Demonstration

Wütende Mieter ziehen durch Berlin

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Bei der „Mietenwahnsinn“-Demo zogen die Teilnehmer vom Alexanderplatz nach Kreuzberg und Friedrichshain.

Bei der „Mietenwahnsinn“-Demo zogen die Teilnehmer vom Alexanderplatz nach Kreuzberg und Friedrichshain.

Foto: Christoph Soeder / dpa

Mehr als 35.000 Menschen haben in Berlin gegen hohe Mieten und Verdrängung demonstriert. In Kreuzberg wurde ein Laden besetzt.

Berlin. Der Ärger über steigende Mieten hat am Sonnabend mehrere Zehntausend Menschen in vielen deutschen Städten zum Protestieren auf die Straße getrieben. Die größte Demonstration zog durch Berlin. Dort begann gleichzeitig auch das bislang einmalige Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne. Die Initiatoren sammelten bereits am ersten Tag zahlreiche Unterschriften. Weitere Demonstrationen und Protestaktionen gab es in Leipzig, München, Stuttgart, Frankfurt und anderen Städten.

In Berlin wollte die Polizei keine konkrete Teilnehmerzahl nennen, sprach aber von einer Größenordnung „weit über 10.000“. Die Veranstalter sprachen von mehr als 35.000 Demonstranten. Aufgerufen zu dem Protest hatten rund 280 Initiativen.

Demonstranten ziehen bis zur Immobilienmesse

Über die Karl-Marx-Allee ging es Richtung Kreuzberg. Am Nachmittag erreichte der Zug die Arena Berlin an der Puschkinalllee in Treptow und endete friedlich bei Musik und Tanz. Dort trafen die Mieter auch auf ihr Feindbild: In der Arena fand zeitgleich eine Immobilienmesse statt, an der auch Investoren teilnahmen. Bis vor den Eingang der Messe durften die Demonstranten allerdings nicht ziehen. Die Eichenstraße und der Haupteingang mussten aus Brandschutzgründen frei bleiben, hieß es seitens der Polizei.

Laden in Kreuzberg besetzt

Am Rande der Mietendemonstration kam es am Nachmittag zur kurzzeitigen Besetzung eines leerstehenden Geschäftes an der Wrangelstraße in Kreuzberg. Die Polizei bestätigte, dass sich etwa 300 Personen vor dem Haus mit Transparenten versammelt hatten. Die Polizei war mit zahlreichen Einsatzkräften vor Ort.

Mehrere Demonstranten versuchten, in das Geschäft einzudringen. Beamte trugen drei Personen aus dem Gebäude und nahmen sie vorübergehend fest. Augenzeugen berichteten von einer aufgeheizten Stimmung, es sei zu Rangeleien zwischen Polizisten und Demonstranten gekommen. Die beamten räumten daraufhin den Gehweg und sicherten den Zugang des Ladens.

Der frühere Gemüseladen hatte vor einigen Jahren als Symbol gegen steigende Preise und Verdrängung Schlagzeilen gemacht. Dem Betreiber des Ladens war gekündigt worden. Nach Protesten wurde die Kündigung zurückgenommen. Der Besitzer hat das Geschäft später jedoch aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben.

Volksbegehren für Enteignungen gestartet

Am Sonnabend startete auch die Unterschriftenaktion zum Volksbegehren „Deutschen Wohnen und Co. enteignen“. Schon vor Beginn der Demonstration drängten sich die Menschen auf dem Berliner Alexanderplatz, um an langen Tischen für das Volksbegehren zu unterschreiben. Michael Prütz ist zweiter Sprecher der Initiative, die das Eigentum großer Firmen mit mehr als 3000 Wohnungen verstaatlichen möchte.

Am Sonnabend spricht er am Alex vor einem großen Publikum. Über sein Megafon ruft er: „Es ist High Noon, ab jetzt unterschreiben beim Stand ,Deutsche Wohnen und Co. enteignen’. Unterschreibt. Wir werden das gewinnen.“ „Das wird der Renner“, sagt Prütz nach ein paar Minuten.

Die Initiatoren haben jetzt sechs Monate Zeit, um für die erste Stufe des Volksbegehrens 20.000 Unterschriften zu sammeln. Das Land Berlin soll die Wohnungen den Firmen zwangsweise abkaufen. Das könnte das hoch verschuldete Land Berlin mehr als 30 Milliarden Euro kosten. Allerdings ist das Volksbegehren für den Berliner Senat rechtlich nicht bindend. Es geht nur um eine Aufforderung, ein Gesetz zur Enteignung zu beschließen.

