Immer mehr Frauen arbeiten in einst klassischen Männerberufen, viele Unternehmen fördern gezielt Mitarbeiterinnen.
Im Jahr 2019 gibt es nur wenige Frauen, die sich in Männerdomänen behaupten. Vier von ihnen haben wir getroffen. Sie berichten vom Kampf gegen Vorurteile.
Pilotin Julia Peukert hebt ab
Seit 15 Jahren ist Julia Peukert Pilotin am Flughafen Tegel. Für Technik habe sie sich schon immer interessiert, erzählt die gebürtige Berlinerin. Unterstützt durch ihre Eltern fing sie bei der ehemaligen Fluggesellschaft AirBerlin an und blieb bis zur Insolvenz im Jahre 2017, bevor sie zu easyJet wechselte. „Allein diese Maschine, dieses Flugzeug über unseren Planeten zu steuern, ist schon sehr faszinierend“, sagt die 37-Jährige.
Als Frau ist sie eine Ausnahmeerscheinung in der Pilotenbranche: nur vier Prozent der Menschen hinter dem Steuer von Flugzeugen sind weiblich. „Bei easyJet ist die Quote – dank Initiativen wie dem Amy-Johnson-Projekt – zwar höher, liegt mit sechs Prozent aber trotzdem noch viel zu niedrig“, sagt Peukert. Insgesamt haben laut der „International Society of Women Airline Pilots“ 2018 nur 7409 Frauen im Cockpit gearbeitet, in Deutschland arbeiteten etwa 600 Pilotinnen. Es werde zwar aktiv daran gearbeitet, die Zahl zu erhöhen, der Pilotenberuf sei aber immer noch eine absolute Männerdomäne, erklärt Peukert. Das Amy-Johnson-Projekt hat deshalb ein ambitioniertes Ziel: Bis 2020 sollen 20 Prozent der Neubewerber weiblich sein. Denn der Bedarf an Piloten und Pilotinnen ist immens, Unternehmen suchen händeringend.

In den letzten Jahren sei der Beruf auch für Familienmenschen durchaus attraktiver geworden, sagt Peukert. Es gäbe aber nach wie vor viele Vorurteile: So heißt es oft, dass Piloten kaum soziale Kontakte hätten oder keine Zeit für ihre Familie. Die 37-Jährige kann das nicht bestätigen. „Das stimmt nicht“, sagt die zweifache Mutter. „Auch ich arbeite Vollzeit, auch ich habe Kinder. Durch das Kurzstreckenfliegen ist die Branche mittlerweile sehr viel familienfreundlicher geworden.“
Negative Erfahrungen mit männlichen Kollegen hat die Pilotin so gut wie keine gemacht. „Es gibt schon immer wieder Kommentare, vorrangig jedoch von den Passagieren“, meint die Berlinerin. Die Aufmerksamkeit, die man als weibliche Pilotin bekommt, sei einfach wesentlich größer als die bei den Herren. Davon will sich die Pilotin aber nicht irritieren lassen. „Ich versuche, meinen Job jeden Tag so gut zu machen wie es geht und mich darauf zu konzentrieren, meine Passagiere von A nach B zu bringen. Das ist es, worauf es ankommt.“
Peukert hofft, dass sich in Zukunft mehr junge Frauen ihren Job zutrauen und die Initiative ergreifen. Die Luftverkehrsbranche sei ein wachsender Markt, da gäbe es gute Jobs. „Ich kann jedem jungen Mädchen nur raten, auf sich selber zu hören, auch mal mutig sein und sich was zuzutrauen“, betont sie. Mit mehr Aufmerksamkeit, speziellen Förderprojekten und auch durch Feiertage wie den Weltfrauentag sieht die Pilotin eine offene Zukunft für alle Frauen – überall in der Wirtschaft und speziell in der Flugbranche.
