Berlin. Die Aufregung war groß, als vergangene Woche durchsickerte, dass die Verwaltung von Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) im Falle eines erfolgreichen Volksentscheids der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ mit Entschädigungskosten zwischen 28,8 und 36 Milliarden Euro rechnet.
Zumal die Initiative zuvor deutlich niedrigere Kosten kommuniziert hatte. Doch in der amtlichen Kostenschätzung der Verwaltung, die der Initiative zugestellt und bislang noch nicht veröffentlicht wurde, finden sich noch mehr unangenehme Überraschungen.
Kommentar: Die Debatte um Enteignungen in Berlin ist gefährlich
So geht aus der angefügten Tabelle der zu enteignenden Unternehmen – insgesamt zehn an der Zahl – hervor, dass auch die Hilfswerk-Siedlung GmbH (HWS), ein Unternehmen der evangelischen Kirche, zu den betroffenen Unternehmen gehört.
„Mit Erstaunen und Unverständnis“, habe man dies zur Kenntnis genommen, sagte HWS-Geschäftsführer Jörn von der Lieth der Berliner Morgenpost. Die Hilfswerk-Siedlung GmbH sei kein großer renditeorientierter Wohnungskonzern: „Unser vorrangiges Ziel ist es, eine sozial verantwortbare Wohnungsversorgung sicherzustellen.“
Die HWS wurde 1952 aufgrund eines Ratsbeschlusses der Evangelischen Kirche gegründet, um die damalige Wohnungsnot zu lindern. Seitdem hat die HWS nach Auskunft ihres Geschäftsführers rund 280 Millionen Euro investiert und rund 4600 Wohnungen gebaut.
6000 Wohnungen in Berlin
Genau das hat nun dazu geführt, dass sich das Unternehmen auf der Enteignungsliste wiederfindet. Denn in der Beschlussvorlage für das Volksbegehren steht geschrieben: „Als Schwelle für die Vergesellschaftungsreife der Unternehmen schlagen wir einen Umfang von 3000 Wohnungen pro Unternehmen vor“.
Und weiter: Da das Ziel der Vergesellschaftung die Schaffung von Gemeineigentum sei, seien lediglich „Unternehmen im öffentlichen oder bereits kollektiven Besitz der Mieterschaft oder gemeinwirtschaftlich verwaltete Unternehmen rechtssicher“ auszunehmen.
Da letzteres aber nicht auf die HWS zutrifft, sie jedoch in Berlin einen Bestand von insgesamt 6000 Wohnungen hat, setzte die Senatsverwaltung sie auf die Liste der zehn zu enteignenden Unternehmen, wo sie mit ihrem auf 985 Millionen Euro veranschlagten Verkehrswert Platz neun bekleidet – vor der DIV Deutsche Vermögens- und Immobilienverwaltung (3800 Wohnungen, geschätzter Verkehrswert 679 Millionen Euro) und hinter der BGP Gruppe/BGP Investment (8000 Wohnungen, Schätzwert 1,292 Milliarden Euro).
Soziale Unternehmen werden nicht verschont
Auf Platz 1 der Liste findet sich mit 111.500 Wohnungen in Berlin die Deutsche Wohnen (15,228 Milliarden Euro), gefolgt von der Vonovia (44.000 Wohnungen, 6,507 Milliarden) und ADO Properties (22.200 Wohnungen, 4,010 Milliarden).
Für die HWS ist die Einbeziehung in das Volksbegehren auch deshalb ein schwerer Schlag, weil sich das Unternehmen selbst als sozialer Vermieter begreift. „Sozialverträglichkeit und wirtschaftliches Handeln im Sinn unserer Mieter und Kunden zu verbinden, ist unser Ziel“, heißt es auf der Homepage. Und Geschäftsführer von der Lieth verweist darauf, dass
35 Prozent des Bestandes Sozialwohnungen und die 65 Prozent der frei finanzierten Wohnungen durchschnittlich für 6,46 Euro je Quadratmeter vermietet würden. Für ihr gesellschaftliches, soziales und ökologisches Engagement sei die HWS zudem mehrfach ausgezeichnet worden, im vergangenen Jahr etwa mit dem DW Zukunftspreis 2018. Für die Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen bestünden zudem Kooperationen und Partnerschaften mit der Berliner Stadtmission und dem EJF.
Initiative beharrt auf Beschluss
„Wir wussten nicht, dass die Hilfswerk-Siedlung die Vergesellschaftungskriterien erfüllt und damit eines von den betroffenen Unternehmen ist“, sagte Rouzbeh Taheri von der Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ der Berliner Morgenpost. „Ich kenne die Gesellschaft gar nicht, weder im Guten noch im Schlechten“, so Taheri weiter.
Allerdings sei die Zahl von 3000 Wohnungen eine Soll-Bestimmung und man werde sehen, wie der Senat das Gesetz beschließe. „Am besten wäre es aber, wenn das Unternehmen seine Wohnungen an die Mieter schenkt und die GmbH in eine Genossenschaft umgewandelt wird, dann entgeht sie ganz sicher der Enteignung“, so sein Gegenvorschlag. So kurz vor dem Start der Unterschriftensammlung am 6. April „werden wir ganz sicher am Beschlusstext nichts mehr ändern“, so der Sprecher der Initiative. Das hat wohl auch HSW-Geschäftsführer von der Lieth nicht erwartet. Er hat einen Brief an Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) geschrieben und um Stellungnahme gebeten.
Unterdessen hat Müller den Chef der Deutschen Wohnen, Michael Zahn am kommenden Freitag zum Krisengespräch eingeladen. Dass bei dem Gespräch jedoch ein Kompromiss vereinbart wird, der auch die Initiatoren des Volksentscheids zufrieden stellt, gilt als wenig wahrscheinlich.