BVG

Mohren- oder Glinkastraße - das ist hier die Frage

| Lesedauer: 5 Minuten
Sören Kittel und Christian Latz
Der Eingang des U-Bahnhofs Mohrenstraße. Die Straße ist seit Jahren Gegenstand einer Rassismus-Diskussion.

Der Eingang des U-Bahnhofs Mohrenstraße. Die Straße ist seit Jahren Gegenstand einer Rassismus-Diskussion.

Foto: Philipp Siebert

Die BVG will die U-Bahn-Station Mohrenstraße in Glinkastraße umbenennen. Das Problem: Der Komponist Michail Glinka war ein Antisemit.

Berlin. Michail Iwanowitsch Glinka war ein russischer Komponist, kein unwichtiger. Der Mann, der 1804 im Westen Russlands an der Grenze zu Polen geboren wurde, gilt als der Begründer der russischen Oper. Er komponierte in Berlin und verliebte sich auch in der Stadt in eine Sängerin. Hier starb er im Februar 1857 überraschend an einer Erkältung. Nach ihm wurde eine Straße in Mitte benannt – und deshalb ist sein Lebenslauf plötzlich wieder ein Thema.

Denn die nahe gelegene U-Bahn-Station Mohrenstraße soll im Zuge der U5-Linienöffnung im Dezember dieses Jahres umbenannt werden. Das Wort Mohr ist eine altmodische rassistische Bezeichnung für Menschen dunkler Hautfarbe. Doch das Problem mit dem Vorschlag, die Station Glinkastraße zu benennen ist: Michail Glinka war Antisemit. Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde nannte es eine „Verschlimmbesserung“. Von Rassismus zu Antisemitismus – die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) haben ein Problem.

Lesen Sie auch: So diskutiert Berlin über die Umbenennung der Mohrenstraße

U-Bahnhof Mohrenstraße: Grüne fordern offenes Verfahren zur Namensfindung

Rückendeckung aus dem Senat erhielt die BVG für ihre Entscheidung am Dienstag nur teilweise. „Es wird begrüßt, dass die BVG die Umbenennung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in den Blick genommen hat“, erklärte BVG-Aufsichtsratsvorsitzende und Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Dies sei wichtig, um ein klares Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Auf den von der BVG auserkorenen Namen wollte sich Pop dabei allerdings nicht festlegen. „Schnellschüsse sind in solchen Angelegenheiten nicht angebracht“, sagte sie.

Von der BVG erwarte man stattdessen, die anstehende Umbenennung per offenem Verfahren unter Einbeziehung der entwicklungspolitischen und dekolonialen Verbände und Vereine sowie der Anrainerinnen und Anrainer zu führen. Dem schloss sich Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) an. Sie habe den Namen Glinkastraße eher als Vorschlag verstanden. Das von Pop geschilderte Verfahren sei das richtige.

Noch am Freitag hatte Pop beim Kurznachrichtendienst Twitter geschrieben: "Mit der Umbennenung des U-Bahnhofs Mohrenstraße in Glinkastraße setzt die BVG ein klares Zeichen gegen Diskrimierung, genau richtig in unserer internationalen und vielfältigen Metropole Berlin."

BVG-Sprecherin ist offen für eine Diskussion über den neuen Namen

Die Sprecherin der BVG, Petra Nelken, zeigte sich am Dienstag offen für eine Diskussion über den neuen Namen. „Der Name steht weder fest, noch ist er vom Tisch“, sagte sie der Berliner Morgenpost. „Glinka war schließlich ein bedeutender Komponist“, so Nelken, „und unsere Aufgabe ist es, dem Fahrgast eine Orientierung zu geben, wo er in der Stadt ist.“ Die BVG könne keine Straßen umbenennen.

Kommentar: Nun also die Mohrenstraße

Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, hat einen überraschenden Standpunkt zur Sache: „Ich bin gegen die Umbenennung der Mohrenstraße“, sagte er der Berliner Morgenpost. „Vielmehr sollte man durch Zusatzinformationen Sensibilität bei Passanten erzeugen – ähnlich wie die Stolpersteine uns jetzt zeigen, wo in Berlin Juden gelebt haben.“ Antisemitismus und Rassismus hätten die gesamte Gesellschaft durchdrungen, sagte er. „Außerdem war Michail Glinka nicht der aggressivste Antisemit.“

Debatte um Umbenennung von Straßen in Berlin

Über die Umbenennung von Straßen, die an Kolonialisten erinnern oder heute manchen als diskriminierend oder rassistisch aufstoßen, wird in Berlin schon seit vielen Jahren in mehreren Stadtvierteln debattiert. Das trifft auch auf die Mohrenstraße im Bezirk Mitte sowie die gleichnamige U-Bahn-Station zu. Der Vorstoß der BVG in der Vorwoche kam überraschend: Hintergrund ist die nach Fällen von Polizeigewalt gegen Schwarze in den USA aktuell wieder lautere Debatte über Rassismus.

„Als weltoffenes Unternehmen und einer der größten Arbeitgeber der Hauptstadt lehnt die BVG jegliche Form von Rassismus oder sonstiger Diskriminierung ab“, hieß es in der Unternehmensmitteilung vom vergangenen Freitag. „Aus Verständnis und Respekt für die teils kontroverse Debatte um den Straßennamen hat die BVG sich nun entschieden, ihn nicht weiter für die Benennung des U-Bahnhofs zu verwenden.“ Die Umbenennung werde einige Wochen in Anspruch nehmen, solle aber noch in diesem Jahr erfolgen, hatte eine BVG-Sprecherin gesagt. Das dürfte nun erst einmal obsolet sein.

Bezirk Mitte prüft Umbenennung der Mohrenstraße

Eine Umbenennung der Straße selbst, deren Name vermutlich auf dunkelhäutige Bewohner einstmals in der Gegend zurückgeht, wird derzeit vom Bezirk Mitte geprüft. Wegen der auch hier erwünschten Beteiligung der Anrainer wird allerdings von einem längeren Prozess gesprochen.

Der 1908 eröffnete U-Bahnhof Mohrenstraße hat bereits eine bewegte Namensgeschichte hinter sich. Bis 1950 hieß er Kaiserhof, anschließend bis 1986 Thälmannplatz und dann bis 1991 Otto-Grotewohl-Straße. (mit dpa)