Sabine Glesner unterrichtet die Technik von morgen
Ihr Büro liegt in der zehnten Etage des Telefunken Hochhauses am Ernst-Reuter-Platz. Blick über die Stadt. An der gläsernen Tür steht: „Software and Embedded Systems Engineering“. Informatik-Professorin Sabine Glesner ist Leiterin des Fachbereichs an der Technischen Universität. Für den Laien ist nicht ganz leicht zu verstehen, woran die 47-Jährige forscht. Sie erklärt: „Wir entwickeln zum Beispiel gerade eine Software, die andere Software nach Fehlern durchsucht und deren mögliche Folgen ermitteln kann.“
Glesners Welt: Programmiersprachen, Softwareentwicklung - von der Kaffeemaschine bis zum Auto. Sie hält Vorlesungen wie „Softwaretechnik und Programmierparadigmen“, da werden den Studenten unter anderem unterschiedlichen Programmiersprachen beigebracht. „Haskell“ oder „Lisp“ heißen die zum Beispiel. Oder Glesner erklärt Studenten wie sie die Software für ein ganzes Gewächshaus entwickeln, die dafür sorgt, dass Temperatur und Luftfeuchtigkeit automatisch auf dem optimalen Niveau bleiben. Und: Glesner ist an der Fakultät für Elektrotechnik und Informatik eine von nur zwei weiblichen Professorinnen. An ihrem Fachbereich mit zehn Leuten ist sie die einzige Frau, die Chefin.

Glesner hat Anfang der 90er-Jahre in Darmstadt und Berkeley studiert. Wie kam man damals als Frau auf die Idee, Informatik zu studieren? „Logische Strukturen und Zusammenhänge, das fand ich immer gut. Mathematik spielt bei uns ja eine große Rolle“, sagt sie. Gegenstimmen habe es damals trotzdem gegeben, einige Freunde oder die Familie, die verstanden ihre Wahl nicht immer. Auch heute ist Glesner noch eine von wenigen Frauen in der Informatik. Unter ihren Studenten an der Technischen Universität sind „maximal 20 Prozent“ Frauen, sagt sie.
Das passt zu den deutschlandweiten Zahlen: Laut einer Studie des IT-Branchenverbands Bitkom waren 2016 etwa 23 Prozent der Informatik-Studenten weiblich – die Zahl stagniert seit Jahren. Die Frauen, die sie habe, seien aber im Durchschnitt besser als die Männer, sagt Glesner. „Die überlegen sich, glaube ich, einfach besser, was sie studieren.“ Viele Männer würden Informatik studieren, weil sie gern Computerspiele zocken. „Die sind hier eher falsch, wenn sie kein mathematisches Verständnis haben.“
Die Professorin hätte gern, dass mehr Frauen bei ihr studieren. „Ich glaube, wenn die Geschlechterverhältnisse ausgeglichen sind, gibt es eine natürlichere und eine lustigere Atmosphäre.“ Außerdem ist die Informatik-Branche höchst attraktiv für Frauen: Unternehmen suchen Informatiker händeringend. Für Frauen ein Vorteil. „Wenn da mal eine Elternzeit, eine Schwangerschaft dazwischenkommt, ist das für Frauen in diesem Bereich heute kaum ein Problem.“ In anderen Branchen sei das leider anders, ergänzt sie. Sie hofft, dass langfristig überall die Strukturen überall schwinden, die dazu führen dass Schwangerschaften Karrieren gefährden.
Sie weiß, wie Kebab schmecken muss
Im „Rüyam Gemüse Kebap“ in Prenzlauer Berg wird jeder Gast mit „Mein Lieber“, „Meine Liebe“ angesprochen. Wenn ein Kunde etwas mehr Geld gibt, ruft Sabrin A. „Trinkgeld!“ und ihre Kollegen antworten im Chor: „Danke!“ Freundlichkeit ist bei uns alles“, sagt die 26-Jährige, die in dem Restaurant das Dönerfleisch schneidet und die Speisen zubereitet.
Sie ist eine von ganz wenigen Frauen, die das in Berlin machen. Der Kebap-Spieß, die scharfen Messer, das ist traditionell Männersache.

