„Zuzugsstopp“

Zuzugssperre: CDU-Politiker Gräff entschuldigt sich

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Gräff warf der rot-rot-grünen Koalition in Berlin vor, nicht ausreichend Kita-Plätze zu schaffen, zu wenige Lehrer einzustellen und Verkehrsprobleme nicht zu lösen.

Gräff warf der rot-rot-grünen Koalition in Berlin vor, nicht ausreichend Kita-Plätze zu schaffen, zu wenige Lehrer einzustellen und Verkehrsprobleme nicht zu lösen.

Foto: pa, BM

Berlin sei voll und könne keinen Zuzug verkraften, sagte der wohnungspolitische Sprecher der Berliner CDU. Später ruderte er zurück.

Berlin. Christian Gräff, wohnungspolitischer Sprecher der Berliner CDU, ist nach heftiger Kritik an seiner Forderung nach einem „Zuzugsstopp“ für Berlin zurückgerudert. „Ich glaube, das war sehr zugespitzt formuliert“, sagte Gräff der Berliner Morgenpost am Freitagmorgen. „Solange dieser Senat nicht in der Lage ist, die soziale Infrastruktur, die Verkehrsinfrastruktur auf den Weg zu bringen, so lange leiden die Berliner, und man kann es selbst guten Freunden nicht raten, nach Berlin zu ziehen.“

Gräff betonte zudem, dass Berlin eine weltoffene Stadt sei. Auch Wachstum sei natürlich etwas Gutes. „Aber Teile des Senats wollen es nicht und kriegen es nicht hin, die Infrastruktur zu schaffen“, sagte Gräff. „Die Berliner, als auch die, die herkommen, finden keinen Kitaplatz, keinen Schulplatz, weil Rot-Rot-Grün sie nicht schafft.“

Gräff entschuldigt sich für Zuzugssperre in Mail

In einer internen Mail an die CDU-Fraktion, die der Berliner Morgenpost vorliegt, entschuldigte sich Gräff später: „Liebe Freunde, ich bedaure die Irritationen die meine Äußerungen ausgelöst haben! Ich selbst gehöre zu der Generation, die Nutznießer der Freiheit ist, die wir in unserer Stadt seit knapp 3 Jahrzehnten haben. Neue Mauern und Abschottung sind jenseits meiner Vorstellungskraft und politischen Visionen! Mir ging es einzig und allein darum, auf zugespitzte Weise die eklatante Ignoranz und das Versagen von r2g bei den Themen Wohnungsbau, Bildung und Infrastruktur zu thematisieren. Es tut mir sehr leid, wenn dies in meiner Kommunikation misslungen ist.“

Gräff: „Ihr könnt hier nicht herziehen“

In der RBB-„Abendschau“ am Donnerstagabend hatte Gräff gesagt, Berlin sei voll und könne keinen weiteren Zuzug verkraften. Weiter sagte er: „Wir müssen denen, die hierher kommen, sagen: Macht euch keine falschen Erwartungen. Wir haben die Infrastruktur nicht. Ihr könnt hier nicht herziehen.“

Gräff warf der rot-rot-grünen Koalition in Berlin vor, nicht ausreichend Kita-Plätze zu schaffen, zu wenige Lehrer einzustellen und Verkehrsprobleme nicht zu lösen.

Die Hauptstadt müsse mit Brandenburg zusammenarbeiten und dafür sorgen, dass die Menschen im Umland in ihren Wohnorten bleiben, beziehungsweise dass Menschen dorthin ziehen, sagte Gräff der „Abendschau“ weiter. Auch der Bund müsse mehr für stadtferne Regionen Brandenburgs tun.

„Wir wollen, dass diese Stadt wächst, aber Rot-Rot-Grün kann die Probleme nicht meistern“, so Gräff. Der Senat müsse mit der Bundesregierung diskutieren, wie der Zuzug auch bundesweit gesteuert werden könne. Man müsse klären, ob die im Grundgesetz verankerte Freizügigkeit noch realistisch sei. Es gehe nicht um ein neues Gesetz, erklärte er, ohne im Detail zu erläutern, wie ein solcher Zuzugsstopp umgesetzt werden könne.

„Zuzugsstopp“ für Berlin? Empörte Kritik auch aus der CDU

Gräffs Forderung sorgte für empörte Kritik - auch aus den eigenen Reihen. Selbst der CDU-Landesvorsitzende Kai Wegner schaltete sich in die Debatte ein. „Berlin war, ist und bleibt eine Stadt des Wandels“, erklärte er am Vormittag per Mitteilung. Und weiter: „In diesem Geist haben Menschen wie Ernst Reuter, Richard von Weizsäcker, Eberhard Diepgen und Klaus Wowereit Politik für diese Stadt gestaltet.“ Dieser Geist sei bei Michael Müller und seinem Senat nicht erkennbar. „Die CDU Berlin glaubt daran, dass der Zuzug gestaltbar und eine Chance für unsere Stadt ist. Daher ist die Forderung nach einem Zuzugstopp für Berlin eine Einzelmeinung innerhalb der breiten Volkspartei CDU.“

Zugleich kritisierte Wegner den rot-rot-grünen Senat. Michael Müller verkenne, dass die Menschen nicht wegen der rot-rot-grünen Politik nach Berlin kommen, sondern trotz seiner Politik. „Diesem Senat fehlt von Anfang an der Leitfaden für die ganze Stadt.

