Berlin schreibt die Stadtbahn und die Nord-Süd-Linien neu aus. Verkehrssenatorin Günther will dabei das Transport-Monopol brechen.

Der S-Bahnbetrieb in Berlin steht vor einer Zeitenwende. Mitte Mai wird sich entscheiden, wie die Schnellbahn für die Hauptstadt und deren Umland künftig organisiert wird. Die Kardinalfrage dabei ist: Wird der Verkehr wie bisher aus einer Hand angeboten oder sind – wie schon im Regionalbahnverkehr – auf dem rund 330 Kilometer langen S-Bahn-Netz künftig mehrere Anbieter unterwegs?

Im Rennen um den Milliardenauftrag ist dabei nicht nur die etablierte Deutsche Bahn, sondern Unternehmen aus ganz Europa. Und wer weiß: Vielleicht kommt der nächste S-Bahnchef gar aus China.

Formal geht es um die Neuausschreibung der S-Bahn-Teilnetze Nord-Süd (mit den Linien S1, S2, S25 und S85) und Stadtbahn (mit S3, S5, S7 S75 und S9). Für beide Teilnetze suchen die Länder Berlin und Brandenburg, die den S-Bahnbetrieb über Bestellerentgelte zu großen Teilen finanzieren, ab 2026 sowie 2027 neue Betreiber. Zudem werden Unternehmen gesucht, die als Ersatz für die aktuelle S-Bahn-Baureihe 481 bis zu 1380 neue S-Bahnwagen liefern und anschließend warten können. Allein dafür veranschlagen die beiden Länder Investitionskosten von rund drei Milliarden Euro.

S-Bahn-Netz könnte auch an mehrere Anbieter vergeben werden

Anders als bei der bereits 2015 abgeschlossenen Ausschreibung des S-Bahn-Teilnetzes Ringbahn (S41/42 sowie mehre Zubringerlinien) könnte der Auftrag dieses Mal auch an mehrere Anbieter vergeben werden. Für diese Option hatten sich in der Vergangenheit vor allem die Berliner Grünen stark gemacht.

Erklärtes Ziel ist es, die Marktmacht des bisherigen Monopolisten, der Deutschen Bahn, zu brechen. Dagegen macht vor allem die Eisenbahnergewerkschaft EVG mobil. Sie befürchtet in der Folge einen massiven Arbeitsplatzabbau.

Doch wer sind die Unternehmen, die der Deutschen Bahn den S-Bahnbetrieb in der deutschen Hauptstadt streitig machen könnten? Sieben Konkurrenten, fast alle renommierte Schienenfahrzeughersteller, haben bei einer Markterkundung durch die Senatsverkehrsverwaltung ihr Interesse signalisiert. Die Berliner Morgenpost gibt einen Überblick.

