Berlin. Seit knapp einem Jahr ist Manja Schreiner Hauptgeschäftsführerin der Fachgemeinschaft Bau (FG Bau) Berlin und Brandenburg. Die 40 Jahre alte Juristin ist angetreten, den Interessen der rund 900 betreuten Betriebe des Regionalverbandes in der Politik mehr Gehör zu verschaffen. Und da gibt es Einiges zu tun. So drohe etwa das vom rot-rot-grünen Senat ausgerufene „Jahrzehnt der Investitionen“ an vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen der Region vorbei zu gehen, warnt die Cheflobbyistin des Berliner Baugewerbes im Interview mit der Berliner Morgenpost.
Frau Schreiner, in Berlin wird überall gebuddelt und gebaut – besser als derzeit kann es Ihrer Branche doch gar nicht gehen, oder?
Manja Schreiner: Es stimmt, wir haben einen Bauboom und die Auftragsbücher unserer Unternehmen sind gut gefüllt. Damit sind wir sehr zufrieden. Dennoch gibt es aber nicht nur glückliche Gesichter bei unseren Mitgliedern.
Das müssen Sie uns bitte erklären ...
Seitens der Vergabestellen muss darauf geachtet werden, dass das „Jahrzehnt der Investitionen“ nicht am Berliner Handwerk, insbesondere am Baugewerbe, vorbeigeht. Es wurde zwar vor einem Jahr ein Konjunkturpaket in Milliardenhöhe präsentiert. Schaut man sich dann aber die Ausschreibungsbedingungen an, so ist doch eine gewisse Tendenz wahrnehmbar, dass mittlere und kleine Betriebe mit bis zu 50 Mitarbeitern - die in Berlin die absolute Mehrheit stellen -, keine Chance haben, sich zu beteiligen. Ein konkretes Beispiel: Bewirbt sich ein Betrieb auf eines der Lose etwa zum Neubau modularer Flüchtlingsunterkünfte, muss er nachweisen, dass er in den letzten drei Jahren im Durchschnitt einen Mindestumsatz von 65 Millionen Euro jährlich erzielt hat. Diese Bedingung schließt nahezu den gesamten regionalen Mittelstand aus, obwohl er selbstredend in der Lage wäre, solch ein Projekt zu stemmen. Man muss wissen, dass ein Bauunternehmen mit bis zu 50 Mitarbeitern üblicherweise grob einen Umsatz von 20 bis 25 Millionen Euro im Jahr erwirtschaftet.
Was schlagen Sie also vor?
Dieser viel zu hoch angesetzte Umsatzwert muss genauso dringend gestrichen werden wie die Zusammenfassung von fünf Schulgebäuden oder drei Flüchtlingsunterkünften in einem Los, denn auch solche Vorgaben sorgen dafür, dass mittelständische Unternehmen von vorneherein ausgeschlossen sind. Ich verstehe ja, dass man beim Schul- und Wohnungsbau und bei der Infrastruktur nach jahrelangem Sparkurs nun das Steuer herumreißen und wieder ganz schnell bauen möchte – und das möglichst kostensparend. Augenmaß ist trotzdem angezeigt. Die vermeintliche Kostenersparnis, wenn ich einem Generalübernehmer den Bau gleich einer ganzen Serie gleichartiger Schulen übertrage, ist spätestens dann weg, wenn dieser für die ganze Serie Nachträge stellt. Im Übrigen ist ein solches Vorgehen auch gesellschaftspolitisch gesehen nicht nachhaltig. Überregional tätige Unternehmen orientieren sich um, wenn die Zeiten sich ändern, während die Berliner Unternehmen bleiben, Arbeitnehmer zu fairen Konditionen beschäftigen und hier ihre Steuern zahlen. Es ist an der Zeit, dass man sich von der unrealistischen Kosten- und Zeitplanung verabschiedet. Denn es ist ohnehin klar, dass die ehrgeizigen Ziele – alleine 60 neue Schulen bis 2026 – aufgrund ausgedünnter Bauämter und Genehmigungsbehörden nicht zu halten sind.
Fakt ist doch, dass die Auftragsbücher der Unternehmen voll sind und diese daher nicht scharf auf öffentliche Aufträge sind?
