Berlin. Senator Klaus Lederer im Interview über Hubertus Knabe, den Kampf um Kulturorte und Probleme von R2G.
Als sich der Linken-Politiker Klaus Lederer 2016 in der rot-rot-grünen Koalition den Posten des Senators für Kultur und Europa sicherte, wunderten sich viele. Immerhin ist er von Hause aus Jurist. In seinem geräumigen Loftbüro in Mitte wirkt der stets schwarz gekleidete 44-Jährige aber, als wäre er selbst ein Kulturschaffender.
Herr Lederer, Rot-Rot-Grün regiert jetzt zwei Jahre. Die Mieten steigen, die BVG kollabiert, die Verwaltung schwächelt, der Schulbau kommt nicht so richtig in Gang. Warum hat die Koalition mit den zentralen politischen Themen solche Probleme?
Klaus Lederer: Dass gerade die Dinge, die sich mit Investitionen verbinden, einen längeren Vorlauf brauchen, als wir optimistisch angenommen haben, ärgert uns – glaube ich – selbst am meisten. Trotzdem bin ich heilfroh, dass sich die drei Parteien zusammengetan haben, die sich mit Investitionen beschäftigen. Fahrzeugbeschaffung, Schulen, Neubau: Ganz viel wird angegangen, das führt nach Jahren des Stillstands aber leider eben zu Engpässen. Aber wir haben schon drei Haushalte miteinander verabschiedet, arbeiten jetzt am vierten. Mit dem letzten Nachtragshaushalt ist es uns gelungen, Familien und Alleinerziehende mit Kindern netto um bis zu 1200 Euro im Jahr zu entlasten. Es geht in die richtige Richtung. Bei den Dingen, die nicht klappen, ist weniger Aufregung und Kommunikation nach außen und mehr solide Arbeit das Gebot der Stunde. Insgesamt ziehen die Koalitionsparteien am selben Strang und vor allem in dieselbe Richtung, was sich von der Opposition nun nicht gerade sagen lässt.
Zuletzt haben die Grünen für Probleme gesorgt. Wie beurteilen Sie den Umgang mit dem krebskranken Verkehrsstaatssekretär Kirchner?
Ich hatte große Schwierigkeiten, einer Entscheidung zuzustimmen, die jemanden auf dem Weg der Genesung aus dem Amt entfernt. Dass es nun eine Lösung gibt, die es ermöglicht, die Kompetenzen von Herrn Kirchner weiter für das Land Berlin zu nutzen und mit der auch er einverstanden ist, war die Brücke, über die wir gehen konnten. Trotzdem ist das Signal für eine Koalition, die sich solidarischen Umgang auf die Fahnen geschrieben hat, kein Ruhmesblatt.
Haben Sie jetzt einen gut bei den Grünen?
Mein Verständnis von einer Koalition ist nicht, dass man Strichlisten führt. Wir sollten alle nicht den Versuch machen, uns permanent auf Kosten der Koalitionspartner profilieren zu wollen. Dabei kommen die Erfolge nicht mehr in der Kommunikation vor, das schadet uns allen.
Die Linken agieren in Berlin relativ geräuschlos. Warum strahlen die Konflikte auf Bundesebene wie um die Aufstehen-Bewegung von Frau Wagenknecht nicht auf den Landesverband ab?
Wir sind in den wesentlichen Fragen geschlossen. Natürlich gibt es zwischen uns auch mal Zoff. Aber wir haben über die Jahre gelernt, uns in der Sache zu streiten. Im Fokus steht dabei immer eines: was die beste Lösung für die Berlinerinnen und Berliner ist. Ich habe das Gefühl, dass es gut ist für die Koalition, dass wir stabilisierend wirken und solide unsere Arbeit machen.
Sie selbst hatten die Personalie Hubertus Knabe am Hals. Wie soll es weitergehen in der Gedenkstätte Hohenschönhausen?
Jede Einrichtung, in der über Jahre hinweg strukturelle Herrschaftsverhältnisse entstanden sind wie in Hohenschönhausen, braucht eine Veränderung. Das hat nichts damit zu tun, dass es sich um eine Einrichtung der Aufarbeitung der SED-Diktatur handelt. Mein Interesse ist es, dass die hervorragende Arbeit von vielen Mitarbeitern und Zeitzeugen weitergehen kann. Da gibt es eine erhebliche Verunsicherung. Ich habe mich an den Debatten nicht beteiligt. Es geht nicht um mich und auch nicht um Hubertus Knabe, sondern darum, wie diese Einrichtung nach vorne gebracht werden kann. Darum kümmere ich mich in den nächsten Wochen und Monaten. Allen, die mit Verschwörungstheorien operieren und Ängste schüren, es gehe darum, die Gedenkstätte abzuschaffen oder wichtige Arbeit zu beenden, denen sage ich: Gucken Sie in zwei Jahren noch mal und Sie werden sehen, dass die Gedenkstätte von den jetzigen Entscheidungen profitieren wird. Kein Opfer wird größere Anerkennung bekommen durch solche Schlammschlachten. Ich arbeite daran, dass die Bedingungen für die Aufarbeitung besser werden und der Lernort dort Erfahrungen mit Diktatur noch wirksamer vermitteln kann.
