Berlin. Ob in der Verkehrspolitik oder beim Wohnungsbau, beim Blick in die Kriminalitätsstatistik oder bei einem Streifzug durch die Kulturlandschaft: Geht es um Berlin, geht es eher um den Kurfürstendamm als um den Sigismundkorso in Frohnau, es geht eher um den Alexanderplatz als um den Blumberger Damm in Marzahn. Kurz: Es geht um die Innenstadt. Die Außenbezirke bleiben in der Diskussion dagegen oft außen vor.
Das ist erstaunlich. Denn die meisten Berliner leben außerhalb des S-Bahn-Rings. Das zeigt die noch unveröffentlichte Antwort der Innenverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage des Abgeordneten Sven Kohlmeier (SPD). Das Statistische Landesamt hat dafür die Bevölkerungsstatistik neu ausgewertet und die Zahlen den Gebieten inner- und außerhalb des S-Bahn-Rings zugeordnet. Das Ergebnis: Innerhalb des Rings lebten im vergangenen Jahr rund 1,12 Millionen Menschen. Außerhalb des Rings waren rund 2,63 Millionen Berliner gemeldet. Das entspricht einer Quote von etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung. Das Verhältnis zwischen Innen- und Außenstadtbewohnern ist den Zahlen zufolge seit dem Jahr 2000 praktisch unverändert geblieben.
Die Bevölkerungsdichte ist im Zuge des Bevölkerungswachstums im gleichen Zeitraum gestiegen – wobei die Verteilung auf die Bezirke unterschiedlich ist. In Friedrichshain-Kreuzberg leben auf einem Quadratkilometer rechnerisch gesehen etwas mehr als 14.000 Menschen. Im Bezirk Mitte sind es gut 9700 und in Charlottenburg-Wilmersdorf knapp 5300.
Schlusslicht ist mit nur rund 1600 Menschen pro Quadratkilometer Treptow-Köpenick, wobei zu berücksichtigen ist, dass sich in dem Bezirk der Müggelsee liegt, was den Wert Bevölkerungsdichte naturgemäß nach unten zieht.
Bevölkerungsentwicklung in Berlin: SPD fordert bezahlbares Wohnen auch in der City
Der SPD-Abgeordnete Kohlmeier, der die parlamentarische Anfrage gestellt hatte, forderte angesichts der Zahlen zur Bevölkerungsverteilung, die Interessen der Randgebiete stärker zu berücksichtigen. „Jetzt haben wir noch die Chance, politisch zu reagieren“, sagte Kohlmeier. Ansonsten werde Berliner die gleiche Entwicklung durchlaufen wie beispielsweise Paris, New York oder London.
Dort sei viel Geld in die innerstädtische Infrastruktur geflossen. Eine Wohnung dort könnten sich aber nur noch sehr wohlhabende Menschen leisten. „In den Randbezirken wohnen die Ameisen, die die Stadt für die Reichen am Laufen halten. Sie selbst profitieren aber kaum davon“, sagte Kohlmeier. Der Staat müsse dafür sorgen, dass Wohnraum auch in der Innenstadt bezahlbar bliebe, etwa durch den Bau von Wohnhochhäusern.
Auch in der Sicherheitspolitik dürfe sich der Staat nicht nur auf die City konzentrieren. Er habe nichts gegen die neue Wache am Alexanderplatz. „Aber wenn die Mitarbeiter dafür teilweise aus Spandau kommen, kann man das in Frage stellen“, sagte Kohlmeier. Auch die Abschnitte in den Randbezirken müssten mehr Personal erhalten.
Auch in der Verkehrspolitik konzentriere sich die Politik zu einseitig auf die Innenstadt, während die Infrastruktur außerhalb des Rings vernachlässigt werde. An der Holzmarktstraße in Mitte habe die – von Senatorin Regine Günther (Grüne) geführte – Verkehrsverwaltung einen Radweg mit Pollern auf Vordermann gebracht, obwohl der vorherige Fahrradstreifen gut benutzbar gewesen sei. Bei den Planungen für anstehende Bauarbeiten an der Eisenacher Straße in Hellersdorf habe man bei der Brücke über die Wuhle dagegen ganz auf einen Radweg verzichtet. Bei Infrastrukturprojekten in der Innenstadt und in der Peripherie würden offenbar unterschiedliche Maßstäbe angelegt.
Die meisten neuen Wohnungen sind an der Berliner Peripherie geplant
Eine Aufstellung der Bauverwaltung über geplante Neubauprojekte zeigt, dass die Bedeutung der Außenbezirke weiter zunehmen dürfte. Demnach sollen die meisten der von den landeseigenen Gesellschaften geplanten Neubauprojekte in Bezirken entstehen, deren Flächen vollständig oder mehrheitlich außerhalb des S-Bahn-Rings liegen. Auf Lichtenberg entfallen 20 Prozent der geplanten Wohneinheiten, 16 Prozent sind für Marzahn-Hellersdorf geplant, und 14 Prozent sollen in Spandau entstehen. Im City-Bezirk Mitte planen die städtischen Gesellschaften dagegen nur fünf Prozent der Wohnungen, in Charlottenburg-Wilmersdorf ist es sogar nur ein Prozent.
Der SPD-Abgeordnete Kohlmeier leitet aus den von ihm abgefragten Zahlen zur Bevölkerungsverteilung folgende Forderung ab: „Wenn 70 Prozent der Menschen außerhalb des S-Bahn-Rings wohnen, müssten auch annähernd 70 Prozent der staatlichen Leistungen dort investiert werden.“ Sonst drohe die Stadt auseinanderzubrechen.