Neue Studie

Schulbau-Offensive: Kosten steigen um 2,4 Milliarden Euro

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Die Schulbauoffensive soll auch Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft sein. Doch Aufträge gehen häufig an den Firmen vorbei.Foto: Massimo Rodari

Die Schulbauoffensive soll auch Konjunkturprogramm für die Bauwirtschaft sein. Doch Aufträge gehen häufig an den Firmen vorbei.Foto: Massimo Rodari

Die Kosten für Schulneubauten in Berlin steigen einer Studie zufolge drastisch. Die hiesige Bauwirtschaft meidet die Aufträge.

Berlin. Die Berliner Schulbauoffensive könnte neuen Berechnungen zufolge deutlich teurer werden als ursprünglich geplant. Laut einer Untersuchung der Beratungsagentur Regioconsult werden sich die Kosten für Neubau und Sanierung von Schulen in Berlin um mindestens 2,4 Milliarden Euro auf 7,9 Milliarden Euro erhöhen. Als Gründe dafür nannten die Studienautoren nicht nur steigende Baupreise, sondern auch Kapazitätsgrenzen bei Behörden sowie bei ausführenden Betrieben.

„Wir bezweifeln, dass die Schulbauoffensive des Senats wie geplant durchgeführt werden kann“, sagte am Donnerstagabend Stephan Schwarz, Präsident der Handwerkskammer in Berlin. Kammer und Fachgemeinschaft Bau (FG Bau) hatten die Studie gemeinsam in Auftrag gegeben. Beide Verbände rechnen zudem kaum mit positiven Effekten für die Berliner Bauwirtschaft. Der Aufwand, sich um die öffentlichen Aufträge zu bewerben, sei zu groß, bemängelte Schwarz. Die Größe der Ausschreibungen gehe zudem an den kleinen und mittleren Bauunternehmen in Berlin vorbei. „Die Stadt sagt, wir machen ein Konjunkturprogramm, aber keiner geht hin“, so Schwarz.

Für Bau von 3000 Kita-Plätzen gab es gar keinen Bewerber

Erst im März musste die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen einräumen, dass sich für den Bau von Kindertagesstätten mit insgesamt mehr als 3000 Plätzen kein Bauunternehmen beworben hatte. Zwar hätten sich während des Interessenbekundungsverfahrens 30 Unternehmen gemeldet, ein finales Angebot ging letztlich jedoch nicht bei der Verwaltung ein.

Ein Grund dafür sei auch die Größe des Auftrags gewesen, erklärte Handwerkskammer-Präsident Schwarz. Ausgeschrieben worden war der Auftrag in zwei großen Paketen, zwei sogenannten „Losen“. Die Kitas sollten zudem mit Holzbauten aus Fertigteilen errichtet werden. „Ein Unternehmen, das so etwas kann, gibt es in Berlin nicht. Derartige Aufträge sind auf Großunternehmen ausgerichtet, die industriell vorfertigen“, sagte Schwarz.

Senatsverwaltung weist Kritik zurück

Dabei wollten sich die Berliner Bauunternehmen durchaus dem Wettbewerb um die Ausschreibungen der öffentlichen Hand stellen, so Schwarz. „Dafür fordern wird eine faire Chance“, erklärte er. Losgrößen sollten dafür kleinteiliger ausgeschrieben werden. Zudem würden von der öffentlichen Hand Nachweise gefordert, die für kleinere Unternehmen nur schwer beizubringen wären. Kammer und FG Bau nannten etwa Unterlagen zur Frauenförderung oder Herkunftsnachweise für Baumaterialien.

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wies die Kritik auf Anfrage zurück. Der Berliner Mittelstand beteilige sich schon jetzt an den Ausschreibungen. Die Anzahl der Bewerbungen seien im Vergleich zu den Vorjahren allerdings zurückgegangen, räumte eine Sprecherin ein. „Mit der Vergabe an Generalunternehmer, die wir in begründeten Fällen anwenden, versuchen wir überregionale Bieter anzusprechen, da die Berliner Kapazitäten offensichtlich bei den wenigen Angeboten erschöpft sind“, erklärte die Sprecherin weiter. Diese Generalunternehmer würden dann aber häufig Berliner Firmen als Subunternehmer beschäftigten.

Bei steigenden Bau- und Grundstückskosten sowie einem Mangel an qualifizierten Arbeitskräften einen erhöhten Finanzierungsbedarf zu prognostizieren, sei nicht schwer, so die Senatsverwaltung. „Schwer ist die notwendigerweise frühzeitig angesetzten Baukosten einzuhalten – daran arbeitet das Land Berlin“, sagte die Sprecherin. Berlin brauche neue Schulen und Kitas. Es könne heute noch nicht eingeschätzt werden, ob der Finanzrahmen ausreichend sei.