Sabrin A. hat mal Zahnarzthelferin gelernt, dann als Verkäuferin für Kleidung gearbeitet. Der Besitzer des Restaurants sprach sie an, als sie selbst Gast war. Sie hat einmal probegearbeitet und blieb. Seit zwei Jahren mittlerweile. „Ich liebe die Arbeit hier“, sagt sie. Trotzdem haben einige Kunden Vorurteile, wenn ihnen eine Frau den Döner zubereitet. Sie merkt das an den Blicken. Wenn sie den Döner gekostet hatten, waren bislang alle begeistert. „Ich sage dann: Tja, das hat eine Frau gemacht“, erzählt sie. Und: „Wenn Frauen den Döner zubereiten, dann machen wir das mit Liebe.“ So schmecke der dann auch.
Sabrin A. kann minutenlang erklären, wie der perfekte Kebap bei „Rüyam“ – das bedeutet: mein Traum – gemacht wird. Erst wird das richtige Brot ausgewählt, dann die Soßen gleichmäßig auf dem Fladen verteilt, die exakt vorgegebene Menge Fleisch wird vom Spieß gesäbelt. Die Gewürze und Kräuter, die den Geschmack ausmachen, sind aber geheim, sagt sie und lacht. „Uns ist Qualität wichtig, Freundlichkeit und Sauberkeit“. Der Imbiss ist deshalb kein Geheimtipp mehr – nur „Mustafas Gemüse Kebap“ in Kreuzberg ist ähnlich bekannt. Zum Frauentag wünscht sich Sabrin A.: „Jede Frau soll ihren Zielen nachgehen, ganz egal, welchen Job sie macht.“
Sie kommt, um Wasserkanäle zu kontrollieren
Manchmal findet Laura Franczak Geldmünzen, manchmal Eheringe und ab und an ein totes Tier. Die 24-Jährige Industriemechanikerin arbeitet im Bereich Abwasser und Entsorgung der Berliner Wasserbetriebe. Sie ist eine von nur drei Frauen in einem Team von über 20 Mitarbeitern. Ihre Aufgabe: Jeden Tag ab 6 Uhr fährt sie mit ihrem 5,5 Tonnen Sprinter zu Kunden, um Abwasserleitungen zu prüfen. Sie ist die Kraftfahrerin. „Am geilsten ist an dem Job der tägliche Kundenkontakt und das körperliche Arbeiten, das macht mir Spaß“, sagt Franczak. Kein Kanal, sagt sie, sei wie der andere.

Der Job in der Kanalreinigung, das hat nichts damit zu tun im Dreck rumzukriechen und durch Kanäle zu waten. Franczak arbeitet mit modernster Technik: Sie schiebt eine Kamera in die Zugangsschächte, live kann sie sehen, ob etwas die Abwasserleitungen verstopft oder Wurzeln von außen eindringen – „vorher spülen wir natürlich mit Hochdruck durch“, sagt sie und lacht.
In ihrem Team wird Franczak respektiert, nur Kunden sind immer wieder verwundert, wenn plötzlich eine Frau ihren Kanal prüft. Der Standardspruch gerade von älteren Männern: „Die sagen ‘Jetzt muss die Kleine das schleppen’ oder ‘Oh, bei den Wasserbetrieben arbeiten ja Mädchen’“, sagt Franczak. Sie findet das respektlos. So etwas passiere schon zwei, drei Mal im Monat. Einmal, erzählt sie, habe ihr aber eine alte Frauenrechtlerin die Tür geöffnet. „Die war so Mitte 70 und hat mich ausgefragt, wie ich zu meinem Job gekommen bin.“ Sie fand das toll. Die Frau sagte ihr dann noch: Frauen könnten den Kerlen ruhig zeigen, dass sie solche Jobs mindestens genauso gut können. „Ich bin da absolut ihrer Meinung“, sagt Franczak. „Wenn eine Frau das wirklich will, dann kann sie alles genauso schaffen wie Männer.“
Wie das bei Franczak kam? Nach dem Abitur wollte sie mit ihren Händen arbeiten. Der Vater, Schlosser, empfahl ihr die Wasserbetriebe. Sie ist glücklich mit ihrer Entscheidung. Und hat eine Hoffnung: In 20 Jahre soll es keine Frauen- oder Männerberufe mehr geben. „Die Menschen sollen einfach das machen, worauf sie Bock haben und nicht das, was man von ihren erwartet.“
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