Wieso hatte Knabe eigentlich einen Vertrag ohne begrenzte Laufzeit?
Inzwischen haben alle Einrichtungsleitungen Verträge über fünf Jahre. Dann müssen die Gremien über eine Verlängerung entscheiden. Früher war das anders. Deswegen haben Einrichtungsleitungen, die schon sehr lange im Amt sind, noch andere Konditionen. Aber jeder Vertrag, der unter meiner Ägide abgeschlossen wird, wird auf fünf Jahre befristet sein.
Konzentriert sich Rot-Rot-Grün zu sehr auf das Stadtzentrum? In der Verkehrspolitik haben viele diesen Eindruck. Aber auch in der Kultur wird viel gemacht in der Mitte: Humboldt Forum, Museumsinsel, Nationalgalerie: Wie bleibt der Rand der Stadt attraktiv für Besucher und Berliner?
Dieser Eindruck mag bei denjenigen entstehen, die ihren Blick nur auf die Stadtmitte richten. Das ganze Bild zeigt deutlich mehr: Wir haben den Bezirkskulturfonds verdoppelt, wir fördern die Kinder- und Jugendtheater, die Musikschulen bekommen 20 Prozent fest angestellte Mitarbeiter, wir arbeiten am Bibliotheksentwicklungsplan, die Jugendkunstschulen arbeiten hervorragend, das alles verteilt sich auf die ganze Stadt. Wenn es um Räume geht, schauen wir auch auf die ganze Stadt. Die Hochschule für Schauspielkunst in Oberschöneweide wollen wir zum Probenzentrum für die freie Szene entwickeln. All das dient dazu, Kultur nicht nur im Zentrum der Stadt anzusiedeln. Wir wollen alle Spielräume der Stadt nutzen und sie nicht gegeneinander ausspielen. Denn mir ist die Jugendtheaterwerkstatt in Spandau genauso wichtig wie die kommunale Galerie im Biesdorfer Schloss. Ich suche explizit den Austausch mit den Bezirken, um zu sehen, wie wir Kunst und Kultur in der Fläche stärken können. Das interessiert die Feuilletons der überregionalen Zeitungen zwar nicht so wie das Humboldt Forum. Aber es wird künftig hochkarätige Kunst und Kultur in Berlin nur geben, wenn künstlerische Praktiken und der Erwerb ästhetischer Maßstäbe für jede Berlinerin und jeden Berliner von klein auf als Angebot bereitgestellt wird. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es auch für junge Leute attraktiv ist, sich um einen Arbeitsplatz in einer Musikschule oder als Kunstlehrer an einer Sekundarschule zu interessieren.
Ist das Ausweichen in die Fläche nicht auch der Lage auf dem Immobilienmarkt geschuldet? Freie Künstler beklagen die Knappheit bezahlbarer Atelier- und Probenräume. Wie soll Abhilfe geschaffen werden?
Ich wäre da gerne schon weiter, aber lange standen uns keine Instrumente zur Verfügung. Seit einem knappen Jahr haben wir einen Ankaufsfonds für Gebäude und Grundstücke. Wir müssen inner- und außerhalb des S-Bahnrings gucken, wie wir jetzt Kulturorte vom Markt ziehen und sichern können. Deswegen haben wir das Radialsystem zurückgekauft und schauen, dass wir die Universal Hall als Kulturort entwickeln.
Die Universal Hall wollen Sie also kaufen?
Ja. Und wir haben die Alte Münze als Kulturort gesichert und sprechen im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens mit der Freien Szene und allen Interessierten darüber, was wir dort künftig entwickeln wollen. Mir war es auch eine Freude, dass wir das Theater ON in Prenzlauer Berg sichern konnten. Auch den Kudamm-Bühnen in Charlottenburg haben wir einen Spielort gesichert. Wir müssen alle Spielräume und alle fiskalisch vertretbaren Optionen nutzen, wir müssen kreativer und kämpferischer sein, um Kunst- und Kulturorte langfristig überall in der Stadt zu sichern. Das ist mir wichtiger, als kurzfristig teure Ateliermieten zu subventionieren und damit den Immobilienmarkt noch zusätzlich anzuheizen.
Wie wird es mit der Zentral- und Landesbibliothek weitergehen?
Wir werden am Blücherplatz neben der Amerika-Gedenkbibliothek in Kreuzberg bauen. Die Fachleute haben mir gesagt, nach Lösung aller Planungs-, Grundstücks- und Bauvorbereitungsfragen könnte der erste Spatenstich 2026 erfolgen. Ich fände es gut, wenn das schneller ginge. Wichtig ist, dass wir bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 so weit sind, dass im Falle eines Regierungswechsels die ganze Debatte nicht wieder von vorne losgeht. Bibliotheken sind die meistgenutzten Kultureinrichtungen der Stadt und weit mehr als Buchausleihstationen. Berlin braucht dringend eine moderne Bibliothek.
