NS-Zeit

Die Charité und die Verbrechen an den Patienten

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Isabell Jürgens
Charité-Chef Karl Max Einhäupl setzt sich für die Aufarbeitung der NS-Geschichte ein.

Charité-Chef Karl Max Einhäupl setzt sich für die Aufarbeitung der NS-Geschichte ein.

Foto: Amin Akhtar

Das Universitätsklinikum arbeitet seine NS-Vergangenheit auf - ein dunkles Kapitel in der langen Geschichte der Einrichtung.

Es ist ein dunkles Kapitel in der mehr als 300-jährigen Geschichte der Charité: Viele ihrer Kliniken und Institute wurden in den zwölf Jahren zwischen 1933 und 1945 zu Orten der NS-Rassen- und Vernichtungsmedizin. „Teile der Ärzteschaft und des pflegenden Personals folgten bereitwillig den Paradigmen des herrschenden Regimes“, stellte Charité-Chef Karl Max Einhäupl anlässlich der Einrichtung des „GeDenkOrt.Charité“ zum Thema „Wissenschaft in Verantwortung“ auf dem historischen Campus in Mitte fest. „Nicht arische“ und politisch missliebige Kollegen wurden geächtet, entlassen und vertrieben. „Daher ist es uns überaus wichtig, uns mit diesem Kapitel der Charité-Geschichte transparent und öffentlich auseinanderzusetzen“, sagte Einhäupl weiter.

Impfversuche an Kindern in der Nervenklinik

Mit einer ganzen Reihe von Ausstellungen am Campus Mitte versucht die Charité zudem, Antworten darauf zu geben, wieso sich so viele Mediziner für die politischen Ziele des NS-Regimes in Anspruch nehmen ließen. Wieso sie offenbar ohne erkennbare Bedenken menschenverachtende oder zumindest ethisch fragwürdige Experimente und Zwangssterilisationen an Menschen durchführten.

Die Ausstellung „Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin“ im Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité zeichnet nach, wie weit sich viele Mediziner in diesen Jahren von ihrem hippokratischen Eid entfernt hatten. Darunter etwa der Leiter der Kinderklinik der Charité, Georg Bessau, der in der „Kinderfachabteilung“ der städtischen Nervenklinik „Wiesengrund“ in Reinickendorf Kleinkinder für Tuberkulose-Impfversuche missbrauchte und ihnen so vor ihrem Tod noch unermessliche Schmerzen bereitete.

In einer neuen Ausstellung, die ab dem 22. März zu sehen sein wird, widmet sich die Charité der widersprüchlichen Figur ihres wohl bis heute bekanntesten Chirurgen. „Auf Messers Schneide. Der Chirurg Ferdinand Sauerbruch zwischen Medizin und Mythos“, nennt sich die Schau, die versucht, den Werdegang des Mannes nachzuzeichnen, dessen Ansehen trotz seiner ambivalenten Haltung zum Nationalsozialismus bis heute das Bild des Halbgottes in Weiß maßgeblich prägt.

„Erinnerungsweg“ als interaktives Denkmal

Seit Mitte 2018 gibt es zudem den „Erinnerungsweg“, ein interaktives Denkmal, das in Kooperation mit der Universität der Künste Berlin entstanden ist, setzt sich mit der Rolle der Charité in der NS-Zeit auseinander und macht Spuren dieser Vergangenheit an authentischen Orten auf dem Campus Charité Mitte sichtbar und hörbar. An sechs Stelen wird vor den jeweiligen
Instituten über Menschenversuche und Gesundheitspolitik in der NS-Zeit sowie über die Vertreibung politisch oder „rassisch“ unliebsamer Kollegen informiert.

Ebenfalls um die Aufarbeitung der NS-Geschichte geht es in dem Buch „Die Charité im Dritten Reich. Zur Dienstbarkeit medizinischer Wissenschaft im Nationalsozialismus“, das seit Langem vergriffen ist. Seit Januar 2019 steht eine überarbeitete Auflage online zur Verfügung: https://charite.zeit-archiv.de

Ausstellung: Die Ausstellung „Die Charité im Nationalsozialismus und die Gefährdungen der modernen Medizin“ ist täglich von 9 bis 18 Uhr am authentischen Ort zu sehen: in der Psychiatrischen und Nervenklinik am Campus Mitte. Eingang: Charitéplatz 1, Geländeadresse: Bonhoefferweg 3. Eintritt frei.