Berlin. Für Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) ist klar: Das Auto mit Verbrennungsmotor ist in der Hauptstadt ein Auslaufmodell.

Nach zweieinhalb Jahren im Amt der Verkehrs- und Umweltsenatorin wächst der Druck auf Regine Günther, vorzeigbare Ergebnisse zu präsentieren. Viele Dinge dauern auch ihr zu lange. Aber die Richtung ist für die 56-Jährige klar. Das Auto mit Verbrennungsmotor ist in Berlin ein Auslaufmodell.

Sie waren lange parteilos. Im Sommer sind Sie bei den Grünen eingetreten. Warum?

Regine Günther Die Grünen stehen für das, was meine Überzeugungen sind: für die Bewahrung des Planeten, für Vielfalt und für sozialen Zusammenhalt. Dann ist es ein konsequenter Schritt zu sagen, ich möchte das innerhalb der Partei vorantreiben. Auf die Grünen in Deutschland kommt sehr viel Arbeit und Verantwortung zu. Und ich arbeite sehr gern mit den Berliner Grünen zusammen.

Stützt das auch Ihre Position, wenn Sie auch Mitglied sind?

Das weiß ich nicht, ich bin ja erst seit sechs Wochen dabei. Aber in meiner Position kommuniziere ich viel mit der Stadtgesellschaft. Das wird als Mitglied der Partei einfacher, als wenn man außerhalb steht.

Die Grünen wollen Zero Emission Zones in der Innenstadt, wo Diesel und Benziner ab 2030 nicht mehr fahren dürfen. Soll das die gesamte Stadt innerhalb des S-Bahnrings betreffen?

Die Fraktion im Abgeordnetenhaus hat das so beschlossen. Und ich finde es richtig, sich ambitionierte Ziele zu setzen. Wenn man den Klimaschutz ernst nimmt, heißt das im Verkehrsbereich, schnellstmöglich vom Verbrennungsmotor Abschied zu nehmen. Deshalb muss man sich dieses Themas annehmen, aber auch schauen, wie das konkret umzusetzen wäre, und welche Ausnahmen für wen gegebenenfalls gelten müssen. Das Zeichen an die Stadt, dass sich die Menschen nach Alternativen zum Auslaufmodell Verbrennungsmotor umsehen sollten, ist aber in jedem Fall richtig.

Muss man großflächig ran oder weist man nur den Gendarmenmarkt als Verbotszone aus?

Der Gendarmenmarkt wird sicher nicht reichen. Aber wir nähern uns gerade erst dieser Politik, die dem Verbrennungsmotor möglichst wenig Platz lassen soll. Wo wir 2030 landen, werden wir sehen.

Ist das nicht eine Enteignung von Autofahrern? Es ist doch nicht zu erwarten, dass 2030 nur noch E-Autos unterwegs sind.

Es wird einen enormen Schub geben. In Oslo sind dank konsequenter Förderung mehr als 40 Prozent der Neuzulassungen bereits E-Autos. Wenn man nun elf Jahre vor 2030 die Menschen darauf hinweist, dass sich etwas Wichtiges verändern wird, dann bleibt genug Zeit, sich daran zu orientieren.

Jeder Berliner, der weiter in der Stadt Auto fahren möchte, sollte beim nächsten Kauf ein Elektrofahrzeug erwerben?

Damit wären Sie gut beraten.

Ist nicht die Festlegung auf Elektromobilität generell ein Fehler? Viele Experten sagen, es gebe auch andere Technologien und E-Mobilität könnte unter anderem wegen der Entsorgung auch sehr umweltschädlich sein.

Natürlich gibt es noch eine Reihe von Fragen zu klären. Dazu gehören die Probleme bei den Rohstoffen oder das Recycling. Hier müssen schnell tragfähige Lösungen entwickelt werden. Aber die Technologieentwicklung ist sehr weit vorangeschritten und das in den nächsten Jahren kommende Angebot bei elektrischen Pkw und Bussen wird sehr breit sein. Viele, die Technologieoffenheit predigen, wollen letztlich nur warten und nichts tun – wir haben aber keine Zeit mehr zu warten. Insofern ist es richtig, sich hier auf Elektro-Antriebe zu fokussieren. Andere Technologien wie Wasserstoff-Fahrzeuge oder die Bio-Fuels werden wir für bestimmte Anwendungen brauchen, die sich nicht so schnell elektrifizieren lassen, wie Flugzeugantriebe, Industrieanlagen oder auch schwere Lkw auf langen Strecken. Für Pkw oder Busse sind elektrische Antriebe dagegen eine höchst effiziente Nutzung von Energie. Denn jeder Umwandlungsprozess führt dazu, dass der Wirkungsgrad sinkt.

Aber fahren die Elektrobusse der Berliner Verkehrsbetriebe jetzt zuverlässiger?

Die ersten Erfahrungen der BVG zeigen dies. Elektrobusse sind der richtige Weg für den ÖPNV. Wir haben in Deutschland eine Verantwortung, die Leittechnik voranzutreiben, weil wir mitverantwortlich sind für den Klimawandel. Deutschland ist weltweit der siebtgrößte Emittent von Kohlendioxid. Da können wir nicht sagen, lass das mal die anderen machen. Und dass die deutsche Hauptstadt bei diesem Thema vorangehen muss, ist für mich ganz klar.

