Berlin. 15.000 Menschen kamen, um nach dem Tod von George Floyd gegen Rassismus zu demonstrieren. Demonstranten kritisieren Polizeieinsatz.
Schon eine halbe Stunde vor Beginn der Demonstration unter dem Motto „Nein zu Rassismus“ ist auf dem Alexanderplatz in Mitte kein Durchkommen mehr. Ein Meer aus größtenteils schwarz gekleideten Protestierenden mit Atemschutzmasken erstreckt sich am Sonnabendnachmittag vom Fernsehturm aus über den Bahnhof bis hin zum Einkaufszentrum Alexa.
Die Abstandsregeln einzuhalten, entpuppt sich bald als illusorisch, auch wenn die Polizei immer wieder über Lautsprecher darauf hinweist. Gruppen fassen sich an der Hand, um sich durch die Menge zu drängen und sich nicht zu verlieren. Der Zugang vom Alexa aus wird von den Beamten zeitweise gesperrt. Demonstranten klettern auf Toilettenhäuschen, Bushaltestellen und den U-Bahn-Fahrstuhl, um besser sehen zu können.
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„Auch hier in Deutschland gibt es Rassismus“
Nach Angaben der Polizei wurden rund 1500 Teilnehmer zu der Anti-Rassismus-Demonstration erwartet. Gekommen sind jedoch 15.000 – zehn Mal so viele. Sie wollen ein Zeichen setzen gegen Fremdenhass und Polizeigewalt in den USA. Aber nicht nur dort. „Wir sollten nicht immer nur mit dem Finger auf die Vereinigten Staaten zeigen“, sagt Markus Müller aus Moabit, „auch hier in Deutschland gibt es Rassismus.“
So still wie von den Organisatoren angekündigt ist der Protest dann allerdings nicht, viele der Teilnehmer stimmen lautstark Protestchöre, Lieder und Sprechgesänge an und prangern damit Rassismus und Diskriminierung weltweit an, insbesondere gegenüber Personen mit dunkler Hautfarbe. „Nein zu Rassismus“ solidarisiert sich dabei mit der sogenannten Bewegung „Black Lives Matter“ (Deutsch: „Schwarze Leben zählen“) und gedenkt der Tötung des 46-jährigen Schwarzen George Floyd am 25. Mai in Minneapolis (Minnesota) durch einen weißen Polizisten. In den USA war es bei Demonstration zu Ausschreitungen, Plünderungen und nächtlichen Gewaltausbrüchen gekommen.

"Sind die Abstandsregeln heute ausgesetzt Herr Innensenator? "
Viele Demonstranten auf dem Alexanderplatz hielten sich nicht an die Abstandsregeln. „Sind die Abstandsregeln heute ausgesetzt Herr Innensenator? Das bekommen sie mit schwachen Coronaregeln und ohne Unterstützung von Bund und Ländern dauerhaft nicht in den Griff!“, twittert Bodo Pfalzgraf, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) – und setzt noch nach: „Hauptsache wir tragen beim Friseur alle eine Maske.“
Auch die FDP-Fraktion äußerte Kritik. „Mit dieser Versammlung hat der Senat endgültig bewiesen, dass es sich bei den sogenannten ,notwendigen Maßnahmen’ seiner Corona-Verordnung nicht um Notwendigkeiten, sondern mittlerweile schlichte Willkür handeln muss. Wie will man angesichts derartiger Massenansammlungen die Notwendigkeit massiver Grundrechtseingriffe in der persönlichen Lebensführung noch rechtfertigen?“, teilte der innenpolitische Sprecher Marcel Luthe mit.
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Andreas Geisel appelliert: Bei Demos Abstandsgebot einhalten
Innensenator Andreas Geisel (SPD) verteidigte die Entscheidung, die Teilnehmerzahl bei Demonstrationen unter freiem Himmel in der Hauptstadt nicht mehr zu begrenzen. „Ich halte das nach wie vor für richtig“, teilte Geisel am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur auf Anfrage mit. Zugleich appellierte er, das Abstandsgebot einzuhalten. „Die Grundrechte auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind elementar. Trotzdem müssen sich die Menschen – zum Schutz für sich selbst und anderer - bewusst sein, dass auch immer das Abstandsgebot einzuhalten ist“, so Geisel. Das sei am Samstag leider deutschlandweit nicht gelungen, auch in Berlin am Alexanderplatz nicht.
Wie bereits in der vergangenen Woche sei die durch den Anmelder erwartete Zahl der Teilnehmenden um ein Vielfaches übertroffen worden. „Das macht es für die Polizei in solchen Situationen zusätzlich schwer.“ Das politische Anliegen der Demonstration gegen Rassismus am Alexanderplatz teile er aber voll und ganz.
