Berlin. Offizieller Start des Modellversuchs ist in einer Woche. Ein Teil der Straße bleibt dann Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten.

Ein Blick von rechts nach links, ein vorsichtiger Schritt: dann steht die Fußgängerin auf der Friedrichstraße und setzt ihren Weg auf der Fahrbahn fort. Ganz überzeugt sieht sie dabei noch nicht aus. Kein Wunder: der Weg, den sie nimmt, wäre um diese Zeit, werktags um kurz nach 9 Uhr, sonst nicht frei.

Für Autofahrer ist die Friedrichstraße seit Freitag gesperrt. Mit den Markierungsarbeiten beginnt das Projekt „Autofreie Friedrichstraße“. Offizieller Start des Modellversuchs ist in einer Woche, am 29. August. Der Abschnitt zwischen der Leipziger Straße und der Französischen Straße bleibt bis Ende Januar Fußgängern und Fahrradfahrern vorbehalten. Grüner, einladender und interessanter soll die Friedrichstraße in dieser Zeit werden. Acht Meter Gehweg sind vorgesehen: hier sollen Sitzgelegenheiten, Pflanzen und Aktionen den Passanten Entspannung und der Friedrichstraße eine „Revitalisierung“ ermöglichen. Fahrradfahrer werden sich über den geplanten Fahrradweg freuen – großzügige zweieinhalb Meter pro Seite sind für sie vorgesehen.

Am ersten Tag, rund drei Stunden nach der Sperrung, haben es insbesondere die Autofahrer nicht leicht: Nicht jeder die neue Verkehrsführung auf dem Schirm. Immer wieder müssen Autofahrer, die Navi oder Gewohnheit vor eine der Absperrungen in den Nebenstraßen geführt hat, wenden. Nicht jedermanns Sache: Während die einen zwischen parkenden Autos rangieren, um es eine Straße weiter zu versuchen, ignorieren andere die geänderten Verkehrszeichen – genau wie die rot-weißen Zäune. Wo eine Lücke ist, ist auch ein Weg, lautet für einige das Motto. Die Barken sind an allen Zufahrten bereits mit einem „Durchfahrt verboten“-Schild versehen. Der Rest – bis Januar – erst einmal überflüssigen Schilder, wird im Laufe des Tages abgeschraubt.

Zwischen Leipziger und Französischer Straße herrscht dann Parkverbot

An der Vollsperrung besteht allerdings kein Zweifel: Wer sich daher vom Ordnungsamt beim Ignorieren der Verbotsschilder erwischen lässt, riskiert ein Bußgeld. Ein solches kommt auch auf die Fahrer zu, die aufgrund der geänderten Schilder nun im Parkverbot stehen. Ihre Kennzeichen wurden beim Testlauf am Freitag bereits erfasst. Laut Straßenverkehrsordnung sind Fahrer verpflichtet, alle 72 Stunden zu kontrollieren, ob Verkehrszeichen oder Markierungen geändert wurden und sie somit umparken müssen. Wer dieser Pflicht nicht nachkommt, erlebt im Zweifel eine unangenehme Überraschung. Auf Falschparker kommt mindestens ein Bußgeld zu – im Zweifel auch der Abschleppdienst.

In den kommenden Monaten stehen weitere Arbeiten auf dem Abschnitt der Friedrichstraße an: Der Gehweg der Friedrichstraße soll dann beidseitig von vier auf acht Meter erweitert werden. Geplant ist zudem ein Fahrradweg (zweieinhalb Meter pro Richtungsspur) in der Mitte der Straße. Sitzgelegenheiten, Begrünung und mehr Außengastronomie sollen die „Testfußgängerzone“ abrunden. Alle Umgestaltungen werden provisorisch angelegt.

Tempolimit wird auf Schrittgeschwindigkeit herabgesetzt

Was noch kommen könnte: Der verkehrsberuhigte Bereich, der momentan nur bis zur Schützenstraße reicht, soll um den Abschnitt dieser, bis zur Leipziger Straße erweitert werden. Dann dürfte hier nur noch Schritttempo gefahren werden – so wie seit heute schon den Bereich am Checkpoint Charlie. Rund um den Touristen-Hotspot gilt für die kommenden Monate Tempo 30.

Die Idee entstand aus der Entwicklung der Friedrichstraße als Wirtschaftsstandort. Immer mehr Händler haben sich aus der Friedrichstraße zurückgezogen. Einige Ladenlokale stehen bereits leer. Als Nord-Süd-Querung zwischen der Leipziger Straße und Unter den Linden ist das Verkehrsaufkommen hoch. Zudem fehlt es der Asphaltwüste an Grün. Hier sollen rund 65 Topfbäume Abhilfe schaffen.

Die Ideengeber verfolgen ambitionierte Ziele. Die Initiatoren erhoffen sich eine „Revitalisierung“ der Straße. Eine ruhige Verkehrslage und eine einladende Umgebung sollen Passanten zum Verweilen bewegen – zusätzliche Angebote wie etwa Workshops, die diesen Effekt verstärken könnten, sind angedacht. Besucher anzuziehen und zu binden würde in Folge idealerweise auch den Umsatz der Geschäfte und Gastronomie auf der Friedrichstraße erhöhen – soweit die Idee.

Unternehmer befürchten Umsatzeinbrüche

Die Stimmung in Bezug auf den Modellversuch ist durchwachsen. Seit Beginn des Projekts, im Advent 2018, ist die Umsetzung umstritten. Für eine Umsetzung stark gemacht haben sich insbesondere die Verkehrsinitiative „Changing Cities“, ebenso die Initiative „Stadt für Menschen“. Die Anrainer, insbesondere Gewerbetreibende und Gastronomen dagegen sind geteilter Meinung. Etwa die Hälfte der ansässigen Unternehmer ist für, die andere gegen das Projekt.

Einige Betreiber befürchten weitere Umsatzeinbrüche. Sie verweisen auf die bisher eher negativen Erfahrungen mit Fußgängerzonen in Berlin. Auch CDU und FDP sehen das Projekt kritisch – fraglich ist in ihren Augen, wie ergebnisoffen der Modellversuch sei. Befürchtet wird ein Vorgehen wie bei der Umgestaltung der Karl-Marx-Allee. Der Anrainer-Verein Mitte e.V. wiederum kritisiert das aus ihrer Sicht mangelhafte Konzept.

Die Befürworter, darunter Regine Günther (Grüne), verweisen auf Untersuchungen, die belegen, dass der Umsatz in Innenstädten dort steigt, wo der Autoverkehr abnimmt. Der Modellversuch „autofreie Friedrichsstraße“ soll nun zeigen, wie die Fußgängerzone tatsächlich angenommen wird. Gewöhnen müssen sich augenscheinlich sowohl Passanten, als auch Autofahrer an die neuen Umstände. Einen direkten Vorteil hat die Sperrung allerdings: Es ist angenehm leise auf der Flaniermeile auf Zeit.

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