Sie sagen, Sie wollen perspektivisch Autos aus der Innenstadt heraushaben. Paris baut sieben große Plätze Fußgänger- und Radfahrerfreundlich um. Welche Orte in Berlin wollen Sie anfassen?

Plätze umzubauen ist eine der nächsten großen Aufgaben für die Politik, die wir angehen müssen. Ich denke da etwa an den Platz an der Urania. Ein komplett unwirtlicher Ort, an dem es kurioserweise eine Kontroverse gibt, ob man die Platanen abhacken sollte, damit das Kunstwerk besser zu sehen ist. Aber stören wirklich die Bäume das Kunstwerk? Oder sind es nicht eher die Autos, die da außen herum vorbeirasen? Wir werden solche Plätze verändern müssen, um sie wieder zu Orten der Begegnung zu machen. Ich war neulich in Spandau. Dort möchte Bürgermeister Kleebank den Platz vor seinem Rathaus umbauen – zu Recht, wie ich finde. Zu einer menschenfreundlichen Stadtgestaltung gehört, diese alten autobahn-ähnlichen Elemente herauszunehmen. Auch der Ernst-Reuter-Platz kann dazu gehören, am Breitenbachplatz wollen wir die riesige Beton-Brücke abreißen, die den gesamten Platz zerstört. Wir müssen die Sünden der autogerechten Stadtplanung zurückbauen. Aber ich habe noch keine fertige Liste mit Plätzen in der Schublade.

Experten sagen, die Anwohner-Parkvignette sei mit 20 Euro für zwei Jahre viel zu billig. Wie teuer sollte das Recht werden, sein Auto auf öffentlichem Grund abzustellen?

Wir verteuern gerade das Parken in der Innenstadt im Rahmen des Luftreinhalteplans. Wir diskutieren über eine City-Maut oder eine Nahverkehrsabgabe. Und wir müssen auch darüber reden, wie sich die Preise für das Anwohnerparken entwickeln sollen, damit wir wirklich nur noch die Autos in der Stadt haben, die unvermeidlich sind.

Es gilt schon länger auf vielen Straßen Tempo 30 gegen die Stickoxid-Belastung. Wie viel hat das bisher gebracht?

Wir sind noch in der detaillierten Auswertung. Die ersten Ergebnisse zeigen eine Verminderung. Aber wir werden das noch genau vorstellen. Fest steht, dass Tempo 30 im Stadtverkehr grundsätzlich die Emissionen wirksam mindert, weil es so weniger schadstoffintensive Beschleunigungsvorgänge gibt. Dennoch ist die Wirkung örtlich verschieden.

Wann werden die Durchfahrtsverbotsschilder für Diesel-Fahrzeuge an den acht betroffenen Straßen aufgestellt?

Wir sind darüber mit den Bezirken im intensiven Austausch. Die Phase der Anhörung ist vorbei, die Schilder werden jetzt bestellt und sollen möglichst bis Ende September aufgebaut sein.

Der ÖPNV soll ja die Lösung sein. Die Debatte um neue U-Bahnlinien geht ja munter durcheinander. Jeder fordert alle möglichen Verlängerungen bestehender Linien. Was wird tatsächlich kommen?

Wirklich gearbeitet wird an drei Machbarkeitsstudien, auf die sich der rot-rot-grüne Senat geeinigt hat: auf die Verlängerung der U8 ins Märkische Viertel, eine U6-Abzweigung zur künftigen Urban Tech Republic auf dem Gelände des Flughafens Tegel und die U7 Richtung BER. Anfang nächsten Jahres werde ich noch eine Machbarkeitsstudie zur Verlängerung der U7 in Spandau, Richtung Heerstraße, beauftragen. Wenn für alle Studien die konsolidierten Ergebnisse vorliegen, wird man sich politisch verständigen, wie man mit den Ergebnissen umgeht. Im Koalitionsvertrag ist von U-Bahnen gar keine Rede. Die Koalition müsste also neu entscheiden, was sie möchte, und wie sie das finanzieren kann. Und eine längere U-Bahnlinie ist rasch ein Milliardenprojekt.

Aber können Sie sich wirklich vorstellen, dass man einen neuen Stadtteil wie den in Tegel ohne U-Bahn-Anschluss baut?

Da geht es nicht um Vorstellungen, sondern um solide Prognosen. Man sollte das Thema nicht so emotional aufladen: Wir müssen nüchtern analysieren, wie viele Fahrgäste wir realistisch erwarten können. Wenn eine U-Bahn ausgelastet werden kann, bin ich dafür, sie auch zu bauen. Falls nicht, bauen wir eine Tram oder lassen E-Busse fahren. Ich meine auch, dass die U-Bahn zu einer wachsenden Metropole gehört. Aber sie ist ein sehr investitionsintensives Verkehrsmittel, dessen Ausbau wohl überlegt und begründet sein muss.

