Berlin. Die Lautsprecherdurchsagen klingen scheppernd, aber vertraut: „Der Zugbetrieb auf der Linie 9 ist unregelmäßig. Wir bitten um Entschuldigung.“ Die Leuchtanzeige verrät: Der nächste Zug kommt erst in neun Minuten. Der Fahrplan verspricht für diese Zeit jedoch einen Fünf-Minuten-Takt. Kaum einer der zahlreichen Fahrgäste regt sich noch über den Zugausfall ernsthaft auf. Ist dies doch seit Monaten Alltag im Berliner U-Bahnbetrieb.
Nun hat der Aufsichtsrat des landeseigenen Unternehmens reagiert. Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) sollen wieder einen Vorstand bekommen, der sich ausschließlich um den Fahrbetrieb bei Bussen und Bahnen kümmert, bestätigte Berlins Wirtschaftssenatorin Ramona Pop (Grüne) am Mittwoch der Berliner Morgenpost.
Pop bezeichnet die Entscheidung für einen gesonderten Betriebsvorstand als „wichtige Weichenstellung“. „Das ist ein Signal für die Stadt. Denn die Fahrgäste spüren deutlich die Versäumnisse der letzten Jahre. Daher ist es wichtig, dass wir in der BVG-Spitze wieder einen Vorstand haben, der sich allein um den Betrieb von Bussen und Bahnen kümmert“, sagte sie der Morgenpost. Bisher wird die Verantwortung für den operativen Betrieb von BVG-Chefin Sigrid Nikutta mit wahrgenommen. Die jetzt getroffene Entscheidung sei aber keine Entmachtung von Nikutta, betonte Pop. Eine Trennung von Vorstandsvorsitz und Betriebsvorstand sei in allen anderen großen Nahverkehrsunternehmen in Deutschland üblich. „Eine Vorstandsvorsitzende hat zahlreiche Aufgaben auch in der Außenwahrnehmung des Unternehmens. Wir suchen jetzt jemanden, der sich komplett auf den täglichen Betrieb konzentriert.“
Stelle wird Anfang 2019 ausgeschrieben
Die Stelle des Betriebsvorstandes soll Anfang 2019 ausgeschrieben werden. Geplant ist aber kein zusätzlicher Posten in der derzeit dreiköpfigen Führungsriege der BVG. Formal wird ein Nachfolger für Henrik Haenecke, den aktuellen Vorstand für Finanzen, Digitalisierung und Vertrieb, gesucht. Dessen Dreijahresvertrag läuft im August 2019 aus. Über eine Vertragsverlängerung sei gar nicht erst verhandelt worden, heißt es aus BVG-Kreisen. Wohl auch, weil das Verhältnis zwischen Pop und Haenecke (Jahresgehalt 323.000 Euro) eher als unterkühlt gilt.
Geplant ist, die erforderliche Neubesetzung für eine Art Rochade zu nutzen. Der neue Vorstand übernimmt von Nikutta die Verantwortung für den operativen Bereich, die BVG-Chefin wiederum die Zuständigkeit für Finanzen und Vertrieb. Die Stabsstellen etwa für Pressearbeit und Marketing, aber auch der wichtige Sicherheitsbereich sollen bei Nikutta verbleiben.
Viele Wechsel in der Vergangenheit
Der Berliner Fahrgastverband Igeb begrüßte die Entscheidung. „Es wird allerhöchste Zeit, dass die Betriebsleute bei der BVG wieder mehr das Sagen haben“, sagte Igeb-Sprecher Jens Wieseke. Er verwies darauf, dass in den vergangenen Jahren zahlreiche erfahrene Führungskräfte wie etwa der einstige U-Bahnchef Hans-Christian Kaiser oder der für Fahrzeuge zuständige Abteilungsleiter Martin Süß vorzeitig abgelöst wurden. Aber auch viele andere Fachleute hätten aus Frust das Unternehmen verlassen. „Dieser Aderlass muss beendet werden“, so Wieseke.
Der Fahrgastverband beklagt seit Jahren die zunehmende Zahl an Problemen im Alltagsbetrieb der BVG. Den 20. November bezeichnete die Igeb gar als „Schwarzen Dienstag für Fahrgäste“, weil es an dem Tag auf fast allen U-Bahnlinien in der Stadt zu Ausfällen und Verspätungen kam. Anschließend forderte die Igeb die Aufstellung eines ausgedünnten Notfahrplanes, der die Realität abbilde. Dies sei notwendig, um das Angebot für die Fahrgäste verlässlicher zu machen.
Dass die BVG als größtes Nahverkehrsunternehmen Deutschlands mit aktuell 14.400 Mitarbeitern – mehr als die Hälfte im Fahrdienst – keinen für den Alltagsbetrieb zuständigen Vorstand hat, ist in der Tat eine Besonderheit. Zurück geht dies auf Nikuttas Vorgänger Andreas Sturmowski, der 2008 – nach monatelangen Querelen – den damaligen Betriebsvorstand Thomas Necker kaltstellte. Seither trägt der jeweilige BVG-Vorstandschef auch operativ die Verantwortung.
Große Herausforderungen
Der neue Betriebsvorstand steht vor großen Herausforderungen. Neben den vielen Alltagsproblemen muss er auch die größte Fahrzeug-Neubeschaffung in der BVG-Geschichte managen. Wie berichtet hatte der Aufsichtsrat angesichts des Zustandes der Flotte die Zahl der neu zu beschaffenden U-Bahnwagen von 1050 auf 1500 erhöht. Das Land stellt dafür mehr als drei Milliarden Euro bereit. Damit die neuen Züge wie geplant ab 2021 nach Berlin kommen, muss nun rasch eine EU-weite Ausschreibung gestartet werden.
Am Mittwoch wollte sich auch der Koalitionsausschuss des rot-rot-grünen Senats mit der aktuellen U-Bahnkrise befassen. Dies sei auf Wunsch der Grünen geschehen, so SPD-Vertreter.