Apotheken

274 Medikamente sind zurzeit nicht lieferbar

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Susanne Leinemann
Eine Apothekerin sucht ein Medikament heraus. (Symbolbild)

Eine Apothekerin sucht ein Medikament heraus. (Symbolbild)

Foto: Benjamin Nolte / dpa-tmn

Engpass könnte sich in Berlin über Weihnachten noch verschärfen. Brexit bereitet Apotheken neue Probleme.

Berlin. In Berlin gibt es – wie aktuell in ganz Deutschland – Lieferengpässe bei Medikamenten. Derzeit stehen 274 Medikamente als nicht lieferbar auf der Internetseite des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Und die Situation könnte sich über die Feiertage noch verschärfen.

In einer Antwort der Senatsgesundheitsverwaltung auf eine Anfrage der AfD zum Thema „Lieferengpässe bei der Arzneimittelversorgung – ist Berlin auch davon betroffen?“ heißt es, dass das Land Berlin drei Mal in den letzten drei Jahren einen „Versorgungsmangel“ in Berlin ausrufen musste, weil Medikamente über einen längeren Zeitraum weder liefer- noch ersetzbar waren. Zuletzt im November 2018 beim saisonalen Grippeimpfstoff, 2017 bei „piperacillinhaltigen Arzneimitteln“, also bestimmten Antibiotika, und 2016, als die Flüchtlingswelle ihren Höhepunkt erreichte, bei klassischen Impfstoffen.

Brexit könnte Probleme beim Import von Medikamenten verursachen

Ist von einem Bundesland der „Versorgungsmangel“ festgestellt worden, können kurzfristig Medikamente aus dem Ausland importiert werden, die dann „fremdsprachlich gekennzeichnet“ in die Praxen und Apotheken gelangen, sagt Lena Högemann, Sprecherin der Senatsverwaltung für Gesundheit. Probleme mit dem Import von Medikamenten könnte allerdings der Brexit verursachen. „Wir befürchten, dass wir nach dem Brexit nicht mehr in Großbritannien Medikamente einkaufen können“, sagt Jörg Geller, Chef des größten deutschen Händlers Kohlpharma.

In Berlin gibt es jedoch Zweifel an der Zahl der nicht lieferbaren Medikamente. „Die Zahl kann man fast verdoppeln“, sagt Kerstin Kemmritz, Präsidentin der Apothekenkammer Berlin. Zwischen 500 und 600 Medikamente, so schätzt sie, seien zeitweilig fort vom Markt. Es gebe viele temporäre Lieferengpässe, die in der Engpassliste nicht auftauchten. Und auch wenn ein Medikament wieder als lieferbar gilt, ist es oft noch kontingentiert. Damit keine Hamsterkäufe entstehen, bekommt dann jede Apotheke nur eine beschränkte Packungszahl zugeteilt.

Senatsverwaltung: Lieferengpass muss nicht zum Versorgungsengpass führen

Gerade über Weihnachten und zwischen den Jahren ist die Situation kritisch. Denn häufig können die Apotheken vor Ort bei Mangel noch irgendwie weiterhelfen – sie schlagen dann beispielsweise ein anderes Medikament mit ähnlichem Wirkstoff vor. Trotzdem, betont die Senatsgesundheitsverwaltung, sei die Situation nicht bedrohlich. „Oftmals stehen alternative Arzneimittel zur Verfügung, weshalb ein Lieferengpass nicht unbedingt zum Versorgungsengpass führen muss.“

Leser berichten: Selbst Impfstoffe sind in Berlin nicht sofort verfügbar

Wie sich der Medikamentenengpass in der Praxis bemerkbar macht, berichten Leser der Berliner Morgenpost. Ihre Aussagen zeigen: Selbst Impfstoffe sind in Apotheken der Hauptstadt derzeit nicht sofort verfügbar. Patienten mit schmerzhaften Leiden brauchen oft wochenlang Geduld.

So versucht Otfried Laur, ein Rentner aus Spandau, seit Oktober an den Impfstoff gegen Gürtelrose zu kommen. Die Viruskrankheit schlägt oft bei älteren Menschen zu, weil der Virus jahrelang latent im Körper verweilt und dann aktiv werden kann, wenn das Immunsystem im Alter abbaut. Darum zahlen die Krankenkassen seit Frühjahr diesen Jahres Impfungen für Menschen ab 60 Jahren, wenn das Immunsystem geschwächt ist, sogar ab 50 Jahren.

Otfried Laur ist über 70 Jahre alt. Doch seine Apotheke vertröstet ihn seit Wochen, der Impfstoff sei nicht vorrätig. Jetzt soll er es im Januar wieder versuchen. „Wir hatten jetzt drei Krankheitsfälle im engsten Bekanntenkreis“, sagt er besorgt. Außerdem sei er viel mit der BVG unterwegs, da könne man sich schnell anstecken. Aber mehr, als sich ständig die Hände zu waschen, könne er nicht tun. Er hofft darauf, dass der Impfstoff bald wieder vorrätig ist.

Mitarbeiterin von Apotheke auf der Jagd nach Medikamenten

Der Gürtelrosen-Impfstoff Shingrix ist inzwischen, laut Hersteller, in einer 1-er Packung in Deutschland wieder zu bestellen. Allerdings handelt es sich um eine Doppelimpfung – das heißt, nun kommen erst die Patienten dran, die schon die erste Impfung hinter sich haben, damit der volle Impfschutz eintritt. „Neue Impfserien sollten nur begonnen werden, wenn die Gabe der zweiten Impfdosis sichergestellt ist“, so die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts. Vom Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) heißt es, dass weiterhin „mehr Vorbestellungen vorliegen als Ware verfügbar ist“. Ab Januar 2020 sollen aber wieder die größeren 10er-Packungen „in begrenzten Mengen“ bei den Großhändlern eintreffen. So deutet sich lediglich eine Kontingentlösung an.

Lukrative Märkte werden zuerst beliefert

Auch in Wilmersdorf klagten Apotheken über den Medikamentenengpass. Eine Apothekerin in der Uhlandstraße zum Beispiel hat nach Angaben eines Morgenpost-Lesers eine Mitarbeiterin komplett abgestellt, um Medikamente auf dem leer gefegten Markt zu besorgen. In vielen Bereichen gebe es ernstzunehmende Engpässe, heiße es am Bestelltresen.

Ein wesentlicher Grund dafür sei, dass es derzeit international an bestimmten Medikamenten mangele und die Hersteller zunächst Länder belieferten, in denen höhere Preise bezahlt werden als in Deutschland. Daher gebe es nicht nur in Berlin, sondern auch im gesamten Bundesgebiet derzeit beträchtliche Probleme, rechtzeitig an die notwendigen Präparate zu kommen. So fühlen sich Patienten wie Otfried Laur mit ihren Leiden allein gelassen.