Berlin. Die Staatsanwaltschaft Berlin bekommt eine neue Abteilung nach dem Vorbild der Islamismus-Bekämpfung.

Die Berliner Staatsanwaltschaft erhöht den Druck auf die rechtsextreme Szene. Die Ermittlungen bei Straftaten von besonders gefährlichen Neonazis werden künftig gebündelt. Wie bei Islamisten sollen rechtsextreme Gefährder künftig in einer Abteilung bearbeitet werden. Grund für die Initiative sei, dass es in Berlin ausgeprägte rechtsextreme Strukturen gebe. „Wir wollen den Rechtsextremismus stärker bekämpfen“, sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) im Interview der Berliner Morgenpost. Als Beispiel nannte Behrendt die Serie rechtsextremer Anschläge in Neukölln, die den Bezirk seit 2016 erschüttert. „Es ist unsere Aufgabe, auf solche Entwicklungen zu reagieren, um die Berlinerinnen und Berliner besser zu schützen“, sagte Behrendt.

Ins Leben gerufen hat das neue Zentrum Generalstaatsanwältin Margarete Koppers. Wie beim Islamismus sollen alle Verfahren von als besonders gefährlich eingeschätzten Neonazis künftig zentralisiert und täterorientiert bearbeitet werden. „Das heißt, dass künftig bei rechtsextremen Tätern die Körperverletzung vom einen Tag und die Volksverhetzung vom nächsten Tag nicht mehr in getrennten Abteilungen verfolgt werden, sondern gebündelt in einer Abteilung laufen“, sagte Behrendt.

Diese sogenannte Einhandbearbeitung habe sich bewährt – beispielsweise auch bei jugendlichen Intensivtätern. „Das Konzept hat auch bei Rockergruppierungen gut funktioniert“, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft, Jörg Raupach. Staatsanwälten sollen somit künftig ein umfassenderes Bild einer Person bekommen. Sie sollen sich so ein größeres Wissen aneignen, Taten anders bewerten und in Zusammenhänge setzen können. Besonders bei vergleichsweise kleinen Taten gingen sonst viele Detailinformationen auf dem Dienstweg unter, hieß es in Justizkreisen. Dies gelte besonders, wenn Verfahren in unterschiedlichen Abteilungen bearbeitet würden.

Polizei: Zweistellige Zahl an rechten Gefährdern in Berlin

Welche rechtsextremistischen Gefährder nach dem neuen Konzept verfolgt werden sollen, ist noch unklar. Staatsanwaltschaft und Polizei befinden sich in der ­Abstimmung. Nach Informationen der Berliner Morgenpost gehen die Behörden von einer Zahl rechtsextremer Gefährder im unteren bis mittleren zweistelligen Bereich aus. Ihnen werden schwerste Straftaten zugetraut.

Seit mehreren Jahren wird vor allem der Südens Neuköllns von einer Anschlagsserie heimgesucht. Im Fokus stehen Politiker, Gewerkschafter, Buchhändler und Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Die Polizei verdächtigt mindestens zwei stadtbekannte Neonazis, die Taten begangen zu haben. Haftbefehle lehnte ein Richter trotz zahlreicher Indizien jedoch ab, da er keinen dringenden Tatverdacht erkannte. Die Ermittler gehen dennoch fest davon aus, die richtigen Personen im Visier zu haben.

Innensenator Andreas Geisel (SPD) will zur Aufklärung der Serie nun einen einen neuen Anlauf beim Generalbundesanwalt nehmen. Das Ziel: Die Behörde in Karlsruhe soll die Ermittlungen an sich ziehen und als rechten Terrorismus einstufen. Ein erster Versuch war abgelehnt worden. „Damals lagen uns nicht alle Informationen vor. Das ist jetzt anders“, sagte der Sprecher der Innenverwaltung, Martin Pallgen, der Berliner Morgenpost. Gerade vor dem Hintergrund des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke müsse man die Lage neu bewerten.

Justizsenator Behrendt sagte: „Der Mord an Walter Lübcke hat uns alle erschüttert und uns in unserem Engagement bestärkt. Haben wir doch gesehen, wie kalt und berechnend Rechtsextreme heute agieren.“ Walter Lübcke war am 2. Juni dieses Jahres auf der Terrasse seines Hauses im Landkreis Kassel getötet worden. Der Generalbundesanwalt geht von einem rechtsextremen Motiv des Beschuldigten aus, der in Untersuchungshaft sitzt. Der Generalbundesanwalt ist die oberste Strafverfolgungsbehörde Deutschlands und immer dann für Ermittlungen zuständig, wenn es um terroristische Straftaten geht.

Deutlich mehr rechte als linke Straftaten in Berlin

Laut Verfassungsschutz wurden in Deutschland im vergangenen Jahr 24.100 Rechtsextremisten registriert, ein Plus von 100 im Vergleich zum Vorjahr. Knapp 3000 Fälle von politisch motivierter Kriminalität zählte die Berliner Innenverwaltung im vergangenen Jahr. Im Jahr 2018 gab es demnach deutlich mehr rechte als linke Straftaten. In 1766 Fällen begingen Personen, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden, Straftaten. 125 davon waren laut Innenverwaltung Gewaltdelikte. Dazu gehören unter anderem Tötungsdelikte, Körperverletzungen und gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr. Dem gegenüber stehen 1223 linke Straftaten.

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