Apropos Verwertungsdruck: Am Checkpoint Charlie hat der Senat entschieden, die bisherigen Absprachen mit dem Investor nicht einzuhalten und einen neuen Plan vorzuschlagen. Der Investor sagt, man habe alles abgesprochen mit dem Senat, auch Sie seien zufrieden gewesen mit der Lösung für das geplante Museum zum Kalten Krieg. Warum diese Kehrtwende?
Als ich ins Amt kam, waren die Absprachen relativ weit gediehen. Aber die Debatten in der Stadt haben sich – auch dank uns – verändert. Es ist noch relevanter geworden, wie wir mit innerstädtischen Flächen umgehen. Und natürlich muss der Senat für eine Lösung auch eine Mehrheit im Abgeordnetenhaus bekommen. So ist Politik. Für mich ist wichtig, dass wir tatsächlich ein Museum und einen Erinnerungsort dort realisieren. Dafür gibt es verschiedene Möglichkeiten. Berlin muss offen diskutieren, was es mit seinen letzten freien Flächen machen will.
Zuletzt gab es ein paar Unklarheiten über das Humboldt Forum: Wann wird das Haus öffnen und ab wann kann die Berlin-Ausstellung im Humboldt Forum besichtigt werden?
Wir haben bei den Berliner Flächen Bauverzögerungen gehabt. Die Stiftung als Bauherr hätte uns diese Flächen schon bereitstellen sollen. Das ist nicht geschehen. Jetzt sollen wir im Februar die Flächen bekommen. Wenn das passiert, können wir als Land Berlin den Zeitplan zur Eröffnung im November 2019 halten.
Kann es sein, dass die Berliner Ausstellung dann allein aufmacht, auch wenn der Rest noch nicht fertig ist?
Ich weiß nicht im Detail, wie es mit den Bundesflächen aussieht. Aber es wäre schon gut, sich bei einem solchen Projekt auf eine gemeinsame Eröffnungs-Choreografie zu einigen.
Wird es freien Eintritt geben?
Das berührt ja nicht nur das Humboldt Forum, sondern auch die ganzen umliegenden Museen. Wir planen für unsere Landesmuseen eine eintrittsfreie Zeitspanne einzurichten und diese mit neuen Vermittlungsangeboten zu kombinieren. Es ist sinnvoll, das auch mit den Bundesmuseen und den Häusern der Stiftung Preußischer Kulturbesitz abzustimmen. Weder Berliner noch Besucher unterscheiden, ob sie in Bundes- oder Landesmuseen gehen.
Und es geht um einen Tag pro Woche?
Oder um einen im Monat. Wir reden gerade mit den Häusern, was sie leisten können und wie sie etwas bieten können, was dann auch das Publikum anspricht.
Keinen Eintritt zahlen zu müssen, ist ja schon mal kein schlechtes Argument …
Ja. Aber wir wollen ja diejenigen in die Museen kriegen, die diesen Weg schwerer finden als andere. Das heißt, das Angebot sollte dann entsprechend attraktiv sein.
Wann wird es eine Lösung geben?
Wir arbeiten daran, dass es mit dem nächsten Doppelhaushalt 2020/21 eine finanziell abgesicherte Lösung gibt.
Wie viel Geld wird das kosten?
Das hängt auch von einer Einigung mit dem Bund ab. Aber wir reden über einen einstelligen Millionenbetrag. Das zahlen wir als Kulturverwaltung nicht aus der Portokasse.
Aber seit Klaus Wowereit Kultursenator war, gab es doch keine Kürzungen mehr im Kulturhaushalt?
Das stimmt. Aber zum Beispiel die Tarifsteigerungen wurden erst in diesem Doppelhaushalt 2018/19 komplett vom Land übernommen. Bis dahin musste das aus künstlerischen Etats bezahlt werden. Wir arbeiten auch daran, dass die Landesmuseen wieder eigene Ausstellungsetats bekommen. Die haben dafür nämlich kein eigenes Geld und müssen für jedes Projekt Sponsoren suchen. Es gab lange keine Verbesserungen für die Musikschulen. Mir ist nicht daran gelegen, das Geld nur in den großen Leuchttürmen auszukippen und den Rest zu ignorieren – auch die Fläche muss leuchten.
Für Sie ist das doch politisch sehr gut. Als Kultursenator können Sie mit relativ wenig Geld ziemlich viele Leute beglücken, und die sagen dann, danke, linker Kultursenator.
Mit Geld allein ist es nicht getan. Man muss es mit einer inhaltlichen Idee verbinden. Sonst wird nur Geld verballert, das ist mir nichts. Wir müssen versuchen, den Anspruch „Kultur für alle“ zu verwirklichen, und die erreichen, die sich bisher nicht für das Kunst- und Kulturangebot interessieren.