„Das ist NICHT die Position der CDU Berlin“

Jan-Marco Luczak, Bau- und Mietenexperte der Unions-Bundestagsfraktion, schrieb beim Kurznachrichtendienst Twitter: „Ganz deutlich: das ist NICHT die Position der @cduberlin! Berlin ist attraktiv und wächst. Das ist positiv - r2G versagt nur leider, die daraus folgenden Herausforderungen zu meistern. Deswegen nicht Zuzugsstopp sondern r2G abwählen.“

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte am Donnerstagabend bei der Auftaktveranstaltung der Internationalen Funkausstellung (IFA), Berlin bleibe eine weltoffene Stadt. Er bezog sich dabei auf Gräff und auf den Vorstoß der Linken-Politikerin Katalin Gennburg. Sie hatte gefordert, kein Steuergeld mehr auszugeben, um Touristen in die Stadt zu locken.

Senatschef Müller: „Äußerungen schaden unserer Stadt“

Auf Twitter erklärte Müller: „Diese Äußerungen zu Zuzug und zur Einschränkung von Tourismus schaden unserer Stadt. Sie zerstören unser Selbstverständnis als europäische Metropole. Berlin freut sich über Besucherinnen und Besucher, denn sie bringen uns wichtige Impulse und frische Ideen und sie nehmen den Berliner Geist von Kreativität, Vielfalt und Freiheit mit in die Welt. Und wir wollen auch Zuzug.“

Die jährlich etwa 40.000 Neu-Berliner seien eine Bereicherung für die Stadt, sie würden Arbeitsplätze schaffen und für Wirtschaftswachstum sorgen. „Berlin war immer Heimat von Vielen. Ich will, dass das so bleibt. Diese Stadt freut sich auf ihre Gäste, auch in Zukunft!“

Wirtschaftssenatorin Pop: „Berlin ist und bleibt offen“

Ähnlich äußerte sich Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne). Die Zuzugsstopp-Forderung verschrecke dringend benötigte Investoren und Fachkräfte. „In Berlin ist die Mauer vor 30 Jahren nicht eingerissen worden, um sie heute neu aufzubauen. Ich kann nur sagen, Berlin ist und bleibt offen“, sagte Pop.

Unverständnis äußerten auch andere Fraktionen aus dem Berliner Abgeordnetenhaus. Antje Kapek, Fraktionsvorsitzende der Grünen, schrieb auf Twitter: „Das ist eine typische ‚das Boot ist voll‘-Rhetorik, die noch nie irgendein Problem gelöst hat!“ FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja erklärte: „Was unsere Stadt braucht, ist der absolute Wille Dinge anzupacken und keinen Deut an Freiheit aufzugeben.“

Dregger: „Niemand in der Fraktion teilt die Auffassung, Berlin brauche einen Zuzugsstopp“

Am Donnerstagabend äußerte sich CDU-Fraktionschef Burkard Dregger zur Diskussion, die sein Parteifreund Christian Gräff losgetreten hatte. „Niemand in der CDU-Fraktion teilt die Auffassung, Berlin brauche einen Zuzugsstopp. Trotz des Versagens von Rot-Rot-Grün, beim Wohnungs-, Kita- und Schulbau kommen jedes Jahr Zehntausende neu in unsere Stadt. Wir wollen Wachstum gestalten, wozu diese Koalition schon lange nicht mehr in der Lage ist“, sagte er.

Generalsekretär Evers: „Wir wollen keinen Zuzugsstopp für Berlin“

Am Freitag äußerte sich auch der Generalsekretär der CDU Berlin, Stefan Evers: „Wir wollen keinen Zuzugsstopp für Berlin, wir stehen für eine Ideenoffensive!“ Abschottung habe in der Geschichte der Menschheit noch nie Probleme gelöst und werde deshalb auch nie das politische Rezept der CDU sein.

„Das Wachstum unserer Stadt stellt die Politik vor enorme Herausforderungen. Der Senat scheitert krachend daran, diese Aufgabe mit Mut, Tatkraft und Weitblick anzupacken“, erklärte Evers weiter. Die CDU wolle und werde „das Wachstum zum Wohle aller Berlinerinnen und Berliner gestalten.“

Christian Gräff sagte mit Blick auf die Kritik aus seiner Partei: „Das gehört dazu, das verstehe ich auch.“ Man sei im Diskurs, er habe nun alles dazu gesagt.