Berlin. Auf Berliner Baustellen versuchen unseriöse Unternehmen mit vielen Tricks, Sozialabgaben zu umgehen.
In der Hauptstadt sind die Auftragsbücher der Baufirmen so voll, dass private und öffentliche Bauherren gleichermaßen beklagen, niemanden zu finden, der ihnen die Schulen, Wohnungen und Bürogebäude baut oder saniert. Im verdächtigen Gegensatz dazu steht aber die Selbstauskunft vieler Betriebe: Rund zehn Prozent von ihnen haben an die Sozialkassen des Berliner Baugewerbes gemeldet, dass ihre arbeitszeitliche Auslastung im Jahr 2019 bei unter 25 Prozent lag. Weitere 21 Prozent gaben die Auslastung mit lediglich 25 bis 50 Prozent, genauso viele mit 50 bis 75 Prozent an.
„Das ist ein klares Indiz für Schattenwirtschaft, für schwarz geleistete Arbeitsstunden“, sagt Manja Schreiner, Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft (FG) Bau. Rund 900 Betriebe sind in der FG Bau Berlin-Brandenburg vertreten. „Wenn Betriebe angeben, dass sie eine Auslastung von unter 25 Prozent haben, ist das völliger Quatsch. Das würde ja bedeuten, dass sie nach zwei oder drei Stunden auf der Baustelle nach Hause gehen“, so Schreiner weiter. Diese Vorstellung sei „völlig abstrus“, Teilzeit-Beschäftigungsverhältnisse seien auf Baustellen äußert ungewöhnlich.
Man könne davon ausgehen, dass die Mitarbeiter nach den drei Stunden nicht nach Hause geschickt, sondern die restlichen fünf Stunden schwarz beschäftigt würden. Nach Schätzungen der FG Bau wird in Berlin mittlerweile fast jeder zweite Euro am Bau schwarz erwirtschaftet.
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Schwarzarbeit in Berlin: Nur 14 Prozent der Betriebe melden Vollauslastung

Nur 14 Prozent der Betriebe geben dagegen an, dass sie zu 100 Prozent ausgelastet sind. „Das sind die seriösen Betrieb“, so die Chefin der Fachgemeinschaft Bau. Betriebe, die zu wenig Arbeitsstunden, zu wenig qualifizierte Arbeitnehmer melden oder ihre Beschäftigten überhaupt nicht melden, verschafften sich rechtswidrige Wettbewerbsvorteile. Allein schon durch die „Einsparung“ der Beitragskosten bei der Sozialkasse spare ein Betrieb pro Mitarbeiter und Stunde 3,91 Euro ein.
Und es gibt noch weitere Indizien für Schwarzarbeit. „Jeder Bauunternehmer muss bei der Sozialkasse angeben, wie viele Mitarbeiter auf der Baustelle beschäftigt sind, und wieviel Bruttolohn ausgezahlt wird“, erklärt Manja Schreiner. Daran lasse sich ablesen, wie viele Facharbeiter und wie viele Hilfskräfte auf der Baustelle beschäftigt seien. „Angesichts der heutigen hohen Anforderungen am Bau ist eine Facharbeiterquote von mindestens 50 Prozent als realistisch anzusehen“, so Schreiner weiter. Wenn angeblich überwiegend Hilfsarbeiter auf der Baustelle beschäftigt würden, sei dies ebenfalls ein deutliches Indiz dafür, dass an der Lohnsumme gespart werden soll.
Kommentar: Baustellen mehr kontrollieren
Von den insgesamt 2255 Berliner Baubetrieben mit zusammen 19.270 gewerblich Beschäftigten (Stand September 2019) erfüllen lediglich 480 die Weißbuchkriterien der Sozialkasse. Demnach gelten Betriebe als vorbildlich, die eine arbeitszeitliche Auslastung von mehr als 75 Prozent der tariflich vorgesehenen Arbeitszeit und einen Fachkräfteanteil von mehr als 50 Prozent der Beschäftigten aufweisen. Im Weißbuch können sich Bauherren vor der Auftragsvergabe über die Qualität der Baubetriebe objektiv informieren. Auch die Mitgliedschaft in der FG Bau gibt einen Hinweis auf seriöse Geschäftspraktiken, betont Manja Schreiner. 91 Prozent der verbandsgebundenen Betriebe hätten ihre arbeitszeitliche Auslastung mit 100 Prozent angegeben.
Schwarzarbeit verursacht Schäden in Höhe von 94,5 Millionen Euro
Allein für die Sozialkasse beläuft sich der Schaden aus nicht den abgeführten Beiträgen im Zeitraum von 2014 bis 2018 auf 94,5 Millionen Euro – Geld, das etwa zur Absicherung der Zusatzrenten für die Beschäftigten am Bau und Ausbildung in der Branche fehlt. Rechnet man die nicht gezahlten Sozialversicherungsbeiträge (147 Millionen Euro), Steuern (31 Millionen) sowie sonstige Abgaben (29 Millionen Euro) hinzu, beläuft sich der Schaden durch die Schwarzarbeit am Bau auf rund 300 Millionen Euro.
Um die Schwarzarbeit am Bau effektiv bekämpfen zu können, müsste nach Ansicht der FG Bau die Zahl der Zollfahnder massiv aufgestockt werden. Zudem sollte es bei der Vergabe öffentlicher Aufträge verpflichtend sein, der Beitrags- und Meldebescheinigungen der Sozialkasse auf ihre Plausibilität zu prüfen, fordert die Verbandschefin.