Charlottenburg-Wilmersdorf. Zum Jahresanfang war Dieter Puhl, langjähriger Leiter der Bahnhofsmission am Zoo, von der Berliner Morgenpost zum „Berliner des Jahres“ gekürt worden. Am Mittwoch kam der 61-Jährige in die Redaktion, um sich zu bedanken. „Es ist eine schöne Auszeichnung. Menschen klopfen mir auf die Schulter und fragen, ob ich ein Hefeweizen möchte. Da sag’ ich dann gern Ja“, erzählt Puhl.
Seit Jahren gehört er zu den Favoriten für den Ehrentitel, diesmal sprachen sich besonders viele Leser und die Jury unter Vorsitz von Chefredakteurin Christine Richter für den unermüdlichen Lobbyisten der Obdachlosen aus. In Verbindung mit der Auszeichnung gab es für die Bahnhofsmission eine Spende über 5000 Euro von Berliner helfen e.V., dem Verein der Berliner Morgenpost.
„Das ist eine große Hilfe für uns“, sagt Puhl und fängt gleich an zu rechnen: „Für zehn Euro können wir pro Tag Lebensmittel für 180 Gäste zukaufen, der Rest kommt von der Tafel. Für 18 Euro gibt es einen Militärschlafsack mit Isomatte“
In der Bahnhofsmission sind alle willkommen
Unter Puhls Leitung wurde die Bahnhofsmission am Zoo in den vergangenen zehn Jahren zur größten Anlaufstelle für Wohnungslose und Bedürftige in Berlin. Mittags und abends, zur Essensausgabe, bilden sich Schlangen in der Jebensstraße. Ehrenamtliche Helfer bitten die „Gäste“, wie sie genannt werden, herein, verteilen belegte Brote und manchmal auch warme Mahlzeiten, gespendet von Catering-Unternehmen, der Messe oder von Hotels.
Jeder ist willkommen, die „Gäste“ ebenso wie die vielen ehrenamtlichen Unterstützer, zu denen auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und sein Vorgänger Joachim Gauck gehören.
„Wir haben mit zehn Leuten angefangen, jetzt sind es 34, bald 40 Mitarbeiter“, erzählt Puhl. Dazu kommen täglich bis zu 25 Ehrenamtliche. Um die wird sich sein Nachfolger Wilhelm Nadolny kümmern. „Willi is ne Type, der wird den Laden und die Leute zusammenhalten“, ist sich Puhl sicher. Er selbst übernimmt bei der Berliner Stadtmission, der er seit 26 Jahren angehört, eine neue Aufgabe: Gemeinsam mit Mathias Hamann wird er die neue Stabsstelle „Christliche und gesellschaftliche Verantwortung“ leiten.
"Jeder Mensch braucht einen Platz im Leben“
Dort will Dieter Puhl das weiterführen, was er mit seiner Arbeit bei der Bahnhofsmission vor zehn Jahren angefangen hat: die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und der Politik auf die Schwächsten der Gesellschaft lenken, auf die Menschen ganz unten auf der Straße. Mit dem Begriff „Stabsstelle“ fremdelt er noch, lieber spricht er von der „Abteilung Miteinander“. Er werde sich auch künftig um obdachlose Menschen kümmern. Ihre medizinische, insbesondere psychiatrische Versorgung müsse mehr ins Blickfeld genommen werden, sagt Puhl beim Redaktionsbesuch.
„Es geht nicht nur um eine Wohnung. Jeder Mensch braucht einen Platz im Leben“, sagt er. Um Frauen und Kinder kümmere sich das Sozialsystem ziemlich gut, sie hätten es leichter, Hilfe zu finden. „Obdachlose Kinder gibt es bei uns nicht“, betont Puhl, wohl aber eine große Zahl psychisch kranker und schwer alkoholkranker Obdachloser. „Die fallen durch die Auffangraster“, sagt der Sozialarbeiter.
Solche Menschen könnten nur mit großem Zeit- und Personalaufwand in ein geregeltes Leben zurückgeführt werden. „Die sind an der Seele krank, da reichen Sozialarbeiter nicht, und Psychiater sind teuer“, sagt Puhl. Hier sei Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) noch mehr gefordert als Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke).
Dieter Puhl will sich stärker in die Politik einbringen
„Man muss andererseits auch sehen, dass wir schon viel geschafft haben. 37.000 Menschen sind in Pensionen, Wohngemeinschaften und Heimen untergebracht. Das ist ein Erfolg“, sagt Puhl. Insgesamt habe die Obdachlosigkeit zugenommen. Vor dem Mauerfall hätten in West-Berlin geschätzt 500 Menschen auf der Straße gelebt. Wie viele es heute sind, weiß niemand genau. Sozialsenatorin Breitenbach plant im Sommer eine Zählung.
Dass inzwischen mehrere Tausend Obdachlose in Berlin leben, kann aber als gesichert gelten. Der größte Teil kommt aus osteuropäischen Ländern. Mit einem neuen Modellprojekt und zwei engagierten polnischen Sozialarbeitern wird versucht, obdachlose Polen zur Rückkehr in die Heimat zu bewegen. „Das geht nicht mit Zwang, sondern nur mit Hilfe und Begleitung“ sagt Puhl, der für ähnliche Programme mit Rumänien und Bulgarien plädiert.
In seiner neuen Funktion als offizieller Lobbyist für Arme und Schwache will er sich stärker in die Politik einbringen, gerade war er Gast auf der Klausurtagung der SPD. Er spricht sich für eine Osteuropakonferenz aus und hofft, den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) als Schirmherren zu gewinnen.
Und er will mithelfen, Probleme zu lösen, die in der öffentlichen Diskussion und den Medien beschrieben und zu Recht angeklagt werden: steigende Mieten, Wirtschaftswachstum um jeden Preis, drohende Armut im Alter. „Ich will die Welt verändern“, sagt der 61-jährige augenzwinkernd. Bis 66 will er arbeiten und Sprachrohr sein für jene, die keine Fürsprecher haben. Im Sinne des Leitspruchs der Stadtmission: „Suchet der Stadt Bestes“.
Wie zwei Männer polnische Obdachlose von der Straße holen
„Obdachlosigkeit ist für uns alle schädlich“
Dieter Puhl verlässt Bahnhofsmission am Zoo
Der Berliner des Jahres ist ein Lobbyist der Schwachen