Berlin . Stadtentwicklungssenatorin wehrt sich gegen SPD-Kritik, das Wachstum Berlins klein zu rechnen. Wer verfolgt welche Interessen?

Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat die Kritik der SPD an ihrem Entwurf für den Stadtentwicklungsplan Wohnen (StEP Wohnen) zurückgewiesen. Man orientiere sich mit den angestrebten Neubauzahlen für Wohnungen an den amtlich anerkannten Prognosen für die Bevölkerungsentwicklung Berlins, sagte ein Sprecherin von Senatorin Katrin Lompscher (Linke).

Der SPD-Fachausschuss „Soziale Stadt“ hatte wie berichtet Lompscher vorgeworfen, das Wachstum der Stadt klein zu rechnen und zu wenige Neubauwohnungen vorzusehen. Statt der im StEP Wohnen genannten 194.000 neuen Wohnungen bis 2030 seien rund 300.000 neue Wohnungen nötig, so die SPD-Experten. Die Bevölkerungsprognose liege mit 3.828.000 Bewohnern in elf Jahren zu niedrig, wenn derzeit schon 3.748.000 Bürger in Berlin lebten.

Lompscher selbst hatte Anfang April im Abgeordnetenhaus die Prognose mit 3.852.000 angegeben, weil diese wegen des verstärkten Zuzugs aus dem Ausland um 24.000 erhöht worden war. Fragen der SPD-Fraktion, ob man nicht den Neubaubedarf auf 300.000 anpassen müsse, hatte Lompscher als „Spekulation“ bezeichnet. Gleichwohl seien „Neubauaktivitäten dringend erforderlich“.

CDU wirft SPD vor, von ihrer Verantwortung abzulenken

In der Linken wird versucht, die Kritik des SPD-Fachausschusses durch die Nähe mehrerer Mitglieder zur Immobilienwirtschaft zu entkräften. Diese Leute hätten Interesse, den Druck zu erhöhen, um weitere Flächen wie etwa Kleingärten durch Umwandlung in Bauland im Wert zu steigern, heißt es in der Partei.

Die Position des Fachausschusses wird jedoch in der SPD insgesamt geteilt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) hat dafür gesorgt, dass der Step Wohnen zunächst nicht den Senat passiert hat. Die baupolitische Sprecherin Iris Spranger sagte, die Fraktion halte die Bevölkerungsprognose für unrealistisch. „Man rechnet sich die Lage schön“, sagte Spranger.

Ihr Fraktionskollege Daniel Buchholz kritisierte, Lompschers Verwaltung habe für viele Bauvorhaben die Zielzahlen herunter gerechnet und die Vorhaben zeitlich nach hinten geschoben. Der Grünen-Abgeordnete Andreas Otto sagte, die Debatte über die Prognosen lenke davon ab, dass das Tagewerk bei der Entwicklung der großen Neubaugebiete nicht geleistet werde. Die Opposition warf der SPD vor, von der eigenen Verantwortung abzulenken. „Steigende Mieten sind von diesem rot-rot-grünen Senat mitverschuldet“, sagte der CDU-Abgeordnete Christian Gräff. „Berlin braucht eine Wende in der Wohnungsbaupolitik. Die wird es aber nicht geben, so lange Senatorin Lompscher im Amt ist.“

Neuer Entwurf wurde im März vorgelegt

Die Stadtentwicklungsverwaltung hatte im März den Entwurf eines neuen Stadtentwicklungsplanes Wohnen veröffentlicht, mit der die akute Wohnungsnot in der Stadt gelindert werden soll. Der Plan sieht im Kern vor, bis zum Beginn des nächsten Jahrzehnts 194.000 zusätzliche Wohnungen bauen zu lassen.

Für die Wohnbauexperten der SPD geht die Planung von Senatorin Lompscher am realen Bedarf völlig vorbei. Sie verweisen auf eine zweite, deutlich optimistischere Variante der Senatsprognose sowie auf jüngere Berechnungen des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (2016) oder der Forschungsinstitute Empirica (2017) und Prognos (2018). Sie gehen allesamt davon aus, dass die Einwohnerzahl von Berlin bis 2030 auf rund vier Millionen steigen wird. „Geht man von etwa vier Millionen Einwohnern aus und setzt diese Zahl in die Wohnungsbedarfsberechnung des StEP Wohnen ein, müssen nicht 194.000 Wohneinheiten gebaut werden, sondern etwa 100.000 mehr“, so der SPD-Fachausschuss. Werde Lompschers Konzept zum gültigen Planwerk für die nächsten Jahre, würde dies „schwere Schäden für die Berliner Wohnungsversorgung und die Mieten- und Preisentwicklung erzeugen“.

Seit Längerem massiv in der Kritik

Die Experten fordern auch, die Wohnungsbaupotenziale in der Stadt neu zu ermitteln. Lompscher geht derzeit von Flächen in der Stadt aus, die Platz für rund 200.000 neue Wohnungen bieten. Dies würde laut dem SPD-Fachausschuss nur knapp über den von ihnen als viel zu niedrig eingeschätzten Bedarf bis 2030 liegen. „Eine Steigerung des Wohnungsbaus ist nur durch eine Vergrößerung der Potenzialkulisse zu erreichen“, heißt es.

Lompscher steht wegen ihrer Wohnungspolitik bereits seit Längerem massiv in der Kritik. Sie tue viel zu wenig für den Neubau, so der Vorwurf der Opposition im Abgeordnetenhaus. Vor allem zum Schutz der eigenen Wählerklientel werde alles unternommen, um etwa Verdichtungen bestehender Wohngebiete zu verhindern. Stattdessen unterstütze die Linke die jüngst gestartete Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“. Deren Erfolg, so die Kritiker, würde das Land viele Milliarden Euro kosten, ohne dass damit nur eine einzige neue Wohnung in der Stadt entstehe.