  • Alstom Transport Deutschland Hinter diesem Anbieter steht der mit insgesamt fast 35.000 Mitarbeitern größte Bahntechnikhersteller Frankreichs, der vor allem für seine TGV-Hochgeschwindigkeitszüge bekannt ist. In dem börsennotierten Konzern mit Sitz in Saint-Ouen-sur-Seine hatte lange Zeit der französische Staat maßgeblich das Sagen. Als Alstom Anfang der 2000er-Jahre wirtschaftlich ins Schlingern geriet, stellt die französische Zentralregierung rund 800 Millionen Euro zur Rettung des Unternehmens bereit. Alstom drängte zuletzt verstärkt auf den deutschen Bahnmarkt. Das Unternehmen verweist darauf, im S-Bahn-Segment bereits 17.000 Wagen an 55 Kunden geliefert zu haben. Darunter auch Züge, die ohne Lokführer fahren können. Metropolis-Wagen von Alstom fahren unter anderem in Paris, Amsterdam, Barcelona, Montreal, Singapur oder Sydney.
  • Bombardier Transportation Die Bahnsparte des kanadischen Mischkonzerns hat nicht nur ihren Sitz in der deutschen Hauptstadt, sie gehört mit Produktionsstandorten in Hennigsdorf, Bautzen und Görlitz auch zu den größten Arbeitgebern im Osten Deutschlands. Bombardier stellt mit rund 1000 Wagen der Baureihe 481 nicht nur den größten Teil der aktuellen S-Bahnflotte in Berlin. Auch die Flexity-Straßenbahnen der BVG und zahlreiche U-Bahnzüge (etwa die H-Baureihe) haben ein Bombardier-Firmenschild. Doch bei Neu-Ausschreibungen zählen alte Erfolge nur wenig. Die wirtschaftliche Bedeutung für die Region darf nach EU-Recht formal auch keine Rolle spielen.
  • Konsortium Stadler/Siemens Die beiden Unternehmen haben sich 2015 erfolgreich um den Auftrag für die Lieferung von fast 400 neuen S-Bahnwagen für die Ringbahn beworben. Zehn Vorserienzüge sind bereits gebaut und werden, wie berichtet, derzeit erprobt. Ab Januar 2021 sollen sie zunächst auf der Linie S47 (Spindlersfeld – Südkreuz) zum Einsatz kommen, die Auslieferung der Serien-Fahrzeuge soll bis Oktober 2023 erfolgen. Die S-Bahn Berlin GmbH hat als Auftraggeber mit dem Konsortium allerdings einen Rahmenvertrag abgeschlossen, der die Lieferung von weitaus mehr Fahrzeuge als die aktuell bestellten 85 Vierwagen- und 21 Zweiwagen-Einheiten zulässt. Mit einem solchen Vertrag in der Hinterhand kann die S-Bahn möglicherweise ein deutlich günstigeres Angebot als andere Bieter abgeben. Verkehrssenatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) könnte durch diese Rechnung noch einen Strich machen. Entweder mit der von ihr angestrebten Loslimitierung, die verhindert, dass alle Aufträge (Lose) an einen Anbieter gehen, oder mit neuen Anforderungen, die von den Siemens-Stadler-Fahrzeugen nicht erfüllt werden.
  • Skoda Transportation Group Das Traditionsunternehmen baut inzwischen nicht nur in Tschechien, sondern auch in Finnland beinahe alles, was auf Schienen fährt, vor allem aber Elektroloks und Straßenbahnen. In Deutschland sind sie bislang aber eher selten zu sehen. Eine Produktion außerhalb des Euro-Raums könnte ein Kostenvorteil gegenüber anderen Anbietern darstellen. Wie Alstom oder Bombardier würde sich Skoda um das sogenannte Fachlos A, also den Auftrag für die Lieferung und die Instandhaltung der Fahrzeuge bewerben. Für den Betrieb ist eine Partnerschaft mit einem Eisenbahnverkehrsunternehmen erforderlich. Das kann, muss aber nicht die Deutsche Bahn sein.
  • CAF und Talgo Die beiden spanischen Anbieter sind in Deutschland bislang kaum präsent. Talgo konnte aber vor Kurzem einen Großauftrag von der Deutschen Bahn an Land ziehen. Für die künftige Eurocity-Flotte liefert das Unternehmen 23 Fernverkehrszüge inklusive Lokomotiven (ab 2023). Auftragswert: 550 Millionen Euro.
  • CRRC ZELC Verkehrstechnik und SFH Handelsgesellschaft Die beiden großen Unbekannten im Rennen um die S-Bahn. CRRC gilt jedoch als führender chinesischer Schienenfahrzeughersteller, der seit 2016 aggressiv auf den europäischen Markt drängt. Ein Komplettangebot ist durchaus denkbar. Bereits bei der Ringbahn-Ausschreibung hatte mit MTR Hongkong auch ein Metro-Betreiber aus Fernost Interesse signalisiert. Doch die MTR hatte ebenso wie National Express aus England oder die Betreiberin der Pariser Metro, die RATP aus Frankreich, das Handtuch geworfen. Am Ende des von Wettbewerbern als kompliziert und unfair kritisierten Vergabeverfahrens gab nur die S-Bahn Berlin GmbH ein Angebot ab.