Berlin. Sieben Monate lang floss der Verkehr im Gleimtunnel nur in eine Richtung. Lediglich von Prenzlauer Berg in Richtung Gesundbrunnen bleib eine schmale Durchfahrt an der Großbaustelle der Berliner Wasserbetriebe frei. Wer aus Richtung Gesundbrunnen mit dem Auto kam, fand an der Tunneleinfahrt Barrikaden vor.
Da sich der Bau des neuen Stauraumkanals unter dem Mauerpark dem Abschluss nähert, sollte diese Einbahnstraßenregelung eigentlich in Kürze enden. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Seit Dienstagnachmittag ist der Gleimtunnel voll gesperrt. Auch aus Richtung Prenzlauer Berg gibt es jetzt für Autos und Lastwagen kein Durchkommen mehr. Nur der Rad- und Fußverkehr darf die einstige Grenze zwischen Ost- und West-Berlin noch passieren.
Schuld daran sind nicht etwa Platzprobleme bei den Bauarbeiten am Mauerpark-Kanal der Wasserbetriebe, sondern die Wünsche von Anwohnern, die sich durch Geisterfahrer und Staus vor ihren Haustüren gestört fühlen. So erklärt es Wasserbetriebe-Sprecher Stephan Natz. „Offenbar würden viele Anlieger gern eine Vollsperrung der Gleimstraße haben, da ihnen missfällt, dass die Straße als Verbindung zwischen Wedding und Prenzlauer Berg dient.
Vorbild ist die Zeit nach der großen Überschwemmung vor fast drei Jahren, nach der der Gleimtunnel ja lange Zeit komplett dicht war“, sagte Natz auf Anfrage der Berliner Morgenpost. Aus bautechnischer Sicht sei die Vollsperrung des Gleimtunnels überflüssig. Die Wasserbetriebe hätten definitiv keine Ausdehnung der Baustelleneinmündung an der Tunneleinfahrt angefordert. Sperrzäune gibt es nun trotzdem.
Bezirksamt beruft sich auf Empfehlung der Polizei
Im Vorfeld des 20 Millionen Euro teuren Kanalbauprojekts und während der Arbeiten standen die Wasserbetriebe ständig mit Anwohnern in Kontakt. Die ließen sich angesichts des mehrjährigen Baugeschehens anfangs nur schwer befrieden und beschwerten sich immer wieder über die Gruben, Rohrleitungen und Zäune vor ihren Türen. In letzter Zeit sei auch bemängelt worden, dass sich einige Autofahrer nicht an die Einbahnstraßenregelung im Gleimtunnel halten, betont Stephan Natz.
Überrascht von der Vollsperrung des Gleimtunnels zeigt sich die Senatsverwaltung für Umwelt und Verkehr. Man sei erst durch die Anfrage dieser Zeitung auf den Vorgang aufmerksam geworden. „Interessante Sache. Damit haben wir nichts zu tun“, erklärt Sprecher Derk Ehlert. „Die Verantwortung für Baustellen an der Gleimstraße liegt allein beim Bezirksamt Pankow. Es muss sich um eine Maßnahme handeln, die dort angeordnet wurde“, stellt der Sprecher von Verkehrssenatorin Regine Günter (parteilos, für Grüne) fest.
Besser unterrichtet war die Berliner Verkehrsinformationszentrale VIZ, ein Angebot, das die Öffentlichkeit täglich über Verkehrsprobleme in der Hauptstadt informiert und der Senatsverwaltung für Verkehr untersteht. „Aufgrund einer Baustelle ist der Gleimtunnel ab dem frühen Nachmittag dann in beiden Richtungen bis voraussichtlich Ende Juni voll gesperrt“, meldete der Dienst ganz kurz in einem Satz – einen Tag vor der Umsetzung des Durchfahrverbots.
