Mit der Ansiedlung des schillernden Elektroauto-Konzerns Tesla ist Brandenburg ein echter Coup gelungen. Seit Juli verhandelte Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) mit dem US-Unternehmen. Am Ende setzte sich der Standort im Südosten Berlins gegen mehr als 30 Mitbewerber aus ganz Europa durch. Tesla will in Grünheide eine Giga-Fabrik mit zunächst 3000 bis 4000 Mitarbeitern errichten, die bis zu 500.000 Elektro-Autos im Jahr produzieren. Schon 2021 soll die Fabrik fertig sein. Im Interview mit der Berliner Morgenpost erläutert Wirtschaftsminister Steinbach, wie die Anwerbung gelang und was die konkreten Ziele sind.
Herr Steinbach, Tesla-Chef Elon Musk hat gerade bei der Eröffnung des neuen Werkes in Schanghai getanzt. Wissen Sie schon, welche Musik Sie bei der Eröffnung des Brandenburger Werks auflegen?
Jörg Steinbach: Nein. Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Es fehlt gerade etwas an Zeit, mal durchzuatmen und über derlei Dinge nachzudenken. Ich bin erst einmal froh, dass wir die Hürde des Finanzausschusses im Landtag genommen haben und das Grundstück an Tesla verkaufen können.
Apropos Durchatmen: Wird Ihnen manchmal schwindlig angesichts des Zeitplans, den Tesla vorgelegt hat?
Der Zeitplan hat mich nicht wirklich überrascht. So wird halt in anderen Teilen der Welt agiert. Wenn man als wettbewerbsfähiger Standort da mitspielen will, muss man sich der Herausforderung stellen. Es geht also eher darum, wie man in Brandenburg mit der Erwartungshaltung umgeht. Wenn wir die Herausforderung meistern, dann werden wir im Ranking der deutschen Wirtschaftsstandorte ziemlich weit oben stehen. Und das kann einen Magneteffekt auslösen und dazu führen, dass auch andere Unternehmen Brandenburg auf der Landkarte entdecken.
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Bestehen in Deutschland mit Genehmigungsverfahren und Naturschutzanforderungen andere Voraussetzungen als in China oder den USA?
Ein Staat wie China greift in Verfahren viel stärker ein. Das wird hier nicht passieren, und das haben wir Tesla auch klar gesagt. Wir als Landesregierung haben nur sehr bedingt Einfluss auf das Tesla-Projekt. Wir sind ja kein Vertragspartner. Wir können helfen, beraten, flankieren und bei der Frage der Fachkräfte unterstützen. Aber irgendwann ist Tesla seines eigenen Glückes Schmied in der Umsetzung seiner eigenen Ambitionen.
Es kursieren verschiedene Zahlen über das Projekt. Am Ende sollen 500.000 Autos das Werk pro Jahr verlassen. In China entstand eine Fabrik ähnlichen Ausmaßes für zwei Milliarden Dollar. Wie konkret sind die Pläne für das Brandenburger Werk?
Die 500.000 Autos sind keine spekulative Größe, sie stehen im Genehmigungsantrag. Das wird aber nicht die Größe vom ersten Produktionstag an sein. Da reden wir von ungefähr 150.000 Fahrzeugen pro Jahr. Tesla wird beobachten, wie schnell sie tatsächlich im europäischen Markt wachsen, und die Kapazität in Abhängigkeit davon über zwei weitere Stufen ausbauen. Um dann nicht weitere Genehmigungen einholen zu müssen, beantragt Tesla die Endausbaustufe jetzt schon mit. Das wird aber noch ein paar Jahre dauern, bis wir von 150.000 auf 500.000 Fahrzeuge kommen.
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Welche konkreten Hilfen wird es vom Land geben?
Es gibt nur eine und die auch nicht mit Garantie. Dabei handelt es sich um die übliche Unterstützung: die staatliche Beihilfe im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur. Da sich die Investitionssumme von Tesla deutlich über 100 Millionen Euro bewegt, entscheidet aber nicht die Landesregierung über die Förderung, sondern die EU in Brüssel.
Was ist an Infrastruktur um das Werk herum nötig?
Wichtig ist, dass Tesla in der ersten Stufe weitgehend mit der Infrastruktur auskommt, die jetzt schon da ist. Einer der großen Vorteile des Grundstücks in Grünheide ist, dass es bereits einen Autobahnanschluss hat, der sich quasi vor dem Werkstor befindet. Es hat mit Fangschleuse einen eigenen Bahnhof, wo der Regionalexpress zwischen Frankfurt (Oder) und Berlin verkehrt. Wenn die Kapazität des Werks hochgefahren wird, kann nördlich von Freienbrink noch ein weiterer Autobahnanschluss hinzukommen, um Engpässe zu vermeiden. Dann bedarf es weiterer Zubringerstraßen, und dann müssen wir auch über eine Ausweitung der Bahnkapazitäten sprechen. Das Gelände verfügt über einen Gleisanschluss, und man wird sehen, wie viele Züge da am Tag verkehren müssen. Es stehen auch Gespräche mit dem Land Berlin an, ob die S-Bahn in Erkner um eine Station verlängert und die Frequenz des Regionalexpresses erhöht werden kann.
Könnte das Tesla-Projekt nicht ein Modell für weitere Ansiedlungen sein, die Berlin und Brandenburg gemeinsam anwerben. Brandenburg hat die Flächen für die Produktion, Berlin die Wissenschaftslandschaft und die Fachkräfte?
