Berlin. Berlins berühmtester Ex-Flughafen birgt bis heute Geheimnisse und viel Geschichte. Ein Spaziergang durch den Flughafen Tempelhof.
Es ist ein diesiger Morgen, der ehemalige Flughafen Tempelhof wirkt etwas trostlos. Doch auch an diesem Tag hat sich eine Schar Neugieriger eingefunden. Sabine Lochner-Zerbe führt heute 17 Tourteilnehmer durch den Flughafen. Die Führung macht sie schon seit sechs Jahren. Was sie besonders daran schätzt? „Die Mischung aus Geschichte, die hier erlebbar wird – sowohl die Historie aus der Nazi-Zeit als auch aus der Ära der amerikanischen Besatzung“, sagt die gebürtige Schwäbin, die seit Ende der siebziger Jahre in Berlin lebt und früher sogar ganz in der Nähe des ehemaligen Flughafens, in der Manteuffelstraße, eine Wohnung hatte. „Leider hat es sich trotzdem nie ergeben, dass ich mal von Tempelhof aus geflogen bin“, sagt Lochner-Zerbe.
Die Tourteilnehmer, viele von ihnen aus dem Ausland, folgen der drahtigen Frau in Richtung Rollfeld. Wir blicken auf die Weite mitten in der Stadt, die per Volksentscheid vor einer Bebauung vorerst bewahrt wurde. Was nach wie vor für Diskussionen sorgt, der Berliner Wohnungsmarkt hat sich seitdem nicht unbedingt entspannt.
Im Flughafen gibt es mehr als 300 Luftschutzräume
Lochner-Zerbe erklärt, was seine Architektur einzigartig macht. Das Gebäude entstand nach einem Entwurf des Architekten Ernst Sagebill, der schon das Reichsluftfahrtministerium an der Berliner Wilhelmstraße entworfen hatte. Dass die Geschichte des Gebäudes zum Teil problematisch ist und es zur Nazizeit errichtet wurde, schickt sie voraus. Dennoch, betont sie, war der Architekt in vielen Punkten seiner Zeit voraus.
„Auf der Seite zum Rollfeld wählte er mit der freitragenden Komposition einen sehr modernen Ansatz, die Stahlskelett-Konstruktion wirkt nahezu leicht, auf der anderen Seite ist der Bau hingegen sehr monumental und typisch für die damalige Zeit“, sagt Lochner-Zerbe. Der Flughafen war für bis zu sechs Millionen Fluggäste geplant und sollte auch für Veranstaltungen wie den Reichsflugtag Raum bieten – mit einem geplanten Luftstadion, in dem bis zu 80.000 Zuschauer Platz finden sollten. Außerdem war der Tempelhofer Flughafen einer der ersten, der eine Logistik haben sollte, mit getrennten Bereichen für Personen, Gepäck und Fracht. „Viele nennen ihn die ,Mutter aller Flughäfen’.“

Der Flughafen sei gleichzeitig ein Monument der Diktatur und Unfreiheit sowie ein Gebäude, das von Fernweh und der freien westlichen Welt erzählt. Viele Berliner verbinden den Flughafen heute vor allem mit der Luftbrücke – auf dem Rollfeld steht zur Erinnerung daran auch eine Douglas C59, ein sogenannter „Rosinenbomber“, der eigentlich dem deutschen Technikmuseum gehört.
Doch ehe wir näher auf dieses Thema eingehen, führt uns Lochner-Zerbe zunächst zum Frachthof, wo wir von außen auf die Haupthalle blicken, die mit ihren 5000 Quadratmetern im Zweiten Weltkrieg als Lager für Flugzeugteile diente. Bis auf den Boden in der Haupthalle wurde der Flughafen im Krieg erstaunlicherweise nicht beschädigt – die Alliierten verschonten das Gebäude aus taktischen Gründen.
Nächste Station: Der Luftschutzraum im 3. Untergeschoss. Hier wird einem tatsächlich kurz unheimlich, das schummrige Licht und die Erzählungen von Lochner-Zerbe tun ihr Übriges. In dem Raum konnten bis zu 84 Personen Platz finden, die Wände zierten Malereien mit Geschichten von Wilhelm Busch, die die Menschen von ihrer Angst ablenken sollten. „Ob das so hilfreich war, wenn man hier mit Dutzenden anderen kauerte, sei dahingestellt“, sagt die Stadtführerin. Erstaunlich: Im Flughafen gibt es mehr als 300 Luftschutzräume – dabei wurde er zu einer Friedensphase gebaut, doch während das Nazi-Regime die Olympischen Spiele im Jahr 1936 zur Friedenspropaganda nutzte, liefen schon die Aufrüstung.
