2010 Der Winter bleibt bis heute unvergessen: Bis zu 40 Zentimeter hoch türmt sich im Februar der Schnee auf den Bürgersteigen. Berlin liegt vom Neujahrstag bis Anfang März unter einer weißen Decke, die Räumdienste kommen mit der Arbeit nicht hinterher. Autos schlittern, der Zugverkehr stockt. Vereiste Wege, Knochenbrüche, überforderte Kliniken – und der damalige Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) spricht: „Wir sind nicht in Haiti.“ Bis heute einer der bekanntesten Sätze des Rathauschefs.
In Erinnerung bleibt auch der Überfall auf das wichtigste Pokerturnier Europas im Hotel Grand Hyatt am Potsdamer Platz. Die schwer bewaffneten Täter haben es auf das Startgeld in Höhe von rund 100.000 Euro abgesehen – am Ende gehen die Haupttäter sechs und sieben Jahre lang in Haft. Ein Fall von Clan-Kriminalität, die Berlin im Laufe des Jahrzehnts immer wieder beschäftigen wird.
2011 Ein Konflikt mit der linksautonomen Szene Berlins, der sich bis heute auswirkt, geht zurück auf ein Ereignis im 2011: Die Räumung des besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 in Friedrichshain durch die Polizei lässt die Lage eskalieren. Mehrere Polizeihundertschaften rücken an. Es fliegen Steine und Flaschen. Berlin kommt durch die Auseinandersetzungen rund um die Rigaer Straße bis heute nicht zur Ruhe.
Zu bundesweiter Trauer führt im März der Tod des Eisbären Knut, der dem Berliner Zoo nach seiner Geburt 2007 Rekordzahlen bei den Besuchern beschert hatte. „Eine Art epileptischer Anfall“ habe den Publikumsliebling dahingerafft, sagt Bären-Kurator Heiner Klös. Erst 2015 steht die genaue Todesursache fest: Eine bis dato unbekannte Hirnerkrankung.
Himmlisch geht es im Olympiastadion zu, als Papst Benedikt XVI. bei seinem Berlin-Besuch im gepanzerten Papa-Mobil durch die voll besetzte Arena fährt. Im Roten Rathaus tritt Klaus Wowereit nach einem Wahlsieg seine dritte Amtszeit an – diesmal regieren die Sozialdemokraten nicht mit der Linken, sondern mit der CDU.
2012 Es soll der Aufbruch in eine neue Ära der Luftfahrt sein. Aber nur vier Wochen vor der Eröffnung des neuen Hauptstadt-Flughafens BER in Schönefeld sagt Flughafenchef Rainer Schwarz den Start wegen Problemen an der Brandschutzanlage ab. Mehr als zehntausend Gäste sind bereits zur Eröffnungsfeier eingeladen. Der Umzug ist bis ins letzte Detail geplant. „Wir wollen die Verzögerung so gering wie möglich halten“, stellt der Aufsichtsratschef Klaus Wowereit (SPD) einen kurzen Aufschub in Aussicht. Acht Jahre später befindet sich der BER immer noch im Bau. Insgesamt werden sechs Eröffnungstermine platzen.
Eine Debatte über Jugendgewalt folgt auf den Tod Johnny Ks. am Fuß des Berliner Fernsehturms. Bald ist klar: Sechs junge Männer haben den Spandauer totgeschlagen, der einem betrunkenen Freund helfen wollte. Der Haupttäter Onur U. stellt sich erst nach einer monatelangen Flucht in die Türkei. Später fällt das Urteil vor dem Amtsgericht Berlin: Alle sechs Täter müssen wegen gefährlicher Körperverletzung ins Gefängnis. Eine Verurteilung wegen Mordes bleibt trotz drastischer Schilderungen der Tat aus. Ein Zeuge sagt zum Angriff auf den Kopf des am Boden liegenden Johnny: „Das war kein Treten, das war ein Stampfen.“
2013 Das Verbrechen des Jahres ereignet sich direkt im Januar: Bankräuber graben monatelang einen 45 Meter langen Tunnel in einen Tresorraum der Volksbank an der Schloßstraße in Steglitz und kommen nun ans Ziel. Unbemerkt plündern sie 300 Schließfächer und flüchten mit einer millionenschweren Beute. Um ihre Spuren zu verwischen, legen sie einen Brand.
Protest kommt auf, als ein Stück der Hinterlandmauer in Friedrichshain, der East-Side-Gallery, für den Bau eines Wohnturms im früheren Todesstreifen weichen muss. Prompt fliegt ein prominenter Unterstützer ein: David Haselhoff.
Dem unvollendeten BER soll nun Ex-Bahnmanager Hartmut Mehdorn zur Eröffnung verhelfen. „Jetzt wird gearbeitet!“, ruft er aus – und verkündet das Beschleunigungsprogramm „Sprint“. Heute weiß man: Der Flughafenbau gleicht eher einem Marathon. Barack Obama muss 2013 mit der Air Force One auf dem Flughafen Tegel landen. „Keine Mauer kann dem Wunsch, dem Drang nach Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit standhalten, der in der Seele des Menschen brennt“, sagt der amerikanische Präsident dann in der Tradition von John F. Kennedy bei seiner Rede am Brandenburger Tor.