Nur 57 Prozent der Baufirmen bewerben sich um öffentliche Aufträge

Handwerkskammer und FG Bau bemängeln nicht das erste Mal die komplexen Ausschreibungen der Berliner Landesverwaltung. Bereits im Sommer des vergangenen Jahres hatte die FG Bau dazu ihre Mitglieder befragt. In Berlin bewerben sich demnach nur rund 57 Prozent der Mitglieder um öffentliche Aufträge, in Brandenburg seien es immerhin 69 Prozent der Firmen gewesen.

Berlin lasse bei der bisherigen Durchführung der Schulbauoffensive viele Chancen liegen, bemängelte auch Uwe Luipold, Mit-Autor der Studie. „Unternehmen in der Stadt könnten Innovationsführer für Schulbau werden“, sagte Luipold. Dafür nötig wäre ein neues Miteinander von Wirtschaft und Verwaltung, so Luipold. Nicht nur die Schulbauoffensive, sondern auch die vielen weiteren geplanten Infrastrukturprojekte sollten dazu genutzt werden, wieder eine starke Bauwirtschaft in der Stadt aufzubauen. Die Grundlage dazu habe der Senat durch das ausgerufene „Jahrzehnt der Investitionen“ selbst gelegt.

20.000 Menschen arbeiten für Bauunternehmen in Berlin

Berlins Bauindustrie befindet sich angesichts des städtischen Wachstums seit einigen Jahren im Höhenflug. Derzeit sind gut 20.000 Menschen bei Baufirmen in der deutschen Hauptstadt beschäftigt. Hinter der Industrie liegt aber auch eine lange Leidenszeit. Noch Mitte der 90er-Jahre zählte die Branche rund 50.000 Mitarbeiter in Berlin. Doch in den darauffolgenden Jahren blieben Investitionen mehr und mehr aus. Im Jahr 2000 zählten die Betriebe in Berlin nur noch 10.000 Beschäftigte. Die Schulbauoffensive belebe zwar die Branche. Um allerdings langfristig und nachhaltig personelle Kapazitäten aufzubauen, fehle vielen Unternehmen das Bekenntnis der Politik, sagte der FG-Bau-Präsident Klaus-Dieter Müller.

Die Stimmungslage innerhalb der Branche hatte sich auch nicht durch das neue Vergabegesetz verbessert. Seit Ende des vergangenen Jahres liegt ein Referentenentwurf durch den rot-rot-grünen Senat auf dem Tisch. Anregungen, die die Bauindustrie und diverse Verbände an die Politik herangetragen hätten, fänden sich darin kaum wieder, beklagte Müller. Die FG Bau etwa habe Maßnahmen vorgeschlagen, um die Attraktivität der öffentlichen Aufträge zu steigern. Doch im Haus von Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) sei man damit offenbar nicht durchgedrungen. „Sehr häufig sitzen wir dann mit Fachleuten aus den einzelnen Referaten an einem Tisch, die erklären, warum das in Berlin so nicht geht“, sagte Müller.

Auch die Verwaltung kämpft mit Personalengpässen

FG Bau und Handwerkskammer sehen angesichts der angekündigten Schulbauoffensive auch personelle Defizite aufseiten der Behörden. Lege man beispielsweise für die Hauptverwaltungen den bewältigten Umsatz je Mitarbeiter aus dem Jahr 2017 zugrunde, ergebe sich bis 2021 ein rechnerisches Defizit von rund 600 Stellen.

Die Senatsverwaltung für Bildung geht unterdessen weiter davon aus, dass die Schulbauoffensive wie geplant umgesetzt werden kann. Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) sagte der Berliner Morgenpost: „Die Berliner Schulbauoffensive liegt im Zeitplan; die Spatenstiche und Richtfeste zeigen sichtbare Ergebnisse. Allein in diesem Jahr entstehen mehrere Tausend Schulplätze durch Neubauten, Erweiterungen und Ergänzungsbauten. Die vorliegenden hochwertigen Entwürfe unterstützen eine moderne Pädagogik. Bezirke, die Stadtentwicklungsverwaltung, die Howoge und wir ziehen an einem Strang. Ich gehe davon aus, dass die Kammern fest an unserer Seite stehen und auch die Ergebnisse honorieren.“

Die Opposition hingegen mahnte indes dringende Änderungen am Berliner Vergabegesetz an: „Die zu erwartende milliardenschwere Kostensteigerung der Schulbau-Offensive aufgrund des komplexen Vergaberechts sind ärgerlich und vermeidbar“, sagte der FDP-Abgeordnete Florian Swyter. Daher müsse das Ausschreibungs- und Vergaberecht dringend reformiert und von überflüssiger Bürokratie befreit werden, so Swyter weiter.

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