, wie Schmidt später öffentlich einräumte.
"Haushaltsuntreue ist ein sehr schwerwiegender Vorwurf. Es ist von der Staatsanwaltschaft zu prüfen, ob hier ein Schaden fahrlässig entstanden ist oder billigend in Kauf genommen worden ist", sagt Harald Georgii, Kreisvorsitzender der SPD Friedrichshain-Kreuzberg. "Die Staatsanwaltschaft sollte das sehr gründlich prüfen. Klar ist auch: Ein Ermittlungsverfahren steht am Anfang und ist noch keine Vorverurteilung."