2014 Nach über 13 Jahren im Amt tritt Klaus Wowereit, vom BER-Desaster und schlechten Umfragewerten gebeutelt, als Regierender Bürgermeister zurück und macht den Weg für seinen SPD-Parteifreund Michael Müller frei – der überflügelte bei einem Mitgliedervotum Fraktionschef Raed Saleh und Jan Stöß.
Kurz vor dem Jahresende kündigt dann auch noch Hartmut Mehdorn seinen Rücktritt als BER-Chef an. Das Projekt „Sprint“ ist verpufft. Unvergessen bleibt wohl auch deshalb Mehdorns Ausspruch: „Der Flughafen wird fertiger und fertiger.“
Wie sich der Mauerfall ästhetisch darstellen lässt, haben die Brüder Christopher und Marc Bauder bewiesen. Sie liefern die Idee für die „Lichtgrenze“ – ein Kunstprojekt mit 8000 weißen Luftballons. 25 Jahre nach der Grenzöffnung steigen die leuchtenden Objekte am 9. November entlang der Mauerlinie Stück für Stück in den Himmel auf. „Der 9. November, die schönste Party meines Lebens, egal ob ’89 oder 2014“, sagt damals Musiker Udo Lindenberg.
2015 In Syrien und Irak herrscht Krieg – 90.000 Flüchtlinge erreichen bis zum Jahresende Berlin, stellen die Gastfreundschaft der Hauptstädter auf die Probe. Bürgerinitiativen in den Kiezen pflegen eine Willkommenskultur, die auch das Bild des Jahres hervorbringt: Bundeskanzlerin Angela Merkel posiert in einem der Heime zusammen mit einem irakischen Flüchtling für ein Selfie. Merkel und Bundespräsident Joachim Gauck besuchen Berliner Hilfseinrichtungen, die teilweise über Nacht eröffnen und nur dank dem Einsatz von ehrenamtlichen Helfern arbeiten können. Gauck spricht von einem „hellen Deutschland“, als er das Heim im Rathaus Wilmersdorf besucht. „Das stellt sich dem Dunkeldeutschland leuchtend gegenüber, das wir empfinden, wenn wir von Attacken auf Asylbewerberunterkünfte oder gar fremdenfeindlichen Aktionen gegen Menschen hören.“
Der Ansturm der Asylsuchenden bringt die Behörden trotzdem an ihre Grenzen. Vor dem Landesamt für Gesundheit und Soziales stehen Flüchtlinge bei Eiseskälte Schlange – eine unübersichtliche Situation, die ein Pädophiler nutzt, um den vierjährigen Mohammed zu entführen. Das Kind wird später tot gefunden.
2016 SPD und CDU stürzen bei den Wahlen für das Berliner Abgeordnetenhaus mit 21,6 und 17,6 Prozent der Stimmen auf ein historisches Tief. Aber weiterhin bleibt die SPD stärkste Kraft und geht unter Michael Müller mit Linken und Grünen ein Dreierbündnis ein. Erstmals regiert nun Rot-Rot-Grün. Neu im Parlament: die AfD.
Was 2016 prägt, sind schockierende Taten: Im Januar stößt ein Mann im Verfolgungswahn grundlos eine 20-jährige Frau vor eine U-Bahn am Ernst-Reuter-Platz. Wenige Wochen später wird ein 69-Jähriger auf der Tauentzienstraße mit seinem Geländewagen Opfer eines illegalen Autorennens. Er fährt in die Kreuzung, als zwei junge Männer, Marvin N. und Hamdi H., mit ihren Autos durch die City West rasen. Mit voller Wucht prallt der Audi von Hamdi H. in die Fahrertür des unbeteiligten Jeeps – der 69-Jährige stirbt noch an der Unfallstelle. Ein Gericht verurteilt die Verursacher des Zusammenstoßes wegen Mordes.
Am 19. Dezember löst dann der Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz weltweit Bestürzung aus. Der Tunesier Anis Amri entführt einen Lastwagen und rast mit dem Sattelzug über den Weihnachtsmarkt, zwölf Menschen kommen ums Leben. Amri entkommt zunächst. Italienische Polizisten erschießen den Attentäter wenige Tage später bei Mailand auf der Flucht.
2017 Kurz nach dem Amtsantritt hat das rot-rot-grüne Regierungsbündnis seinen ersten Skandal. Andrej Holm, der Staatssekretär für Wohnen im Ressort von Senatorin Katrin Lompscher (Linke) räumt seinen Posten, als bekannt wird, dass er falsche Angaben über seine Stasi-Vergangenheit gegenüber der Humboldt-Universität gemacht haben soll.