Tatsächlich bewerben sich aktuell nur 57 Prozent unserer Berliner Bauunternehmen um Aufträge der öffentlichen Hand. Das liegt aber nicht daran, dass kein Interesse besteht. Denn eigentlich sind deren Aufträge durchaus begehrt, weil man in der Regel sicher sein kann, nach Auftragserfüllung sein Geld zu bekommen. Die Zurückhaltung liegt vielmehr daran, dass der bürokratische Aufwand bei Auftragsvergaben durch Behörden der Bezirke oder des Landes viel zu hoch ist. Ein weiteres Beispiel aus der Praxis: Um sich auf einen 70.000 Euro-Auftrag, etwa für die Erweiterung eines Kindergartens, zu bewerben, muss sich der Betrieb durch einen 120-seitigen Ausschreibungskatalog arbeiten. Daran sitzt der kaufmännische Mitarbeiter – falls das Unternehmen überhaupt so groß ist, dass es solch einen beschäftigt –mehrere Tage. Und bis dann die Rückmeldung kommt, ob der Zuschlag erteilt wird, dauert es manchmal monatelang. Unternehmer brauchen aber Planungssicherheit und können ihre Kapazitäten nicht über längere Zeiträume frei halten. Bei der derzeitigen konjunkturellen Lage ist es deshalb für viele Bauunternehmen einfacher, für Private zu bauen.
Handlungsbedarf hat ja auch der Senat erkannt, eigentlich sollte im Oktober ein erster Entwurf des neuen Vergabegesetzes vorliegen. Woran hakt es?
Soweit mir bekannt ist, hängt die Verzögerung an der Höhe des Mindestlohns, über den sich die Parteien noch verständigen müssen. Im Baugewerbe liegt er übrigens aktuell bei 14,80 Euro. Die Vorschläge, die wir als Verband eingebracht haben, sind daher eher praktischer Natur. So setzen wir uns dafür ein, die Behördenpraxis zu beenden, wonach meist der Anbieter mit dem niedrigsten Gebot den Zuschlag bekommt. Für diese Forderung gibt es zwar ein hohes Verständnis von allen Seiten. Doch jetzt geht es eben auch darum, im neuen Gesetz ausdrücklich zu formulieren, dass künftig Qualitätskriterien und die tatsächliche Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen, zum Beispiel hinsichtlich des Baumindestlohns, die entscheidende Rolle spielen. Andernfalls werden nicht nur die selbst gesteckten politischen Ziele konterkariert, sondern Pfusch am Bau Vorschub geleistet.
Und weitere Reformvorschläge?
Natürlich setzen wir uns für den Bürokratieabbau ein und haben da auch konkrete Vorschläge eingebracht. Etwa, dass die Unternehmen künftig nicht mehr versichern müssen, dass sie nur Baustoffe verwenden, die garantiert nicht in Kinderarbeit hergestellt wurden. Das ist zwar ein Ziel, das wir selbstverständlich unterstützen. Aber der Berliner Bauunternehmer ist doch der falsche Adressat für die Umsetzung solch eines politischen Ziels, weil er gar nicht klären kann, ob das in Asien hergestellte Produkt tatsächlich nicht in Kinderarbeit entstanden ist. Er hat auch nur die Chance, sich auf die Angaben, mit denen die Baustoffe versehen sind, zu verlassen. Ich meine daher: Dieses Anliegen über das Vergaberecht zu steuern, ist illusorisch. Ähnlich ist es mit Auflagen bezüglich nachhaltiger Produkte wie beispielsweise Bauholz aus regionalem Anbau und anderen Anforderungen, wenn es für sie keine verbindlichen Zertifikate gibt.
Und wie war die Resonanz?
Eher zurückhaltend, weil es für den Senat schwierig ist, solche politischen Ziele zu streichen. Wer will schon in den Verdacht geraten, dass er Kinderarbeit toleriert oder Holz aus dem Regenwald verbauen lässt. Auch die Frauenförderung im Rahmen der Vergabe zu verankern, ist für die Baubranche ein schwieriges Thema.