"Erhöhte Beschwerdelage von Bürgern"
Dem Bezirksamt Pankow sind die Anwohnerbeschwerden, die zur Vollsperrung führten, bekannt. Verkehrsstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) sieht aber die Einschätzung der Verkehrslenkung Berlin (VLB), die der Verkehrssenatorin untersteht, als entscheidend an. „Nach Information der zuständigen VLB begründet sich die Sperrung durch die erhöhte Beschwerdelage von Bürgerinnen und Bürger über sich häufende Fehlverhalten von Autofahrern“, lässt Stadtrat Kuhn über seine Sprecherin mitteilen.
Immer wieder hätten Geisterfahrer die Einbahnstraßenregelung ignoriert und seien auf der Spur für den Verkehr in Richtung Gesundbrunnen nach Prenzlauer Berg gefahren. „Eben dieses Fehlverhalten wurde auch von Seiten des Polizeiabschnittes bestätigt, der sich ebenso für eine Vollsperrung ausgesprochen hat“, heißt es weiter in der Erklärung von Kuhn. Mit einer Wiedereröffnung der Durchfahrt sei erst im Sommer 2019 zu rechnen. Der Stadtrat hebt allerdings hervor, dass Radfahrer und Fußgänger unbehelligt bleiben.
So könnte die jetzige Regelung einen Vorgeschmack bieten auf die geplante Neuordnung des Verkehrs in diesem Bereich. Wenn es nach den Plänen des Bezirksamtes Pankow geht, sollen die Gleimstraße und die anschließende Stargarder Straße künftig zur Fahrradstraße umfunktioniert werden. Je nachdem wie streng die Regelung umgesetzt wird, dürften dann nur noch Anlieger die Straße mit Autos befahren – oder der motorisierte Verkehr wäre komplett tabu. Noch wird geprüft. Doch in einer ersten Informationsveranstaltung hatten etliche Anwohner Zweifel angemeldet, ob die Aussperrung von Autos funktionieren kann. Immerhin gab es auch den Einwand, die Gleimstraße diene dem Lieferverkehr zur Max-Schmeling-Halle – einer der größten Sportstätten Berlins.
ADAC-Sprecherin zweifelt am Sinn der Sperrung
Trotz dem Hinweis des Bezirksamts, man habe eine Gefahrenstelle entschärfen wollen, gab es am Mittwoch an der Sperrung des Gleimtunnels Kritik. „Fraglich ist, ob eine komplette Sperrung des Gleimtunnels in dem Fall die richtige Maßnahme ist“, zweifelt ADAC-Sprecherin Sandra Hass am Sinn dieser Aktion. „Eine Vollsperrung bis Sommer halten wir für unverhältnismäßig, auch deshalb, weil parallel auf der Ausweichroute Eberswalder Straße und Bernauer Straße ebenfalls bis Mitte 2019 gebaut wird und die Straße auf jeweils einen Fahrstreifen verengt ist“, sagt Hass. Aus Sicht des ADAC könnten statt der Tunnelsperrung technische und bauliche Lösungen in Frage kommen. Als Beispiele nennt der Club den Einsatz einer Schranke oder verstärkte Kontrollen gegen Falschfahrer. In jedem Fall habe die Verkehrssicherheit oberste Priorität. Insofern seien Hinweise von Anwohnern über Probleme durchaus berechtigt.
Besonders kritisch äußerte sich Florian Swyter, der wirtschaftspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus. Er sagte: „Die Vollsperrung des Gleimtunnels kam überraschend und ist ärgerlich. Es verwundert, dass kurz vor dem Ende der Bauarbeiten die Durchfahrt nun für mindestens ein halbes Jahr komplett gesperrt werden soll und hierfür lediglich auf Anwohnerbeschwerden verwiesen wird. Wenn in Berlin aufgrund von Anwohnerbeschwerden Straßen einfach gesperrt werden dürften, käme es zum Stillstand in dieser Stadt.“
Vor allem Radfahrer reagierten auf die Sperrung der wichtigen Durchfahrt aber mit Verständnis
„Unglaublich wie viel Autofahrer trotz mehrfacher Beschilderung die Sperrung ignoriert haben“, ärgert sich Christoph Weyl vom Pankower Verein „Kiezinseln“ über Geisterfahrer. Er fährt die Strecke jeden Tag und erlebte als Radfahrer mehrere kritische Situationen.