Kreuzberger Ehepaar fürchtet Kündigung

Angelika (68) und Mario (69) Wirtz zählen zu den ersten Berlinern, die unterschrieben haben. Die Rentner wohnen in Kreuzberg. Für ihre 100 Quadratmeter Altbau-Wohnung zahlen sie etwa 800 Euro Warmmiete. Das Ehepaar Wirtz kann eine Geschichte erzählen, die wohl viele der Mitdemonstranten so ähnlich schon mal gehört haben: Seit fast 45 Jahren wohnen die Angelika und Mario Wirtz nun schon in dem Haus im Bergmannkiez.

Zunächst gehörte das Objekt einem Investor aus Bayern, mittlerweile aber ist der Konzern Deutsche Wohnen Eigentümer. Alle drei Jahre haben die Eheleute seitdem eine Mieterhöhung von 15 Prozent im Postkasten – und sie haben Angst. „Wir rechnen damit, dass wir bald eine Kündigung bekommen“, sagt Mario Wirtz, der vor seinem Ruhestand als Informatiker gearbeitet hat.

Das Ehepaar geht nicht das erste Mal gegen steigende Mieten auf die Straße. Auch als die Demonstration im vergangenen Jahr durch Berlin zog, waren sie dabei, ebenso bei der Kundgebung im Herbst, als im Kanzleramt der Wohngipfel stattfand. „Ich hätte nicht gedacht, dass ich in meinem Alter nochmal zu Demonstrationen gehe. Aber nun treibt es uns raus“, sagt Mario Wirtz.

Unter den Demonstranten ist auch Veikko Schmohl, der die Kleiderkammer der Berliner Stadtmission leitet. Schmohl hatte jahrelang in einer Ein-Zimmer-Wohnung gelebt, zahlte zuletzt dafür 800 Euro. Nach einer weiteren Mieterhöhung gab er auf. „Meine Lebensgefährtin und ich wurden aus Prenzlauer Berg vertrieben, weil wir uns die Miete nicht mehr leisten können“, klagt er. Zwischenzeitlich habe er nicht mehr gewusst, wer eigentlich sein Vermieter ist, weil so häufig der Eigentümer gewechselt habe, erzählt der 29 Jahre alte Schmohl. Auch er hat am Sonnabend das Volksbegehren unterschrieben.

Applaus, Forderungen und Horrorgeschichten

Mittlerweile haben von einem Wagen aus auch die zahlreichen Initiativen das Wort ergriffen. „Interessen und Luxus einer Minderheit dürfen nicht mehr zählen als soziale Gerechtigkeit“, sagt etwa eine junge Frau mit französischem Akzent. Dafür gibt es Applaus auf dem Alexanderplatz. „Wir fordern einen radikalen Kurswechsel in der Wohnungspolitik. Wohnen als Menschenrecht soll garantiert werden“, so die Frau weiter.

Der Protest gegen zu hohe und steigende Mieten ist aber vor allem kreativ. Ein Künstler, verkleidet als Miethai, bahnt sich seinen Weg durch die Demonstranten. Bunte Schilder wie „Berlin-Monopoly: nein danke“ oder „Mieter – Melkkuh für Aktionäre“ sind im Demonstrationszug zu sehen.

Kritik der FDP, Koalition ist uneins

Die FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus kritisierte hingen Demonstration und Volksbegehren. „Diese Mieten-Demo setzt die falschen Signale und spielt bewusst mit den Ängsten der Menschen dieser Stadt“, sagte der Fraktionsvorsitzende der Liberalen, Sebastian Czaja, am Sonnabend. Wirkungsvoller wäre ein Aufschrei für eine Neubau-Offensive und mehr genossenschaftliches Wohnen in Berlin. Die Initiatoren des Volksbegehren förderten aber weitere Verknappung von Wohnraum und die Ausgrenzung von Menschen, so Czaja. „Wer klaut statt baut, gefährdet die Zukunft unserer Stadt und den sozialen Frieden“, sagte der Politiker.

Im rot-rot-grünen Senat sind die Linken für das Volksbegehren. Die Grünen wollen sich in der Enteignungsdebatte noch Zeit für eine Position lassen. Landeschefin Nina Stahr sagte am Sonnabend auf dem Landesparteitag, dass das Thema zu komplex sei, als dass es eine einfache Antwort geben könnte. Die SPD hat sich auch noch nicht festgelegt. Der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) ist gegen Enteignungen.

Auch Berlins Bausenatorin Katrin Lompscher (Linke) zählte am Sonnabend zu den Demonstranten. Lompscher teilte auf Anfrage der Berliner Morgenpost mit: „Ich nehme, wie schon bei der letzten großen Mietendemonstration, als Privatperson an der Veranstaltung teil. Das Anliegen kommt aus der Mitte der Berliner Stadtgesellschaft, als große Anhängerin der direkten Demokratie werde ich mich deshalb nicht an die Spitze der Bewegung stellen. Die Debatte rund um das Volksbegehren sehe ich jedoch als wichtigen Beitrag zum Umgang mit der Wohnungsfrage als eine der zentralen sozialen Frage unserer Zeit.“

( Mit dpa/mime/ag )