Und das sagen gerade Sie als Frau?
Ja. Natürlich finde ich das Ziel, Gleichstellung zu fördern und zu fordern, richtig. Und unsere Bauunternehmen würden Frauen mit Freude einstellen. Aber: Frauenfördernde Maßnahmen mit dem Vergabeverfahren zu verknüpfen, bevorteilt große Unternehmensstrukturen und lässt die kleineren Bauunternehmen ratlos zurück. Auf dem Bau zu arbeiten ist körperlich sehr anstrengend und wird daher fast nur von Männern ausgeübt. Von allen gewerblichen Arbeitnehmern am Berliner Bau (von insgesamt rund .... d. Red.) sind gerade einmal 75 weiblich. Nur Unternehmen, die eine größere kaufmännische Abteilung oder Planungsabteilungen, also klassische Bürojobs zu bieten haben, gelingt es deshalb, Frauen einzustellen. Das politisch gewollte Ziel wird durch diese Vorgabe im Vergabeverfahren nicht erreicht, dafür aber wird mehr Bürokratie aufgebaut.
Nicht nur Frauen machen einen Bogen um die Baustelle. Auch die Jugend geht offenbar lieber ins Büro als auf den Bau.
Es stimmt, die Baubranche als Arbeitgeber in Berlin muss ein positiveres Image bekommen. Die Branche hat in jüngerer Vergangenheit dramatische Einbrüche erlebt. Von Mitte der 1990er bis Mitte der 2000er-Jahre sank die Mitarbeiterzahl in Berlin von 50.000 auf 10.000, es gab Massenentlassungen. Es ist Eltern und Lehrern daher nicht zu verdenken, dass sie ihre Jugendlichen da nicht unbedingt auf die vielfältigen Arbeitsfelder hinweisen, die das Baugewerbe bietet. Aber inzwischen haben wir das Tal der Tränen durchschritten, insgesamt sind es bei allen Berliner Baubetrieben nach neuesten Zahlen des statistischen Landesamtes sogar knapp 23.000 Mitarbeiter. Und wir wollen noch viel mehr einstellen. Gerade deshalb wünschen wir uns von der öffentlichen Hand statt hektischer Sanierungs- und Neubauprogramme mehr Kontinuität bei der Auftragsvergabe. Es war ein schwerer Fehler, die Infrastruktur in der Hauptstadt durch rigorose Sparprogramme kaputtzusparen und die ortsansässigen Firmen gleich mit. Aber genauso falsch ist es auch, einen Hype durch Milliardenprogramme zu erzeugen. Nachhaltiger wäre es, vorausschauend so zu planen, dass der Sanierungsstau kontinuierlich abgebaut wird, die Baufirmen ihren Mitarbeiterstamm weiter aufbauen und ein paar Jahre später, wenn der Bauboom abflacht, auch halten können.
Wie viele Azubis haben Sie denn?
In diesem Jahr bilden wir 625 junge Menschen in elf Handwerken aus. Im Vergleich zum Vorjahr konnten wir eine Steigerung um 25 Prozent bei den Ausbildungsbeginnern erzielen. Vor der Baukrise waren es allerdings jährlich 1200 Lehrlinge. Es gab jedoch auch Zeiten, da hatten wir nicht mal mehr 400 junge Menschen in der Ausbildung. Aber wie gesagt, wir wollen auch nicht bei der jetzigen Zahl verharren. Wir haben in Marienfelde einen tollen Lehrbauhof und genügend Kapazitäten, noch weitere Klassen zu eröffnen. Es wäre also super, wenn sich im nächsten Jahr noch mehr Jugendliche für die Bauunternehmen der Region entscheiden würden. Das Vorurteil, ohne Abitur und Studium wird man nichts, können wir definitiv widerlegen. Der Mindestlohn der Baubranche liegt deutlich über dem gesetzlichen Mindestlohn – und ohnehin zahlen viele Unternehmen noch mehr, weil sie ihre guten Fachkräfte halten wollen. Und gerade in den vielen Kleinbetrieben können die Mitarbeiter sicher sein, mehr als nur eine austauschbare Nummer zu sein und echte Wertschätzung zu erleben.
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