Eigentlich wollte die Koalition in dieser Legislaturperiode drei Straßenbahnlinien fertig haben. Wann fährt die erste neue Tram?

Es gab Verzögerungen durch viele Einwendungen im Planfeststellungsverfahren. Jetzt gehen wir davon aus, dass bis Ende 2021 zwei von drei Linien in Betrieb gehen werden, nämlich die vom Hauptbahnhof zur Turmstraße und die Linie in Adlershof. Im Jahr 2022 folgt dann der Anschluss der Straßenbahn zum Ostkreuz. Die Turmstraße hat sich unter anderem wegen eines Lärmschutzgutachtens verzögert. Es gibt in einer solchen Planung sehr viele Stufen: Wenn es nur an einer hakt, stockt das ganze Projekt. Als wir 2017 begonnen haben, hatten wir ja keine fertigen Planungsunterlagen. Wir mussten ganz von vorn anfangen – insofern ist es nicht schlecht, wenn wir 2021 fertig sind. Auch wenn schneller immer schöner wäre.

Müssen Sie die Verfahren verkürzen? Sie haben ja mit dem Tram-Bau in Spandau ganz andere Dimensionen vor sich.

Wir werden nach den Erfahrungen der ersten Projekte mit allen Beteiligten analysieren, wie man innerhalb der vorgeschriebenen Verfahren schneller vorankommen kann. Wir sind jetzt zweieinhalb Jahre in der Regierung. Da bin ich ganz zufrieden mit dem, was wir bisher aufgesetzt haben.

Sie haben jetzt den neuen Rad-Schnellweg nach Spandau vorgestellt. Baubeginn soll 2023 sein. Verstehen Sie den Frust darüber, dass der Umbau so lange dauert?

Bei den Bürgerbeteiligungen wollen alle mitreden – und gerade wir als Grüne wollen auch alle anhören. Wenn nur eine einzige Behörde bestimmen würde, hier kommt der Radweg hin, dann ginge es sicher schneller. Aber die Zufriedenheit wäre deutlich geringer. Deshalb geht es ja genau darum, die zu unserer Demokratie gehörenden Prozesse zu erhalten, aber zu beschleunigen.

Auch die Ausschreibung der S-Bahnlinien zieht sich. Da gibt es noch politische Differenzen. Sie wollen eine Aufteilung in mehrere Lose, Ihr Koalitionspartner SPD will die S-Bahn als Unternehmen erhalten und sagt, die Deutsche Bahn soll wieder zum Zuge kommen. Wie ist der Stand?

Wir sind derzeit noch voll im Zeitplan. Wir sind seit November 2018 in der Phase der sogenannten Vorab-Bekanntmachung im EU-Amtsblatt. Ende November dieses Jahres können wir in den Teilnahmewettbewerb gehen. Bis dahin haben wir Zeit, uns mit den Koalitionspartnern zu einigen. Wir brauchen eine Ausschreibung, die hohe Qualität und faire Preise sichert. Für mich ist wichtig, dass uns keiner die Preise diktieren kann, auch nicht die S-Bahn Berlin GmbH. Deswegen muss es eine Ausschreibung sein, bei der sich auch andere Anbieter realistisch bewerben können.

Ist es nicht komisch, dass ein bundeseigenes Unternehmen wie die Bahn einem Bundesland zu hohe Preise abnimmt?

Die S-Bahn überweist zurzeit rund 70 Millionen Euro Gewinn pro Jahr an den Bund. Ich möchte als Berlinerin aber deutlich lieber, dass dieses Geld bei uns bleibt und wir es in Berlin investieren.

Es macht Ihnen keine Sorge, den Betrieb auf mehrere Unternehmen zu verteilen?

Wir sehen woanders, dass sich Schnittstellen managen lassen. Natürlich strebt niemand an, möglichst viele Schnittstellen zu haben. Aber dass umgekehrt der S-Bahnbetrieb in der Hand eines Unternehmens, wie jetzt, reibungslos läuft, würde auch niemand behaupten.

Der Lärmaktionsplan liegt jetzt aus. Wäre es nicht eine Idee, die rumpeligen Kopfsteinpflaster durch Flüsterasphalt zu ersetzen?

Wir werden vermehrt Flüsterasphalt einsetzen und wollen neue Tempo-30-Zonen anordnen, um Lärm zu reduzieren.

Berlin kauft jetzt Grundstücke für Grünanlagen. Wo wird es neue Parks geben?

Das ist eine hervorragende Entscheidung: Das Westkreuz und der Flughafensee etwa sind konkrete Grundstücke, die wir jetzt für Berlin sichern. Wir kaufen damit auch Kompensationsflächen dafür, dass wir neue Stadtgebiete erschließen. Wir wollen, dass das Grün mitwächst. Ich halte es zum Beispiel für den falschen Weg, jede Ecke zuzubauen. Wenn gebaut wird, dann können auch etwa neue Pocket-Parks den Menschen Erholung bieten und das Mikroklima in den Kiezen verbessern. Berlin muss eine grüne Stadt bleiben.