Berlin. Der gemeinsamen Ermittlungsgruppe (GE Zig) von Zollfahndung und Landeskriminalamt ist ein weiterer Schlag gegen die Zigarettenmafia in Berlin gelungen. In der Nacht von Montag zu Dienstag hat sie den „Lehrling“ des Zigaretten-Paten von Berlin festgenommen. Das erfuhr die Berliner Morgenpost aus Ermittlerkreisen.
Hoher Steuerschaden durch Schmuggel
In Hellersdorf nahmen die Ermittler der 29-jährigen Hung D. und einen weiteren vietnamesischen Staatsbürger fest, dessen Identität noch geklärt werden muss. Beide sitzen in Untersuchungshaft. Die Ermittler sind sich sicher, dass Hung D. im großen Stil gefälschte Zigaretten von Polen nach Berlin schmuggelte. Der 22-jährige Komplize soll für Hung D. das Geld von Straßenverkäufern eingetrieben haben. Insgesamt gehen die Ermittler davon aus, dass beide so mindestens 1,2 Millionen Zigaretten nach Berlin geschmuggelt haben. Geschätzter Steuerschaden: 360.000 Euro.
Komplette Lieferkette offengelegt
Der erneute Schlag dürfte die vietnamesische Zigarettenmafia in Berlin hart treffen. Denn Hung D. ist bereits das zweite höherrangige Mitglied, das die Ermittler innerhalb kurzer Zeit aus dem Verkehr ziehen konnten. Kürzlich legte die GE Zig in einer koordinierten Aktion eine komplette Lieferkette offen. Sie ließ vom Groß- und Zwischenhändler bis zu einem Hauptabnehmer einen Teil einer vietnamesische Mafia-Bande hochgehen.
Vom Straßenverkäufer zum Großhändler
Bei der Durchsuchung mehrerer Wohnungen und Fahrzeuge in Marzahn und Lichtenberg konnten vor wenigen Wochen mehr als 15.000 Euro Bargeld, Restmengen Zigaretten und zahlreiche Mobiltelefone sichergestellt werden. In einer „Schläferwohnung“ hielten sich zudem drei Vietnamesen ohne Aufenthaltstitel auf. Der 42-jährige mutmaßliche Haupttäter Ngu N. hatte sich vom kleinen Zigarettenverkäufer in Luckenwalde zum selbstständigen Großverkäufer in Berlin „hochgearbeitet“ und war einer der Zigaretten-Paten von Berlin. Der nun verhaftete Hung D. soll sein Lehrling gewesen sein.
4,2 Milliarden Schmuggel-Zigaretten
Fälle wie dieser sind typisch. Konservative Schätzungen gehen davon aus, dass der jährliche Steuerschaden durch geschmuggelte und unversteuerte Zigaretten etwa eine Milliarde Euro beträgt. Der Deutsche Zigarettenverband rechnet in einer Studie vor, dass pro Jahr in der Bundesrepublik etwa 4,2 Milliarden Schmuggel-Zigaretten geraucht werden. Der größte Teil stammt aus Osteuropa. Finanzexperten wie der FDP-Bundestagsabgeordnete Markus Herbrand fordern: „Zigarettenschmuggel muss konsequenter bekämpft werden!“ Er sei erstaunt, wie leicht es sei, an illegale Zigaretten zu kommen.
Das Geschäft ist fest in der Hand der vietnamesischen Mafia
Wer nicht nach Polen fährt, um Zigaretten zu kaufen, bezieht sie bei Schmugglern in Berlin. Ermittler gehen davon aus, dass es in der Hauptstadt etwa 100 feste Verkaufsstellen gibt, an denen Schmuggelware angeboten wird. Der Großteil liegt im Ostteil und ist fest in der Hand der vietnamesischen Mafia. Die Händler verkaufen ihre Ware in der Nähe großer Einkaufszentren – etwa am Plaza Marzahn oder am Eastgate.
Eine Stange Schmuggel-Zigaretten kostet im Straßenverkauf derzeit 20 bis 25 Euro. Der Markt ist fest aufgeteilt. Die Straßenverkäufer kennen ihre Kundschaft – und liefern mittlerweile auch nach Hause. Am Eastgate in Berlin funktioniert das so: Die Verkäufer stehen immer an derselben Stelle. Sie präsentieren ihre Waren ganz offensiv auf dem Wochenmarkt. Die Kundschaft kommt aus den umliegenden Wohnhäusern.
Nachschub liegt in Verstecken in der Nähe
Will ein Kunde mehr als ein paar Schachteln kaufen, verschwindet der Verkäufer kurz und holt den Nachschub aus in der Nähe liegenden Verstecken. Neben dem Verkäufer mit dem festen Standort gibt es „fliegende“ Händler, die etwa auf dem Fahrrad unterwegs sind und Bestellungen entgegennehmen.
Das Geschäft ist für alle Beteiligten lukrativ. Laut Ermittlern verdient an einer Stange illegaler Zigaretten der Hersteller zehn Euro, der Vertrieb zehn bis fünfzehn Euro und der Straßenverkäufer zwei bis drei Euro. Derzeit dürfte es allerdings weniger sein, weil zu viele illegale Zigaretten auf dem Markt sind und den Preis drücken.
Herstellung ist einfach
Für die Herstellung illegaler Zigaretten haben Ermittler beobachtet, dass auch schon ausrangierte Maschinen aus den 60er-Jahren aufgebaut wurden, um die illegale Ware herzustellen. „Die Technik in so einer Fabrik kostet 500.000 Euro. In 14 Tagen haben die sich refinanziert“, sagte ein Ermittler der Berliner Morgenpost. Dabei gibt es nichts, was es nicht gibt. Um den Ermittlern zu entgehen, gibt es auch rollende Fabriken auf LKW, die ständig den Standort wechseln.