Friseur, Schwimmbad, eine Bankfiliale und Sportplätze
Krasser Gegenschnitt: Ein Holzkasten im Gebäude, vor dem auf einer Tafel gemahnt wird, ihn bloß nicht mit Schuhen mit dunkler Sohle zu betreten. Darin: Ein Racquetball-Raum, der noch aus der Zeit der amerikanischen Besatzung stammt. Während dieser Phase lebten hier zeitweise bis zu 1500 Amerikaner, und im Flughafen entstand eine Stadt innerhalb der Stadt, denn eigentlich waren Mitglieder des Militärs angehalten, nicht mit Zivilisten Umgang zu pflegen – die Vielzahl von Ehen, die zwischen US-Soldaten und Berlinerinnen geschlossen wurde, zeichnet allerdings ein anderes Bild. So gab es im Flughafen alles, was man für den alltäglichen Bedarf brauchte: Einen Friseur, ein Schwimmbad, eine Bankfiliale und zahlreiche Sportplätze.
Lochner-Zerbe erzählt nun von der wichtigen Rolle von Luftbrückenpilot Gail Halvorsen, der zum Helden vieler West-Berliner wurde, die dank der Luftbrücke die Blockade der Sowjets überlebten. Interessant: Halvorsen, der schließlich im Jahr 1970 Kommandant der Airbase Tempelhof wurde, hatte damals gar nicht die Erlaubnis, Süßigkeiten aus seinem Flugzeug abzuwerfen. Er war der erste amerikanische Pilot, der das tat, viele andere zogen nach.
Doch sein Mitgefühl mit den vom Krieg gezeichneten Kindern in Berlin sorgte dafür, dass er auf dem kurzen Dienstweg und auf eigene Faust entschied, es einfach zu tun. Als er daraufhin zum Kommandanten der Luftbrücke zitiert wurde, bangte er, dass es nun mächtig Ärger geben würde – doch das Gegenteil war der Fall.

Schulkinder aus den USA schickten süße Spenden nach Berlin und so wurden in den 14 Monaten der Berliner Blockade neben Kohle, Lebensmitteln und anderen klassischen Hilfsgütern auch 20 Tonnen Süßigkeiten über West-Berlin verteilt. Bis heute ist Halvorsen Berlin und Deutschland verbunden. Für sein Engagement wurde ihm 1974 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen. Dabei hatte er vor Antritt seines Postens am Flughafen große Zweifel gehabt, ob er in Deutschland, dem Land der Täter, zurechtkommen werde.
Von der geheimen Kommandozentrale der Amerikaner laufen wir zum Frachttunnel, wo im Krieg Zwangsarbeiter Flugzeuge fertigten. Lochner-Zerbe erzählt vom Schicksal der Arbeiter, von denen viele an Krankheiten oder im Bombenhagel starben. Die Überlebenden erwartete nach der Rückkehr in die ehemaligen Ostgebiete oft eine weitere Strafe, sie wurden als Verräter in Gulags geschickt.
Von hier laufen wir schließlich noch in Richtung Columbiadamm und besichtigen den ehemaligen Filmbunker der Hansa Luftbild. Teilnehmerin Tanja Gölde, die aus Zürich zu Besuch in Berlin ist, hat sich spontan für die Tour entschieden, nachdem eine Freundin erkrankt war. „Ich finde es sehr spannend, man erfährt wirklich sehr viel über dieses Gebäude und die Geschichte der Stadt“, sagt die junge Sozialarbeiterin, als wir die zahlreichen Treppen zu dieser letzten Station der Führung hinuntersteigen. Anderen Besuchern fehlt der mythische Teil, sie sagen, sie hatten sich mehr Bunker und unterirdische Geheimgänge vorgestellt. Was wiederum zeigt, wie viele Erwartungen und auch Mythen den Flughafen selbst heute noch umgeben.
Führungen durch den Flughafen Tempelhof
Die Tour „Verborgene Orte im Flughafen Tempelhof“ findet täglich ab 11 Uhr (außer mittwochs) statt. Treffpunkt ist im ehemaligen GAT-Bereich, am Tempelhofer Damm 9 (gegenüber der Tankstelle). Die Führung dauert ca. zwei Stunden und ist aufgrund der baulichen Gegebenheiten im Flughafen leider nicht barrierefrei,. Kinderwagen und Tiere sind nicht erlaubt. Festes Schuhwerk wird empfohlen.
Ein Schwerpunkt der Führung sind die vielen Mythen, die sich um den ehemaligen Flughafen ranken, speziell die Nutzung im Dritten Reich. Wie viele unterirdische Geschosse hat das Flughafengebäude? Gibt es tatsächlich kilometerlange Tunnel, die in die Berliner Innenstadt führen? Ist sogar das Flugfeld unterkellert? Warum gibt es so viele Legenden über Tempelhof? Auf dem Programm stehen natürlich auch unterirdische Gebäudeteile und Bunker.
Tickets können online im Ticketshop unter www.thf-berlin.de gebucht werden, oder telefonisch unter 200037441. Erwachsene zahlen 15 Euro, Schüler und Studierende 10 Euro, Kinder bis 14 Jahre zahlen sieben Euro.