Was der Brandenburger nicht mag, ist die Kästcheneinteilung in: Berlin ist der Kopf und Brandenburg sind die Beine, die laufen. Aber im Ernst, Köpfchen haben wir in Brandenburg auch, Hochschulen auch …
… möglicherweise aber nicht genug …
Das ist eine andere Frage. Aber der Wissenschaftspark Golm in Potsdam ist aus der Wissenschaftsregion nicht mehr wegzudenken. Insgesamt ist Berlin als Stadt ein Magnet. Wir haben bei der Vergabe gemerkt, dass Herrn Musk der Name Berlin sehr wichtig ist, weil er international zieht. Was die Zusammenarbeit mit Berlin angeht, ist da meines Erachtens noch Potenzial, bei Ansiedlungen noch stärker gemeinsam zu agieren.
Vor zwei Jahren hat die Landesregierung noch eine Imagekampagne ins Leben gerufen, weil festgestellt wurde, dass niemand Brandenburg kennt. Ist mit Tesla da eine Trendwende erreicht?
Selbstverständlich. Die Welt schaut im Moment auf Brandenburg. Von überall kommen derzeit Anfragen, die Menschen wollen überhaupt erst einmal wissen, wie man Grünheide ausspricht. Das ist spannend. Ministerpräsident Dietmar Woidke hat treffend gesagt, früher sei manchmal mitleidig auf Brandenburg geschaut worden, jetzt sei man neidisch auf uns. Und aus der neuen Position heraus regiere er viel lieber. Das drückt es ganz gut aus. Es wird auch zum Selbstbewusstsein der Brandenburger beitragen, dass wir diesen Erfolg erzielen konnten.
Zusammen mit dem BER entsteht im Südosten von Berlin ein riesiges Wirtschaftszentrum. Verschärft das in Brandenburg die Diskrepanz zwischen der Hauptstadtregion und den ländlichen Gebieten?
Es ist eine Herausforderung, die wir im täglichen Handeln im Blick behalten müssen. Wir haben mit der Lausitz eine Region, die durch das Kohleausstiegsgesetz eine privilegierte Stellung einnehmen wird. Der Metropolregion geht es schon heute deutlich besser, im Speckgürtel herrscht quasi Vollbeschäftigung. Dann gibt es Regionen wie die Uckermark und die Prignitz, wo das noch anders aussieht. Ich sehe es als eine ganz wesentliche Aufgabe an, Ideen zu entwickeln, wie diese Regionen mithalten können.
Können Sie uns schon ein wenig teilhaben lassen an diesen Ideen?
Ja. Es liegt eigentlich auf der Hand. Wir haben im Norden von Brandenburg mit der Windkraft den bislang größten Ausbau von erneuerbaren Energien. Damit könnten wir schon heute 80 Prozent des Strombedarfs von Brandenburg decken. Theoretisch. Aber wir haben nicht ausreichende Transportleitungen. Und damit sind wir beim Thema Wasserstoff. Meine Vision ist, dass an jedem Windrad ein Elektrolyseur hängt …
… eine Vorrichtung, in der mit Hilfe von elektrischem Strom Wasserstoff hergestellt wird …
… und die dadurch dort entstehende Wasserstoff-Wirtschaft Grundlage für die weitere wirtschaftliche Entwicklung in Brandenburg wird.
Wie ausgereift ist diese Technologie?
Die Technik ist nicht das Problem. Es gibt schon Anlagen mit großen Wirkungsgraden. Das Problem ist die Regulatorik. Im Augenblick werde ich durch die vom Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorgegebenen Abgaben finanziell dafür bestraft , wenn ich den Wasserstoff in einer Nichtverstromungstechnik weiterverwende, zum Beispiel als Antrieb für Eisenbahnen oder Fahrzeuge. Deswegen rechnet sich das wirtschaftlich nicht.
Gerade auf den von Ihnen genannten Gebieten gibt es aber wachsenden Widerstand gegen neue Windparks. Lässt sich der weitere Ausbau von Windkraft politisch durchsetzen?
Da muss man genau hinschauen. Zwei Prozent der Landesfläche sollten für Windkraft genutzt werden. In Brandenburg sind wir schon bei 1,5 Prozent. Es geht also nur um das letzte Viertel. Im Norden Brandenburgs gibt es noch Ausbaupotenziale. Aber der Ausbau ist nur sinnvoll, wenn wir den Strom auch nutzen können. Mit dem gesellschaftlichen Wandel, der in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch Greta Thunberg und die „Fridays for Future“-Bewegung angestoßen wurde, wird nach und nach jeder feststellen, dass er den Kuchen nicht gleichzeitig haben und essen kann. Wenn wir aus der fossilen Stromgewinnung aussteigen wollen, muss der Strom woanders herkommen. Dann gehört es auch dazu, an der einen oder anderen Stelle Nachteile in Kauf zu nehmen.
Ist das nicht ein klassisches Stadt-Land-Problem? In der Stadt sitzen die Klima-Kämpfer, die den Ausbau erneuerbarer Energien fordern, auf dem Land sitzen die Menschen, die es ausbaden müssen.
Wir sind natürlich immer ganz begeistert, wenn ausgerechnet Berlin sich zu den Abstandsregeln für Windräder äußert. Ich glaube, Berlin hat drei Windräder. Und mit der derzeitigen Abstandsregel wird man sicherstellen, dass auf dem Tempelhofer Feld keines gebaut wird. Aber Spaß bei Seite. Es wird oft vergessen, wie stark die gesamte Energieversorgung Berlins von Brandenburg abhängt. Ob es der Strom aus der Lausitz ist oder das Kerosin für die Flugzeuge, das aus Schwedt kommt, wie auch das Benzin an jeder Tankstelle. Auch die Wasserversorgung kommt teilweise von außen. Für gemeinsame Konzepte zwischen Berlin und Brandenburg gibt es noch viel Luft nach oben.