Dilek Kalayci: Mit Abstand und Mund-Nasen-Bedeckung demonstrieren
Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) forderte zu mehr Verantwortung aller bei Demonstrationen in der Corona-Krise auf. Nach der Versammlung gegen Rassismus sagte Kalayci der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag: „In der Pandemie haben sowohl die Veranstalter als auch die Teilnehmenden eine hohe Verantwortung. Man kann auch mit Abstand demonstrieren und dabei Mund-Nasen-Bedeckung tragen. Wir haben mit Erfolg die Neuinfektionen auf ein niedriges Niveau senken können. Das bedeutet aber nicht, dass die Pandemie vorbei ist.“
Das Demonstrationsrecht sei ein hohes Gut in unserer Demokratie und dass gegen Rassismus demonstriert werde, sei gerade in dieser Zeit wichtig, betonte Kalayci. „Auch die Gesundheit der Menschen ist ein hohes Gut.“
Prominente solidarisch mit Protesten gegen Rassismus
Auch Prominente waren bei der Demonstration auf dem Alexanderplatz. Popsängerin Sarah Connor postete auf Instagram ein Foto, das sie mit Mund-Nasen-Schutz bei der Demonstration am Samstag auf dem Berliner Alexanderplatz zeigt. Dazu schrieb die 39-Jährige: „Es war sehr bewegend beim SILENT PROTEST auf dem Berliner Alexander Platz heute. Zusammen mit meinen Freunden und Gospelsängern von den Gospel Voices Of America und meiner Familie sind wir heute mit 15.000 anderen Menschen zusammen gekommen und haben friedlich demonstriert.“
Auch Moderatorin Collien Ulmen-Fernandes (38) postete auf Instagram ein Selfie und schrieb: „Demonstrierend. Gegen Rassismus.“
Schauspieler Lars Eidinger (44) war ebenfalls auf dem Alexanderplatz und zeigte ein Foto, auf dem eine Person ein Schild mit dem Slogan „Equality in Diversity“ (etwa: Gleichheit in der Vielfalt) hochhält.
Unter den Teilnehmern befinden sich neben Familien mit Kindern auffällig viele junge Menschen. Auch Inka, Lilo, Kim und Sophie aus Potsdam zeigen ihre Schilder. Die Schülerinnen zwischen 14 und 15 Jahren haben sich für ihre Plakate von Sprüchen aus den USA inspirieren lassen. Von der Demonstration haben sie über Instagram erfahren und sich gegen die Bedenken ihrer Eltern durchgesetzt, daran teilzunehmen. „Wir sind geschockt und wollen ein Zeichen setzen“, sagt Lilo, „Menschen sind Menschen, egal, welche Hautfarbe sie haben.“
93 Festnahmen und 28 verletzte Beamte nach Demo
Kurz nach Ende der friedlichen Anti-Rassismus-Demonstration,kam es dann doch noch zu Gewaltvorfällen. Der Alexanderplatz war nach Angaben der Polizei am Nachmittag komplett ausgelastet, die Beamten verhinderten den Zustrom von weiteren Teilnehmern. Die bis dahin störungsfrei verlaufende Veranstaltung wurde vom Einsatzleiter und der Anmelderin vorzeitig beendet. Die Polizei machte Durchsagen, um eine Massenpanik zu verhindern. Doch dann kippte die Stimmung. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen den Einsatzkräften und Protestierenden. Flaschen und Steine flogen auf die Polizisten. Die Bilanz: 93 Personen wurden wegen Landfriedensbruch, Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und tätliche Angriffe auf Vollstreckungsbeamte, versuchter Gefangenenbefreiung, Hausfriedensbruchs sowie Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz festgenommen. Insgesamt wurden 28 Einsatzkräfte leicht verletzt, drei von ihnen wurden ambulant behandelt und mussten ihren Dienst beenden.
Die Polizei teilte noch in der Nacht zu Sonntag den Grund für die Ausschreitungen aus ihrer Sicht mit. Offenbar hatte eine Frau nach der Kundgebung einen weiteren Aufzug angemeldet. Dieser sollte vom Alexanderplatz zum Strausberger Platz führen. Da der Alexanderplatz aber noch völlig überfüllt war, konnten die Teilnehmer nicht zum Alexanderplatz zurückkehren. Es kam zu Schubsereien und vereinzelt zu Festnahmen.
