Berlin. Wolfgang Schuster, Architekt und Stadtplaner, fordert von den Politikern mehr Mut beim Städtebau. Ein Gastbeitrag.
Wolfgang Schuster ist Architekt und Stadtplaner sowie Vorsitzender des Architekten- und Ingenieur-Vereins zu Berlin (AIV). Der Verein wurde 1824 gegründet und zählt heute rund 300 Mitglieder. Der AIV bezieht regelmäßig Stellung zu aktuellen Bauvorhaben und hat so das Ziel, die Berliner Baukultur zu fördern.
Es hat schon so etwas von Buena Vista Social Club: Da kommen die alten Männer der Stadtentwicklung, begleitet von einer jüngeren Generation, die die digitalen Medien beherrscht, und zeigen den vermeintlichen Profis in der Senatsbauverwaltung und in den Bezirken, wie man die Klaviatur des Städtebaus beherrscht. Es ist keine neue Musik, die sie da erfinden, aber es sind die genialen Konzepte, die bereits Anfang der 90er-Jahre entwickelt wurden – übrigens im Auftrag der Berliner Senatsbauverwaltung –, die so neu erscheinen, dass die Autoren ihr Vorhandensein vergessen machen. Gemeint ist die „Bürgerstadt Buch“.
„Bürger, kauft Eure Stadt“
Eine kleine Entwicklungsträgergesellschaft, die „Bürgerstadt AG“, deren Aktionäre sich bereits vor 19 Jahren, nämlich im Jahr 2000, zusammengefunden haben, um die Innenstadtentwicklung in Berlin mit dem Slogan „Bürger, kauft Eure Stadt“ voran zu treiben, ist die Initiatorin des Projekts. Die wissenden Bürger Berlins, und vor allem die, die sich in dem Metier der Stadtentwicklung auskennen, können ihre Augen einfach nicht vor der Ideenlosigkeit der doch eigentlich dafür zuständigen Verwaltung verschließen.
Auch andere Gruppen werden initiativ, um die drängenden Fragen der Stadtentwicklung des Metropolenraums Berlins zu thematisieren. So schreibt der Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin zeitnah einen internationalen, städtebaulichen Wettbewerb aus, um diskutable Lösungsansätze für die Entwicklungsprobleme des Metropolenraums Berlins und Brandenburgs zu erhalten.
Gewerbe muss in Stadt integriert werden
Das Konzept der Bürgerstadt Buch ist tatsächlich bestechend. Im Wesentlichen geht es um landeseigene Flächen, die bestens von Regional- und Stadtbahnstrecken sowie Autobahnen erschlossen sind. Die Naherholungszonen in Form von Landschaftsschutzgebieten, die man natürlich entsprechend geschützt entwickeln müsste, sind vorhanden.
Wäre da nicht ein kleiner Schönheitsfehler: Der Bezirk Pankow hat mit seiner Gewerbeansiedlung in Teilen des Areals Fakten geschaffen. Aber auch hier weiß die Bürgerstadt Buch eine Antwort: Gewerbe wird integriert. Ja, das Entwicklungsvorhaben ist alleine durch seine schiere Größe mit rund 100.000 Einwohnern im Gegensatz zu den kleinteiligen Bebauungsvorhaben und der Konzentration auf Problemflächen im Zentrum ein Hingucker.
Doch gerade der Bezirk Pankow steht sich durch die politische Konstellation seiner Bezirksverordnetenversammlung (BVV) bei der Entwicklung von Siedlungsvorhaben oft selbst im Weg. Dabei wäre die BVV Pankow gut beraten, sich geschlossen hinter dieses Projekt zu stellen und ihre ewigen Bedenkenträger in die dritte Reihe zu verbannen.
Bürgerstadt verliert das Gemeinwohl nicht aus dem Auge
Die Bürgerstadt Buch könnte auch ein Senatsprojekt werden, in dem die Verwaltungen und politisch Verantwortlichen nicht zur Verhinderung des Programms beitragen, sondern in dem interessierte Bürger in Form von Genossenschaften, Baugruppen, Häusle-Bauer, Gewerbetreibender und Ausgründer einen programmatischen Partner sehen. Mit den bereits durchgeführten Projekten zeigt die Bürgerstadt, dass sie das Gemeinwohl nicht aus den Augen verliert. Das Gemeinwohl steht auch im Interesse des Bürgers dieser Stadt. Wer sich engagieren will, sollte auch die Möglichkeit dazu haben.
Die Verwaltungen Berlins erweisen sich selten als Partner bei der Entwicklung kleinerer und großer Bauvorhaben. Dieses Projekt könnte auch ein Neuanfang in der Beziehung von Bauverwaltung und Bürger sein.
Ein weiterer positiver Aspekt der Bürgerstadt Buch ist die Ausrichtung nach Brandenburg. Die vorhandene Infrastruktur würde gestärkt und damit die im Norden liegenden Zentren der Metropolenregion, in diesem Fall Bernau und Oranienburg, in ihrer Entwicklung begünstigt. Dies entspricht auch den Intentionen des Landesentwicklungsplans Brandenburg.
Metropolregionen Berlin und Brandenburg vereinen
Unsere Politiker wären gut beraten, sich das Konzept der Bürgerstadt Buch zu Eigen zu machen. Hinter diesem Konzept steht ein bürgerschaftliches Engagement zur Lösung von Siedlungsproblemen der Stadt Berlin. Hier würde man sich jetzt einen Volksentscheid wünschen, der nicht das Bauen verhindert, sondern impliziert.
Der Senat hat bereits durch Unvermögen die bauliche Entwicklung des Tempelhofer Felds in den Sand gesetzt. Oder die Heuchelei mit der Entwicklung des Innovations-Campus der Siemens AG in Siemensstadt – hier ist der Kapitalgewinn von Siemens durch die Entwicklung der Grundstücke größer als das in Aussicht gestellte Investitionsvolumen von 620 Millionen Euro. Man kann der Bürgerstadt Buch jedenfalls nur wünschen, dass sie weiter durch die positive Reaktion in der Bevölkerung und vor allem der Medien getragen wird.