Unter welchem Druck die Verantwortlichen des Flughafens BER nun stehen, zeigt sich beim Personal: Erst geht Bauleiter Jörg Marks, dann Flughafenchef Karsten Mühlenfeld – schließlich übernimmt der Staatssekretär Engelbert Lüdke-Daldrup den Posten und sagt: „Irgendwann kommen alle Projekte zu einem guten Ende. Auch der BER wird fertig werden!“ Aber erst zweieinhalb Jahre später nennt er dafür einen Termin. Ein erfolgreicher Volksentscheid, bei dem 56 Prozent der Wahlberechtigten für den Erhalt des Flughafens Tegel stimmen, ändert nichts an der Haltung des Senats. Er beharrt darauf, den bei Berlinern beliebten Reinickendorfer Airport mit Eröffnung des BER zu schließen. Air Berlin ist der Umzug nicht mehr vergönnt. Die zweitgrößte Fluggesellschaft Deutschlands rutscht erst in die Krise – und stoppt am 27. Oktober mit dem letzten Flug von München nach Berlin ihren Betrieb.
Der wohl spektakulärste Diebstahl des Jahrzehnts gelingt, als Einbrecher die 100 Kilogramm schwere Goldmünze Big Maple Leaf über Nacht aus dem Bode-Museum entwenden. Allein der Materialwert liegt bei 3,7 Millionen Euro. Drei Verdächtige und ein möglicher Hinweisgeber stehen inzwischen vor Gericht.
Spektakulär in anderer Hinsicht verläuft auch die Begrüßung zweier Neuberliner: Die Pandas Meng Meng und Jiao Quing beziehen ihr neues Gehege im Berliner Zoo im Beisein von Kanzlerin Angela Merkel und des chinesischen Präsidenten Xi Jingping. Ein Jahrhundertereignis meteorologischer Art: die Starkregenschauer im Sommer 2017. Fast 200 Liter Wasser pro Quadratmeter ergießen sich allein am 29. Juni binnen weniger Stunden über der Hauptstadt und bringen das Stadtleben zum Erliegen.
2018 Mit Barbara Slowik gelingt erstmals eine Frau ins Amt der Berliner Polizeipräsidentin. Sie folgt auf Klaus Kandt, der nach Ermittlungsproblemen im Fall Amri und wegen Skandalen an der Polizeiakademie geht. „Ich muss die Behörde von den Debatten der Vergangenheit befreien“, sagt Innensenator Andreas Geisel (SPD) zum Wechsel an der Spitze.
Für Entrüstung sorgt ein antisemitischer Angriff auf einen Israeli in Prenzlauer Berg. Weil er eine Kippa trägt, peitscht ihn ein Syrer aus und ruft dabei auf Arabisch „Jude“. Wegen Beleidigung und Körperverletzung verurteilt ihn ein Gericht zu vier Wochen Arrest.
Bereits im April kehren sommerliche Temperaturen ein. Der Mai beschert Berlin 14 Sommertage mit mehr als 25 Grad. Am Ende steht fest: Das Jahr 2018 ist das wärmste und sonnigste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnung. 530 Stunden lang hat über der Hauptstadt die Sonne geschienen, 165 Stunden mehr als im Durchschnitt. Mit durchschnittlich 11,4 Grad Celsius liegt die Temperatur 2,3 Grad über dem langjährigen Mittel.
Im Tierpark Friedrichsfelde kommt das Eisbären-Mädchen Hertha zur Welt. Direktor Andreas Knieriem sieht die Geburt als Erfolg für den Artenschutz in der Zeit einer Bedrohung des Lebensraums von Eisbären durch den Klimawandel.
2019 Streit über einen Deckel für steigende Mieten, die streikende BVG – und am Ende ein Freudentaumel beim großen Fest 30 Jahre nach dem Mauerfall am Brandenburger Tor: 2019 wühlt die Gefühle der Berliner noch einmal mächtig auf.
Im Sommer sickern erstmals Informationen über einen geplanten Mietendeckel durch, der die Kosten fünf Jahre lang einfrieren soll. Der heftige Konflikt mit Vertretern der Wohnungswirtschaft bestimmt die gesamte zweite Jahreshälfte. Stillstand herrscht 2019 gleich zweimal durch den Arbeitskampf bei den Berliner Verkehrsbetrieben. Dass sie den Betrieb von Bussen und Bahnen stoppen, lohnt sich für die Mitarbeiter: sie erstreiten eine Gehaltserhöhung von mindestens 350 Euro pro Kopf. Kein Vorankommen im Stadtzentrum gibt es bei den Fridays for Future-Demonstrationen. Mehr als 100.000 Berliner begleiten Klima-Aktivistin Greta Thunberg bei ihrem Besuch.
Aber es sind vor allem zwei große Jubiläen, die Berliner feiern und staunen lassen: Zum Fest im Gedenken an 70 Jahre Luftbrücke landen Rosinenbomber in etlichen deutschen Städten – nur nicht in Berlin. Als dann der 30. Jahrestag des Mauerfalls ansteht, ist der Ärger vergessen.
Der Nachwuchs des Jahres quietscht im Panda-Stall des Zoos: Bei den Zwillingen Meng Xiang und Meng Yuan handelt es sich um die ersten Pandas, die jemals in einem deutschen Zoo das Licht der Welt erblicken. Ihr erster öffentlicher Auftritt wird einer der ersten Höhepunkte des Jahres 2020 sein.