Berlin. Sie hatten Spuren gesichert und Familienangehörige und Freunde befragt, sie waren Hinweisen aus der Bevölkerung nachgegangen, sie hatten mit Spürhunden nach der Leiche gesucht. Dann gaben die Ermittler der 6. Mordkommission des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) auf – und der Fall der am 25. September 2006 verschwundenen Georgine Krüger wurde als sogenannter Cold Case („kalter Fall“) zu den Akten gelegt. Vorläufig zumindest.
Nun aber scheint der Fall aufgeklärt – und am Tag, nachdem Beamte eines Spezialeinsatzkommandos (SEK) den 43 Jahre alten Ali K. als mutmaßlichen Mörder von Georgine Krüger in seiner Wohnung an der Stendaler Straße in Moabit festnahmen, wird deutlicher, wie es den LKA-Beamten gelang, den scheinbar unlösbaren Fall doch noch aufzuklären.
Offizielle Erklärungen gibt es nicht. Doch aus Polizeikreisen verlautet, wie sehr die Ermittler darunter gelitten haben müssen, dass sie über Jahre im Dunkeln tappten. Immer wieder suchten sie nach neuen Möglichkeiten, das Verbrechen doch aufzuklären. Über Jahre immer wieder ohne Erfolg.
Verdächtiger wurde von der Polizei abgehört
Dann bemerkten die Beamten, dass in unmittelbarer Nähe des Mädchens ein Mann wohnte, der bereits 2012 wegen sexueller Nötigung einer 17-Jährigen verurteilt worden war. Die Kriminalisten hatten damit den Ermittlungsansatz, nach dem sie so lange gesucht hatten. Nun zogen sie alle Register. Sie spürten dem Mann mithilfe von Funkzellenabfragen nach und hörten seine Kommunikation ab. Der Verdacht erhärtete sich.
Doch Beweise für eine Anklage oder gar eine Verurteilung fehlten. Keine DNA-Spuren, keine eindeutig verräterischen Aussagen am Telefon, keine Leiche – und somit keine Chance auf einen Haftbefehl. Es sei eine der Situationen gewesen, in denen man nur mit einem verdeckten Ermittler weiterkommt. „Es ist das schärfste Schwert, das wir haben“, sagt Michael Böhl vom Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Ohne einen Anfangsverdacht würden verdeckte Ermittler nicht zum Einsatz kommen.
Und so schleusten die LKA-Spezialisten einen Beamten im Umfeld des Täters ein. Mit einer Legende ausgestattet, gelang es dem Polizisten, das Vertrauen von Ali K. zu gewinnen. Dann brachte er ihn offenbar dazu, eine Art Geständnis abzulegen, das dazu reichen könnte, das Gericht davon zu überzeugen, dass Ali K. das arglose Mädchen mutmaßlich aus sexuellen Motiven in einem Keller ermordete. Dieses Geständnis soll auch technisch gesichert worden sein.
Ali K. droht lebenslange Haftstrafe
Die Ermittler müssen Ali K. nun dazu bewegen, Täterwissen preiszugeben und zu verraten, wo der Leichnam von Georgine Krüger ist. Außerdem werden Spezialisten der Polizei die Wohnräume, den Keller und das Auto des Verdächtigen auf Spuren absuchen. Auch Jahre später können Ermittler hier noch fündig werden. „Das ist akribische Feinarbeit“, sagt Polizist Böhl vom BDK.
Nun sitzt Ali K. in Untersuchungshaft – und die Staatsanwaltschaft bereitet die Anklageschriftschrift vor. Wenn es gelingt, ihm die Tat nachzuweisen, erwartet Ali K. die Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe.
Verein kümmert sich um trauernde Eltern
Sollte Ali K. verurteilt werden, hat die Mutter von Georgine Krüger endlich Gewissheit über das Schicksal ihrer Tochter. Für Eltern, die ein Kind verloren haben, ist das eine dramatische Situation. Der Bundesverband Verwaiste Eltern und trauernde Geschwister in Deutschland e. V. (VEID) hat ein bundesweites Netzwerk aufgebaut, um Eltern, die ein Kind verloren haben, zu unterstützen.
„Für betroffene Eltern bricht eine Welt zusammen“, sagt die Vereinsvorsitzende Franziska Offermann, die selbst einen Sohn verloren hat. „Unterstützung auf allen Ebenen tut gut. Das Leben ändert sich in allen Bereichen“, sagt sie. Am Ende eines langen Weges, auf dem man sich der Trauer gestellt und den Verlust realisiert hat, kann man wieder neue Perspektiven entwickeln, sagt Offermann.
Rund um den Wohnort von Ali K. sorgt die Tat für Entsetzen. So berichtet etwa eine Friseurin, die Ali K. seit vielen Jahren als Nachbarn und Kunden kennt, dass er wie ein ruhiger, freundlicher Familienvater gewirkt habe. „Ich bin ganz geschockt, dass ich mich so in dem Mann getäuscht habe“, sagt sie. Dass der mutmaßliche Täter aus dem Kiez kommt, wird für viele in der Nachbarschaft nur schwer zu verarbeiten sein.
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