Zukunftsszenarien

Berliner Feuerwehr befürchtet immer mehr Stromausfälle

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Alexander Dinger
Als in Köpenick im Februar der Strom ausfiel, saßen Zehntausende Menschen für 30 Stunden im Dunkeln. Für die Feuerwehr war das ein Großeinsatz.

Als in Köpenick im Februar der Strom ausfiel, saßen Zehntausende Menschen für 30 Stunden im Dunkeln. Für die Feuerwehr war das ein Großeinsatz.

Foto: Morris Pudwell

Neben der Zunahme von Extremwetterlagen bereitet sich Verband auch auf Ausfälle der Stromversorgung vor.

Berlin. Als im Februar dieses Jahres in Köpenick bei Bauarbeiten eine Stromleitung gekappt wurde, saßen Zehntausende Menschen für 30 Stunden im Dunkeln. Damals versorgte das Technische Hilfswerk (THW) die Menschen in Köpenick mit Elektrizität. Über Notstromaggregate versorgte das THW auch zwei Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Abwasserpumpwerke und ein Umschaltwerk der Berliner S-Bahn. Wegen des Blackouts gingen auch zwei Blockheizkraftwerke in Köpenick und Friedrichshagen vom Netz.

In der Nachbetrachtung, sagen Experten bei der Feuerwehr, sei alles glimpflich verlaufen. Und: Der Stromausfall sei eine gute Möglichkeit gewesen, um Abläufe zu trainieren. Denn das, was da in Köpenick passierte, gehört auch zu den Zukunftsszenarien, auf die sich die Feuerwehr in Berlin vorbereitet. Denn neben der Zunahme von Extremwetterlagen sind Experten der Ansicht, dass durch ein instabiler werdendes Stromnetz auch das Risiko von Stromausfällen steige.

Stromausfälle in Berlin: "Stresszustand ist zur Normalität geworden"

Einer dieser Experten ist Stephan Boy. Der 49-Jährige ist Leiter beim Berliner Eigenbetrieb integriertes sektorenübergreifendes Sicherheitsmanagement und Vorstand beim „Zukunftsforum Öffentliche Sicherheit“. Privat ist er seit 1982 bei der Freiwilligen Feuerwehr aktiv und berät den Landesfeuerwehrverband. „Die Feuerwehr steht vor enormen Herausforderungen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Herausforderungen sind der Klimawandel und der Stresszustand der Stromnetze“, sagt Boy der Berliner Morgenpost.

Probleme, die es heute gebe, habe es vor zehn Jahren noch nicht gegeben. Durch die Energiewende befinde man sich jetzt in einer Transformation, die 20 bis 25 Jahre dauern werde und mit vielen Risiken verbunden sei. Boy, der selbst kein Gegner der Energiewende ist, warnt aber vor den Risiken, die man beachten müsse: „Mit Atom- und Kohleausstieg werden die Netze instabiler und Problemlagen hybrider“, sagt er.

Was meint er damit? Betreiber des Berliner Netzes ist die Vattenfall-Tochter Stromnetz Berlin GmbH. Seit Jahren wird viel Geld in Netze und Umspannwerke investiert. Das Berliner Netz ist aber nur ein kleiner Teil im Stromnetzsystem. Das Westeuropäische Verbundsystem ist hochgradig vernetzt und digitalisiert. Wenn an der Ems, wie bereits geschehen, eine 380.000-Volt-Leitung ausfällt, hat das Auswirkungen bis nach Berlin. Hinzu kommt: Im Stromnetz gibt es im Extremfall Schwankungen von 35 Gigawatt in der Nacht und 85 Gigawatt zu Weihnachten. Mit konventionellen Kraftwerken ging das Stromproduzieren auf Knopfdruck. „Der Stresszustand in den Netzen ist zur Normalität geworden“, sagt Boy und weiter: „Darauf muss sich die Berliner Feuerwehr vorbereiten“.

Verband fordert Anschaffung neuer Notstromaggregate

Kürzlich hatte sich der Landesfeuerwehrverband an alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Partein gewandt. In einer Ausarbeitung, die der Berliner Morgenpost vorliegt, zeigt der Verband wie wichtig die Freiwilligen Feuerwehren für Berlin sind und wo die Gefahren der Zukunft liegen. Allein in Berlin gibt es 58 Wehren der Freiwilligen Feuerwehr, davon 36 mit einem eigenen Ausrückbereich, viele davon am Stadtrand. Die Freiwilligen Feuerwehren sind in Berlin inzwischen an einem Viertel aller Einsätze beteiligt.

Die Feuerwehr brauche neben den neuen Löschfahrzeugen, auch „Mannschaftstransport-Fahrzeuge“ und „Kat-Fahrzeuge“ mit multiplen Belademöglichkeiten. Diese Modulfahrzeuge können je nach Bedarf beladen werden. Ein Modul sieht Notstromaggregate vor. Prognosen sagen: Berlin braucht 65 dieser Kat-Fahrzeuge und 45 Mannschaftstransport-Fahrzeuge. Dann wäre man adäquat ausgerüstet.

Boy, der sich beruflich mit Katastrophenszenarien beschäftigen muss, sagt: „In Krisenszenarien muss die Feuerwehr sich auf einen großflächigen Stromausfall vorbereiten und Szenarien durchspielen“. Zudem müsse Fortbildungen zum Thema Stromausfall geben. Ein Großteil sei Organisation, über die man aber sprechen müsse.

Nachdenken über radikale Ansätze

Mit seinen Warnungen ist der Landesfeuerwehrverband auch nicht allein. Wie die „Bild“ kürzlich berichtete, bekommt das THW 33,5 Millionen Euro für die Anschaffung von 670 Notstromaggregaten. Das Blatt zitiert eine Einschätzung des Bundesinnenministeriums: „Vor dem Hintergrund des THW-Rahmenkonzeptes und der Gefahr eines großen Blackouts ist eine derartige Ausstattung der Ortsverbände dringend geboten.“ THW-Chef Albrecht Broemme, der von 1992 bis 2006 auch Leiter der Berliner Feuerwehr war, sagte der „Bild“: „Dem THW bereiten großflächige, lang andauernde Stromausfälle Sorgen.“

Boy fordert, bei der Energieversorgung auch über radikale Ansätze nachzudenken. Eine Lösung wäre heute, Dachflächen zwingend und grundsätzlich mit Photovoltaik auszurüsten. Im Grunde müsste man dahin zurück, wo man schon einmal war. „In den 1920-Jahren war die Energieversorgung dezentral. In Berlin gab es unter anderem ungefähr 90 Gaskraftwerke und eine Vielzahl von Elektrizitätswerken“, sagt Boy.

Lesenswert:

Einer breiteren Öffentlichkeit wurde das Thema eines Stromausfalls durch das Buch „Blackout“ von Marc Elsberg aus dem Jahr 2012 ein Begriff. Es ist ein packender Technik-Thriller, dem Fachleute eine extreme Genauigkeit und präzise Beschreibung der europäischen Stromnetz-Infrastruktur bescheinigen. In dem Buch kommt es in Europa zu einem großflächigen Stromausfall, der 14 Tage lang anhält. Der italienische Informatiker Piero Manzano vermutet hinter dem Stromausfall einen Hackerangriff. Er teilt seine Vermutung den Behörden mit und gerät daraufhin selbst ins Visier. Das Buch hielt sich monatelang in den Bestsellerlisten – und ist aktueller denn je.