Einsatzkräfte werden am Berolinahaus eingekesselt
Etwa eine Stunde nach der Beendigung der Kundgebung gegen Rassismus sammelten sich laut Polizei mehrere hundert Personen an der Dircksenstraße zwischen dem Bahnhof Alexanderplatz und dem Berolinahaus. Dort wurden auch Einsatzkräfte eingekesselt. Nachdem die Beamten einen Mann festgenommen hatten, da er ein Einsatzfahrzeug beschädigt hatte, flogen Flaschen und Steine. Dabei wurden Einsatzkräfte und ein Pressefotograf verletzt.
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) bedankte sich bei den friedlichen Demonstranten, verurteilte aber die Flaschen- und Steinwürfe. „Wir möchten uns bei den Zehntausenden friedlichen Demonstranten bedanken, die vom Versammlungsrecht Gebrauch gemacht haben, um in friedlicher Art und Weise gegen Rassismus auf die Straße zu gehen. Das verdient unsere absolute Rückendeckung“, teilte GdP-Sprecher Benjamin Jendro mit. „Wer aber auf Basis der grauenhaften Ereignisse in den USA in Berlin „F*** the police“-Plakate und Vergleichbares vor Menschen hochhält, die auch heute wieder Grundrechte bestmöglich geschützt haben, diese dann auch noch mit Flaschen und Steinen bewirft, missbraucht die Versammlungsfreiheit. Wir wünschen den 28 verletzten Kollegen und Kolleginnen und auch dem verletzten Journalisten alles Gute.“
Demonstranten werfen der Polizei Gewalt vor
In den sozialen Medien wurde der Einsatz der Polizei kritisiert und verschiedene Videos veröffentlicht. Einige Nutzer schreiben in ihren Kommentaren davon, dass die Polizei auf dem Alexanderplatz Demonstranten angegriffen habe.
Auf Anfrage zu den Vorkommnissen teilte die Polizei mit: „Sehr oft zeigen diese Videos leider nur Teilausschnitte des Geschehens welche eine Würdigung des Geschehens erschweren und eine Bewertung unmöglich machen. Erst wenn das Gesamtvideo vorliegt, also die Handlung aller Beteiligten erkennbar ist, ist eine Bewertung möglich.“ Nach Angaben der Polizei wurden bis zum Sonntagnachmittag keine Strafanzeigen gegen Polizeibeamte im Zusammenhang mit den Ereignissen auf dem Alexanderplatz gestellt.
CDU kritisiert neues Antidiskriminierungsgesetz
„Nach den überwiegend friedlichen Demos gegen Rassismus haben linke Gewalttäter am Sonnabend Polizisten und Journalisten mit Stein- und Flaschenwürfen angegriffen. Dieser Hass ist menschenverachtend und unsolidarisch.“, teilte Burkard Dregger, Vorsitzender und innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion Berlin, mit. „Wir wünschen allen Verletzten, darunter 28 Einsatzkräfte, schnelle Genesung. Die Täter müssen hart bestraft werden. Die Gewalt gegen diejenigen, die unser Versammlungsrecht gewährleisten, und gegen die Pressefreiheit ist durch nichts zu rechtfertigen.“
Ebenso stellte Dregger die Frage an den Landesvorsitzenden der Linken, Schubert, auf wessen Seite er stehe. Seiner Ansicht nach hätten die Linken Festnahmen von mutmaßlichen Gewalttätern zum Anlass genommen, um in sozialen Medien Stimmung gegen die Polizei zu machen, und damit Feindseligkeit zu schüren und zu neuen Gewalttaten aufzustacheln. „Wenn in Netzwerken Festgenommene jetzt auch noch aufgerufen werden, sich auf das neue Antidiskriminierungsgesetz (LADG) zu berufen, bestätigt das unsere Vorbehalte: Dieses rot-rot-grüne Gesetzeswerk soll vor allem dem Schutz von Straftätern dienen und unsere Polizei schwächen“, lautete seine Stellungnahme. „Mit seinen politisch gewollten Geburtsfehlern ist das LADG ein juristischer Fehlgriff. Leider wurden auch bei diesen Demos Mindestabstände nicht eingehalten und Teilnehmer dadurch unnötig gefährdet, sich mit dem Coronavirus anzustecken. Senat und Koalition müssen erklären, wie sie den Gesundheitsschutz von Demonstranten sicherstellen wollen. Hierfür tragen sie die politische Verantwortung.“
(mit dpa)
Protest gegen tödlichen Polizeieinsatz in den USA - die Bilder vom 31. Mai 2020
Tödlicher Polizeieinsatz in den USA - Protest auch in Berlin